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36-jähriger Häftling mauert für eine bessere Zukunft

36-jähriger Häftling mauert für eine bessere Zukunft

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Ohne Zollstock geht es nicht - Genauigkeit ist bei der Arbeit von Eduard K. gefragt. Foto: Volker Herold/Funke Foto Services
Eduard K. ist zu elf Jahren Haft verurteilt. Er bereut seine Gewalttat. Mit einer Maurerlehre arbeitet er jetzt für ein neues Leben nach der Haft.

Geldern. 

Dass in einer Mauer einmal so viel Zuversicht stecken könnte, hätte Eduard K. nie gedacht. Er schnappt sich eine Schaufel und wälzt den grauen, klumpigen Mörtel hin und her. „Der darf nicht zu fest und nicht zu flüssig sein. Dafür bekommt man ein Gefühl“, sagt der 36-Jährige. Es hallt ein bisschen in dem riesigen Arbeitsraum. Steine türmen sich auf dem kalkweißen Boden neben Wasserwaage, Zollstock und Schubkarre. Eduard K. – weiße Hose, bisschen fleckig, feines braunes Haar, raue, weiße Hände und eine markante Narbe am Kinn – greift zur Kelle. Ein körnig-schleimiger Klecks klatscht auf den hellen Stein, ein weiterer kommt oben drauf. Stein für Stein erbaut sich Eduard K. hier seine Zukunft.

An der Kelle klebt der graue, zähe Mörtel. An Eduard K. klebt die Vergangenheit: elf Jahre Gefängnis, sieben hat er schon hinter sich. „Die Zeit will ich nicht in meiner Zelle verpennen. Das muss doch alles einen Sinn haben“, findet er. Er will seine Strafe nicht nur absitzen. Also macht er jetzt in der Justizvollzugsanstalt Geldern eine Ausbildung zum Maurer.

Das größte Berufsbildungszentrum

Die JVA ist besonders unter den Anstalten: Sie ist das größte Berufsbildungszentrum im geschlossenen Vollzug. „Maurer“, sagt er, das klinge doch nach was. Das Wort zieht er künstlich in die Länge, mit einem rollenden r in der Mitte, das seine russische Herkunft verrät. „Maurer, Bäcker- damit kann doch jeder was anfangen. Das ist nicht sowas wie ein Physiker“, fügt er hinzu.

Was es heißt, als Maurer zu arbeiten, lernt er in einer 18-monatigen Ausbildung. Die Theorie hat er bereits geschafft. Jetzt steht in einigen Tagen die praktische Prüfung an. Ausbilder Hardy Höfer wirft einen Blick auf die kleine Mauer, die Eduard K. hier zu Übungszwecken in der Arbeitshalle errichtet hat. „Na, das muss hier aber vollfugiger sein. In alle Ecken“, sagt Höfer und deutet auf die Räume zwischen den Steinen. Eduard K. hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt, als er dem Ausbilder zuhört. „Aber hier ist es doch gut, oder?“, fragt er.

Im Jahr 2000 nach Deutschland gekommen

Um seinen Worten folgen zu können, muss man manchmal genauer hinhören. „Putin nennen die anderen Gefangenen mich hier“, sagt Eduard K. und grinst wieder. „Aber das ist ja nur Spaß!“. Er wurde in Russland geboren. Erst 2000 kam er nach Deutschland. Seine Vorfahren seien Deutsche gewesen und später in den Osten ausgewandert. Von der deutschen Wirtschaft habe er sich einiges versprochen. „Aber hier musste ich mich ja am Arbeitsmarkt für kleines Geld anbieten.“ Als Schlosser und als Lastkraftwagenfahrer habe er schließlich gearbeitet.

Und dann? Er nennt es schlicht ein Gewaltdelikt. Den Grund, warum er einsitzt. Genaueres zu dem Vorfall oder zu den Hintergründen möchte er nicht in der Zeitung lesen. „Das ist schon peinlich genug. Ich war ja vorher nie kriminell. Das hätte alles vermieden werden können.“

Anerkannter Berufs-Abschluss

Das Beste daran – das sei jetzt die Ausbildung, seine Perspektive für das Leben nach dem Gefängnis. Der Abschluss ist am Ende der Ausbildung genauso anerkannt wie jeder andere. JVA-Leiter Karl Schwers glaubt und hofft, dass die Insassen aber noch mehr als eine Urkunde mitnehmen. „Zum einen bekommt der Tag hier eine Struktur. Das hat vielen bisher komplett gefehlt. Und zum anderen erfahren sie, was Pflichtbewusstsein und Disziplin sind. Auch ein Sozialverhalten sollen sie hier lernen.“

Um 5.45 Uhr heißt es aufstehen. Frühstück gibt es im Haftraum. Nur wenige Quadratmeter ist dieser groß. „Aber das reicht ja völlig. Ich habe Schlimmeres gesehen“, sagt er leichthin. In Russland habe er beim Militär gearbeitet. Seinen Haftraum hat er so gut es geht versucht wohnlich einzurichten.

Bilder von Rosen, Gänseblümchen, Nelken hängen an der Wand. Aus einem Kalender habe er sie herausgerissen. „Ich wollte es einfach nur ein bisschen farbenfroh haben“, sagt er. Zahnpasta und Bürste liegen akkurat auf dem Waschbecken, die dünne Decke auf dem Bett ist ordentlich zusammengelegt. Er holt seine Instant-Kaffeedose und zeigt stolz die Aufschrift: 29. Oktober 2014. „Da habe ich die Dose geöffnet. Dann weiß ich hinterher, wie lange ich mit dem Pulver ausgekommen bin.“

„Besser arbeiten als sich langweilen“

Sparsam will er sein, das habe er sich vorgenommen. Für seine Arbeit bekommt er 11,50 Euro am Tag. Nur ein kleiner Teil steht ihm direkt zu. Damit kann er dann im hauseigenen Laden etwas bestellen. Der Rest ist als Überbrückungsgeld gedacht, nämlich für die ersten Wochen in Freiheit. Auf einem Regal hat er ein Foto mit seinen Töchtern stehen. Von seiner Frau sei er inzwischen getrennt.

Alle paar Wochen kämen die Töchter für einen Langzeitbesuch vorbei, der dauere dann drei Stunden. „Ja, bei denen geht es jetzt richtig los“, sagt er und meint die Pubertät der 13 und 14 Jahre alten Mädchen. Als er sie einmal für längere Zeit nicht gesehen hatte, musste er sich an die Veränderungen erst gewöhnen. „Ich hatte da noch die alten Bilder im Kopf.“

Eduard K. schmeißt sich in sein weißes Arbeitshemd. Um 6.40 Uhr ist Arbeitsbeginn. „Das ist zwar früh, aber besser arbeiten als sich langweilen“, findet er. Mit einem Justizbeamten vorne weg geht er durch die langen, fast klinisch wirkenden Gänge. „Hey, was geht?“, ruft ihm ein Insasse zu, der ihnen entgegen kommt und die Hand ausstreckt. Eduard K. klatscht ab, nickt seinem Bekannten zu. Kann man sich im Gefängnis anfreunden? Sie seien ja Arbeitskollegen, sagt Eduard K. zunächst. Doch dann, als dieser „Arbeitskollege“ an der nächsten Ecke verschwunden ist, stellt er klar: „Wenn du die hier als Freunde hast, dann brauchst du keine Feinde mehr.“ Letztlich müsse sich hier doch jeder selbst durchschlagen.

Traum von einem Job

Mit einer Mittagspause steht er bis 16 Uhr in der Arbeitshalle, lernt zu verputzen, zu spachteln, zu messen. Spätestens 2018 will er auf einer richtigen Baustelle stehen, den rauen Stein dann zwischen den Händen haben und dabei auch mal den Wind an den Ohren spüren. Jetzt plane er erstmal nur bis zur nächsten Prüfung.

Die Gedanken daran, was nach der Haft kommt, schiebe er noch weit weg. Dabei ist die Sorge da, dass sein Traum von einem Job eines Tages in sich zusammenfällt wie die Mauer vor seinen Füßen. „Ich habe schon einmal bei null angefangen. Ich will nicht daran denken, was passiert, wenn wieder nichts klappt.“