Der Europäische Gerichtshof hat dem deutschen Fiskus jetzt erstmals die Tür zum Geldversteck in Österreich geöffnet
Berlin.
Nicht mehr lange und es beginnen im Kleinwalsertal die Alpenrosenwochen. Rosa Blüten überziehen dann die Berghänge, und die Hotels bieten Sondertarife. Auch die besonderen Angebote der Banken kennen viele Besucher. Der Ort Riezlern hat nicht einmal 2500 Einwohner, aber ungewöhnlich viele Niederlassungen von Geldinstituten.
Denn das Kleinwalsertal bietet schon lange eine Reihe von Vorzügen für Steuerhinterzieher: Das Tal ist eine österreichische Enklave, aber deutsches Wirtschaftsgebiet, nur von Oberstdorf im Allgäu aus erreichbar. Grenzkontrollen gibt es nicht. Eine Art Panama für Bodenständige. Mitten in Europa, gut erreichbar und dennoch weit abgelegen vom Zugriff des deutschen Fiskus. Bei Konten von verstorbenen Verwandten bislang sogar fast unerreichbar für die Steuer. Ein Tal der schwarzen Erbschaften. Der toten, prall gefüllten Konten.
Die Alpenrosenwelt der Steuervermeider stürzt ein
Diese Alpenrosenwelt der Steuervermeidung stürzt nun ein: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem speziellen Geschäftsmodell des Finanzplatzes Riezlern das Wasser abgegraben. Denn die Luxemburger Richter haben das österreichische Bankgeheimnis für deutsche Banken am Ort für unzulässig erklärt. Deutsche Finanzämter dürfen jetzt auch in Österreich in die Konten von deutschen Verstorbenen schauen. Ein beliebter Weg, die Erbschaftssteuer zu umgehen, wird damit geschlossen.
„Der Europäische Gerichtshof hat ein überfälliges Machtwort gesprochen“, sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) unserer Redaktion. „Wir können in Europa nicht vollmundig die Geschäfte in Panama und anderen weit entfernten, exotischen Ländern verurteilen und an heimischen Kapitalmärkten beide Augen fest zudrücken.“ Das Geschäftsmodell Steuerhinterziehung habe auch im Kleinwalsertal abgewirtschaftet. „Diesem Ziel sind wir mit dem Urteil wieder einen Schritt näher gekommen“, so Walter-Borjans.
Sechs Milliarden Euro deutsches Schwarzgeld
Im Kleinwalsertal geht es nicht um Kleinigkeiten: Laut Schätzungen sollen Deutsche in Österreich sechs Milliarden Euro Schwarzgeld angelegt haben. Die Eigentümer der unversteuerten Vermögen geraten jetzt unter Druck. Sie müssten das zuständige deutsche Finanzamt informieren und prüfen, ob Erbschaftssteuern anfallen. Anlass des folgenreichen Urteils der Luxemburger Richter war der Fall der Sparkasse Allgäu, die im Kleinwalsertal einen rechtlich nicht selbstständigen Ableger betreibt: die Sparkasse Riezlern.
Die enge Verbindung ist nicht ungewöhnlich: Vor dem Euro wurde im Kleinwalsertal mit D-Mark gerechnet. Sogar die Steuern zahlte man an die österreichische Finanzverwaltung in D-Mark, nicht in Schilling. Es galten dort deutsche Postleitzahlen und auch eine Telefonvorwahl wie in Deutschland. Nur das Bankenrecht blieb österreichisch. Und die deutsche Vorgabe galt in Österreich nicht, Guthaben von mehr als 5000 Euro beim Tod des Kontoinhabers an das zuständige Zentralfinanzamt zu melden, damit Erben ihrer Steuerpflicht nachkommen. Dafür galt ein sehr ausgeprägtes Bankgeheimnis.
Das Ende der Erbschaftssteueroase
Nun sei das „Ende der Erbschaftsteueroase Österreich“ in Sicht, sagte Thomas Eigenthaler, Chef der deutschen Steuergewerkschaft. Die bisherige Position des Landes „stammte aus einer alten Welt, die das Bankgeheimnis wie eine Monstranz vor sich her trug“, sagt Eigenthaler. Das Land habe sich lange als Finanzplatz „stummer“ Banken angedient. „Das im Kleinwalsertal angelegte Geldvolumen steht in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Aktivität der Region“, sagt Eigenthaler. „Es handelt sich in der Regel um Schwarzgeldkonten.“
Doch das Geschäftsmodell der Schwarzgeldanlage sei für Banken nun vorbei. „Es kann sein, dass deutsche Finanzämter dort jetzt vermehrt nachfragen“, sagt Eigenthaler. Steuerhinterzieher könnten sich nicht mehr sicher sein. „Auch vergangene Fälle können jetzt neu aufgerollt werden, die vermeintlich längst abgeschlossen waren.“ Und im kommenden Jahr gelte ohnehin der automatische Finanzkontenaustausch.
Das Angenehme und das Nützliche
Die Sparkasse Allgäu betont nun ihre lange Tradition als verlässliches Geldinstitut für die Talbewohner. Schließlich sei man seit 1938 in Riezlern mit einer Filiale vertreten, sagt der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Allgäu, Manfred Hegedüs. Das sei damals die nahezu einzige Möglichkeit für die Bevölkerung gewesen, ihre Geldgeschäfte zu tätigen. Über seine später zunehmende deutsche Kundschaft im Kleinwalsertal sagt er: „Vielen Kunden gibt es ein gutes Gefühl, Geld auch im Ausland zu haben.“
Dieser Nachfrage kam die Sparkasse Allgäu nach und geriet damit in die Zwickmühle: Daheim im Allgäu gilt das deutsche Recht. Die Filiale im Kleinwalsertal unterliegt österreichischem Recht. Im Jahr 2008 forderte das Finanzamt Kempten die Sparkasse auf, von Januar 2001 an alle verstorbenen Kunden der Zweigstelle zu benennen, die bei ihrem Tod Deutsche waren.
Das wäre ein Bruch des österreichischen Bankgeheimnisses gewesen, sagt Sparkassenvorstand Hegedüs. „Die Gewissensfrage im Vorstand war, sich natürlich rechtskonform zu verhalten und dass die Mitarbeiter nicht gegen bestehendes Recht verstoßen müssen.“
Um Rechtssicherheit zu bekommen, klagte er gegen das Finanzamt. Der Streit ging bis zum Bundesfinanzhof, der schob den Fall an den EuGH weiter, der nun entschied: Das deutsche Finanzamt muss trotz des österreichischen Bankgeheimnisses die Auskunft bekommen.
Ob der Finanzplatz Kleinwalsertal das Urteil schon verinnerlicht hat? Die Hypo-Landesbank Kleinwalsertal in Riezlern wirbt immer noch: „Verbinden Sie das Angenehme mit dem Nützlichen. Dabei steht Diskretion an erster Stelle unserer Beratungsphilosophie.“