Die 90er waren das Spaß-Jahrzehnt. Nichts war peinlich, alles erlaubt. Es war die große Zeit von HipHop und House, Techno und Eurodance. Zwei Arte-Dokumenten entdecken die Zeit neu, bebildern sie im Stil von MTV und warten mit überraschenden Erkenntnissen auf.
Straßburg.
Gerade noch jung – und plötzlich ein „Dino“? Nein, es ist kein Verhörer. DJ Bobo nennt sich tatsächlich so, die Kollegen von Scooter bezieht der Schweizer Entertainer direkt mit ein. Beide hatten ihre große Zeit in den 90ern, vor gut 20 Jahren, und genau diese Zeit huldigt Arte innerhalb der inzwischen zum Programm-Inventar gehörenden sommerlichen Pop-Reihe.
In das Jahrzehnt zwischen Mauerfaul und dem Elften Neunten führt Filmemacher Frank Ilgener ein. „Welcome To The 90s“ (samstags, 22.40 Uhr) heißt seine inzwischen vierteilige Doku, die die unbeschwerte Spaß-Ära beleuchtet. Die Pop-Kultur der 90er spiegelt, dass das Ende des Ost-West-Konflikts bei der amüsierwütigen Jugend positive Energie freisetzte. Die musikalische Revolution kam, wie so oft, von unten. Sie tanzte den Frust kurzerhand weg, und deshalb sind Musik- und Tanzstile in jenen Jahren kaum zu trennen.
Um ihr Lebensgefühl zu orchestrieren, nutzte sie die Fortschritte der Elektronik. Stile wie HipHop und House, Techno und Eurodance beherrschten den Massenmarkt. Das Zeitalter der großen Party-Events brach an.
Die Generation MTV
Und die große Zeit des Musikfernsehens. Genau diesem Medium huldigt Ilgener beiläufig, weniger durch das, was er sagt, sondern mehr durch das, was er zeigt. Schnelle Schnitte und grelle Farben prägten die Generation MTV, kurze Clips waren wichtiger als lange Filme. Was damals begann, hallt heute noch nach.
Apropos Hall. Mit dem musikalischen Helden der 90er-Jugend beschäftigt sich Oliver Schwabe in seiner Doku „Pump Up The Jam – Heroes Of Eurodance“ (Sonntag, 22.05 Uhr). Und zwar so gut sonst selten im deutschen Musikfernsehen.
Kurze, knackige Analysen
Schwabe bedient nicht einfach nur nostalgische Gefühle, was Oliver Geissens mit seiner „Chart-Show“ für RTL längst zur Routine erstarren ließ. Vielmehr liegt dem Autor viel daran, dass Musiker und Experten einen Blick hinter die Kulissen der 90er-Hits erlauben.
Tatsächlich bewegt Schwabe seine Gesprächspartner dazu, kurze, knackige Analysen zum Besten zu geben. Der Frankfurter Musikproduzent Marc Acardipane (45), beispielsweise, bringt Eurodance auf die Formel: „Männer rappen, Frauen singen den Refrain.“ Kollege DJ Westbam sekundiert, das Schema der Stücke sei, „16 Takte Rap, 16 Takte Chorus“.
„Eurodance ist schon Goldkettchen“
Und Hans Nieswandt, als ehemaliger 1Live-Moderator ein Intellektueller der Szene, gewissermaßen „Dr. House“, stellt fest: „Eurodance ist schon Goldkettchen.“ Er schiebt nach, die Gattung sei musikalischer Ausdruck einer auf Äußerlichkeit bedachten Jugendkultur-Gemeinde. Für Nieswandt bedeutet der Sound der 90er in mehrerer Hinsicht „Schmerzfreiheit“. Die Künstler, glaubt der Szene-Kenner, versuchten die Massen durch pure Übertreibung zu verbannen.
Schwabes Film lebt aber Gott sei Dank nicht nur von dröger Analyse und auch nicht nur von einer Clip-Ästhetik, die letzten Endes nur der Musikindustrie dient. Unterhaltend wird die Doku durch einen Gesprächspartner, der mit Anekdoten und obendrein auch noch mit lässiger Selbstironie glänzt: Scooter-Frontmann H.P. Baxxter. Wer ihn hört, versteht, warum die 90er so stark wie kaum eine Zeit davor und erst recht keine danach für Lebenslust pur standen.