Der digitale Fortschritt ermöglicht das Arbeiten von zu Hause aus. Jede dritte Firma sieht darin eine Alternative zum Büro, darunter RWE und Siemens.
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Die Heimarbeit ist für Susanne Rompel ein Geschenk. Sie leitet die Strategische Planung bei RWE und arbeitet gelegentlich in den eigenen vier Wänden, um sich tiefer in Themen einzuarbeiten. „Hier kann ich meine Zeit freier einteilen und ganz konzentriert arbeiten“, sagt sie. Für ihre Kollegen ist sie dennoch erreichbar – über Chat-Programme oder ganz altmodisch per Telefon. Wenn nötig, wird eine Videokonferenz gestartet. „Für die Heimarbeit ist die Digitalisierung eine absolute Voraussetzung“, sagt sie. „Die Technik ermöglicht zum Beispiel, online mit Kollegen an einer Präsentation zu arbeiten.“
Dass der digitale Fortschritt die Anwesenheitspflicht im Büro zunehmend aufweicht, zeigt eine neue Studie des IT-Verbands Bitkom. Die Befragung von 1500 Unternehmenschefs aus allen Branchen ergab, dass bis jetzt zwar nur 17 Prozent aller Unternehmen Heimarbeit anbieten. Aber jeder vierte Geschäftsführer rechnet damit, dass der klassische Büroarbeitsplatz zunehmend verschwindet. Für fast jedes dritte Unternehmen wird es immer wichtiger, dass Mitarbeiter teilweise oder komplett von zu Hause aus arbeiten. Der Trend gilt besonders für die IT-Branche: Hier hat bereits jede zweite Firma Regelungen zum „Home Office“ getroffen.
Heimarbeit, wenn der Sohn krank ist
Kerstin Reuland, Kommunikationschefin bei Siemens für den Bereich Dampfturbinen, führt ein fünfköpfiges Team, dessen Mitarbeiter in Mülheim, Erlangen, und Görlitz sitzen. Viele Besprechungen finden ohnehin als Videokonferenz statt.
„Zu Hause habe ich einerseits die nötige Ruhe, um Themen ungestört und konzentriert aufzuarbeiten und auch virtuelle Meetings durchzuführen, ohne dass sich Kollegen durch das Telefonieren gestört fühlen müssten“, sagt sie. Der entfallende Weg zur Arbeit spart zudem Zeit. Und: „Wenn zum Beispiel mein Sohn krank wird und ich zu Hause bleibe, kann ich trotzdem zeitweise arbeiten“, sagt Reuland.
Siemens hat die Heimarbeit per Betriebsvereinbarung geregelt: Die regelmäßige Telearbeit sollte im Schnitt mindestens 20 und maximal 80 Prozent der Arbeitszeit umfassen, unregelmäßige Heimarbeit 20 Prozent nicht überschreiten.
„Arbeit und Freizeit, Beruf und Familie vereinbaren“
Bitkom interpretiert den Trend als Folge der Digitalisierung: Videokonferenzen, Tablets oder Cloud-Netzwerke machen das Arbeiten daheim erst möglich und oft auch effektiver als im Büro. Anderseits, so Bitkom-Präsident Dieter Kempf, hätten Berufsanfänger auch den Anspruch, überall arbeiten zu können, wo sie wollen. „Junge, gut ausgebildete Hochschulabsolventen suchen sich ihre Arbeitgeber auch danach aus, wie sich Arbeit und Freizeit, Beruf und Familie vereinbaren lassen.“
Diese Einstellung stellt auch das klassische Beschäftigungsverhältnis infrage: Jedes dritte Unternehmen will laut der Studie künftig verstärkt auf freie Mitarbeiter zurückgreifen. „Dabei geht es längst nicht mehr um die billige Arbeitskraft, die den festangestellten Mitarbeiter aus Kostengründen ersetzt“, so Kempf. Man setze vermehrt auf externe Spezialisten, die gar keine Festanstellung anstreben.
Das bestätigt auch Deutschlands größter Versicherer, die Allianz. Man beobachte seit Jahren einen „klaren Trend zu mehr mobilem Arbeiten“, so ein Sprecher. Der Unterschied: Man habe nicht wie beim „Home Office“ einen festen Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden, sondern die Möglichkeit, vielerorts zu arbeiten.
Umstrittene Pläne von Arbeitsministerin Nahles
Nach Ansicht von Bitkom hätte die von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplante Neufassung der Arbeitsstättenverordnung den Siegeszug der Mobil- und Heimarbeit beendet. Die strengen Verordnungen für die Büroarbeit sollten auf die Heimarbeit übertragen werden, Arbeitgeberverbände befürchteten einen Kontrollwahn für den Heimarbeitsplatz. Die Neufassung ist zwar vorerst an der Union gescheitert, doch Nahles will einen neuen Anlauf nehmen.
Bitkom-Präsident Dieter Kempf hofft, dass man eine korrigierte Version der Verordnung „erst auf ihre Digitaltauglichkeit überprüft“ und sie der mobilen Welt anpasse. Denn strenge Regelungen und flexible, mobile Arbeit – das vertrage sich laut Kempf nicht miteinander.