Weil in den Vereinigten Staaten Fachkräfte fehlen, hat VW das deutsche Ausbildungsmodell nach Tennessee exportiert. Die ersten US-Azubis fanden’s „echt hart“. Mit dem Abschluss winkt dafür eine Jobgarantie mit einem Einstiegsgehalt von 40. 000 Dollar im Jahr.
Chattanooga.
Als Saul Flores zum ersten Mal den „Volkswagen Drive“ in Chattanooga befuhr, war Deutschland für den jungen Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln „so weit weg wie der Mond“. Auf der Suche nach einem Job bewarb sich der heute 25-Jährige bei VW. Der Wolfsburger Auto-Riese ging 2008 in die lange strukturschwache Ex-Stahlstadt im Bundesstaat Tennessee. Heute verlassen jährlich 150 000 Passat für den US-Markt die Fabrik, die Modell steht für Ähnliches in China.
Flores wurde unter rund 100 Bewerbern mit 20 anderen genommen und nach drei Jahren nun bei einer stattlichen Feier mit Klassik-Quartett und Truthahn-Brust von Gouverneur Bill Haslam wie ein Nobelpreisträger ausgezeichnet – als einer der ersten zwölf Amerikaner, die nach Standards des zweigleisigen deutschen Berufsbildungssystems zum Mechatroniker ausgebildet wurden. Werkleiter Frank Fischer, der lange bei VW in Braunschweig tätig war, hofft, dass Flores‘ Beispiel Schule macht. Wie viele deutsche Unternehmen hat auch VW in den USA ein Problem: Es fehlen gute Fachkräfte.
Firmen nehmen die Dinge selbst in die Hand
Anstatt zu warten, bis die Schul- und Ausbildungslandschaft in den Vereinigten Staaten, die Top-Unis und erbärmliche öffentliche Schulen kennt, durch politische Weichenstellungen korrigiert wird, nehmen Firmen wie Stihl, Bosch, Siemens, Mercedes und eben auch VW die Dinge selbst in die Hand. Der Bedarf ist groß.
Auf 600.000 offene Stellen wird die Lücke allein im gehobenen Fertigungsbereich geschätzt. Eine Branche, die im Zuge sinkender Energiepreise mit Macht zurückkommt aus den Billiglohnländern Asiens. Auch weil sie ihr einst mäßiges Image von schwerer, schmutziger Arbeit mit schlechten Löhnen verloren hat. Seit Präsident Barack Obama das deutsche Modell in seiner Rede zur Lage der Nation mit Verweis auf Siemens erwähnt hat, werden immer mehr Städte neugierig auf deutsche Ausbildungswertarbeit.
70 Prozent Praxis, 30 Prozent Theorie
Bei VW in Chattanooga, wo zurzeit 2600 Menschen am Band stehen, sieht das so aus: 70 Prozent Praxis im Werk, 30 Prozent Theorie von Mathematik bis Betriebswirtschaft an örtlichen „community colleges“. Wolfsburg zahlt den Azubis insgesamt 30.000 Dollar Lohn über drei Jahre und schießt, unüblich in den USA, rund 60 Prozent zu den 33.000 Dollar Schulgebühren zu. Mit dem Abschluss winkt eine Jobgarantie. Einstiegsgehalt: 40.000 Dollar im Jahr. Klar über dem Schnitt in einer Region, die in den 1970er-Jahren als das „Drecksloch“ Amerikas galt.
Für Weiterbildungsleiter Ilker Subasi (30) macht die Investition Sinn: „Wir wollen Experten für unsere Zukunft gewinnen.“ Saul Flores bestätigt die Bindungskraft zu seinem Arbeitgeber: „Ich konnte vorher nicht feilen, fräsen, schleifen, schweißen und Maschinen programmieren. Inzwischen kenne ich mich sogar ein bisschen mit Fertigungsrobotern aus.“
Dank für Tritt in den Hintern
Dass nicht alles immer Sonnenschein war, dass die im Vergleich zu Deutschland deutlich älteren Lehrlinge (bis zu 42 Jahre) in der Startphase mit „German Gründlichkeit und Pünktlichkeit“ ihre geregelten Probleme hatten, wird nicht verheimlicht. „Ich habe zwischendurch mehrmals daran gedacht auszusteigen“, erinnert sich Tyler Goodner, „das Programm war echt hart.“ Im Rückblick ist der 27-Jährige dankbar, dass „meine Mentoren mich immer zur richtigen Zeit in den Hintern getreten haben“.
Nie vergessen wird er, was VW meint mit dem Slogan „Passion for detail“ – „Leidenschaft fürs Detail“, der überall an den Wänden prangt. In der ersten Woche mussten alle Lehrlinge ein Stück Metall schleifen. Von Hand. Millimetergenau. „Passte es nicht“, sagt Tyler Goodner und zieht die Augenbrauen hoch, „ging alles von vorne los.“
Saul Flores ist schon wieder im Lernmodus – Deutschkurs. Denn er wird dank hervorragender Leistungen in der Lehre ab 1. Oktober bei VW in Emden arbeiten, sich fortbilden und später in Chattanooga vielleicht kommende Ausbildungsjahrgänge betreuen. Emden, Ostfriesland. Vor drei Jahren war das für ihn noch weiter weg als der Mond.