Winfried Kretschmann und Thomas Strobl machen in Baden-Württemberg gemeinsame Sache. Dabei kommen sie aus sehr verschiedenen Welten.
Stuttgart.
Grün steht ihm gut. Thomas Strobl hat ein ganzes Arsenal grüner Krawatten und Oberhemden im Schrank. Mit Streifen, Punkten, kariert oder einfarbig. Am Ende der Koalitionsverhandlungen am Sonntag zeigte sich der Mann, der als erster CDU-Juniorpartner an der Seite eines grünen Ministerpräsidenten regieren will, aber lieber salopp – braun gebrannt, ohne Krawatte, mit Jeans und offenem Jackett. Als ob er besonders jung und agil wirken wollte – gegen den immer etwas großväterlichen Kretschmann. Die Leute sollen sehen: Hier steht der Mann, der jetzt mit Winfried Kretschmann regieren wird – der ihn aber lieber heute als morgen als Regierungschef in Baden-Württemberg beerben will.
Die Bilder der vergangenen Wochen zeigen: Rein optisch hat sich das ungleiche Paar, der 56-jährige Strobl und der 67-jährige Kretschmann, längst auf sein grün-schwarzes Bündnis eingestellt – auch der grüne Ministerpräsident trägt zu schwarzen Anzügen gerne lindgrüne, tannengrüne oder spinatgrüne Binder um den Hals.
Sie kommen aus verschiedenen Welten
Dazu der weißgraue Bürstenschnitt hier und die silbergraue Stirnlocke dort – harmonischer geht‘s kaum. Doch bei aller Gemeinsamkeit darf man nicht vergessen: Zwischen den beiden liegen nicht nur fast zwölf Jahre Altersunterschied – sie kommen auch aus verschiedenen Welten. Hätten sich die beiden als Studenten getroffen, wären sie sogar aufeinander losgegangen: Strobl, der konservative Jurist mit dem Schmiss im Gesicht – und Kretschmann, einst kommunistischer Aktivist mit 68er-Sozialisation. Doch beide haben sich mehrmals gehäutet in ihrem politischen Leben. Strobl setzte sich als CDU-Fraktionsvize im Bundestag schließlich für die weitreichende Gleichstellung homosexueller Paare ein, Kretschmann nennt seine linksradikale Phase längst einen fundamentalen politischen Irrtum. Strobl ist heute liberaler als viele in der CDU – Kretschmann ist bürgerlicher als viele bei den Grünen.
Am Montagmittag stellten sie in Stuttgart den Koalitionsvertrag vor: Beide wieder in grüner Krawatte, und vor ihnen auf dem Tisch Obstkörbe mit aufgeschnittenen Kiwis. Grünes Fruchtfleisch mit schwarzen Kernen, gesund, aber sauer. „Wir haben uns nicht gesucht, aber gefunden“, sagt Strobl. Schließt man die Augen, glaubt man seinen Schwiegervater zu hören. Strobl spricht dasselbe Schwäbisch wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, mit dessen Tochter Christine er seit 1996 verheiratet ist.
„Fast gleichstarke Partner“
Bei der Landtagswahl waren die Grünen mit 30,3 Prozent stärkste Fraktion geworden, die CDU stürzte in ihrem Stammland auf 27 Prozent ab. Viermal betont Strobl am Montag, dass in dieser ersten grün-schwarzen Koalition „fast gleichstarke Partner“ zusammenkämen. Kretschmann nickt freundlich: „Da musste jeder Dinge hergeben, die er lieber behalten wollte.“ Die CDU schluckte am Ende die unter Grün-Rot eingeführte Gemeinschaftsschule, die Grünen akzeptierten eine Aufstockung der Polizei um 1500 Stellen. Baden-Württemberg wird zudem im Bundesrat für die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer stimmen – was bei den Grünen umstritten ist. „Wir sind uns ziemlich auf die Nerven gegangen“, sagt Kretschmann und grinst seinen neuen Partner an. Aber: „Man ist ja nicht an der Regierung, um Spaß zu haben.“
Im Stuttgarter Kabinett soll es künftig nur noch zehn Ministerien geben – fünf für die Grünen, fünf für die CDU. Strobl wird stellvertretender Regierungschef und wohl auch Innenminister. An seine Partei gehen auch das Kultusministerium, Wirtschaft und Justiz, sowie das Landwirtschaftsministerium. An die Grünen fallen die Ressorts Finanzen, Soziales, Umwelt, Verkehr und Wissenschaft. Auf den ersten Blick ist es ein Bündnis auf Augenhöhe – auf den zweiten Blick bleibt die grüne Schlagseite. Denn in Baden-Württemberg ist es wie in allen Ländern: Der Ministerpräsident ist der sichtbare, omnipräsente Landesvater – sein Stellvertreter dagegen muss ständig um Sichtbarkeit kämpfen. Solange Kretschmann keine gravierenden Fehler macht, wird Strobl es schwer haben, aus seinem Schatten zu treten.
CDU muss sich an neue Rolle erst gewöhnen
Hinzu kommt das Dilemma des kleinen Koalitionspartners: Die Bürger wollen keinen Krawall um des Krawalls willen – Strobl darf in der Koalition aber auch nicht den netten, politischen Schwiegersohn des beliebten Landesvaters geben. Ein allzu grüngefärbter Kuschelkurs wäre riskant. Denn: Im Landtag lauern mit der FDP und der AfD zwei stark gewordene Konkurrenten, die nur darauf warten, unzufriedene CDU-Anhänger abzuwerben. Um bei der nächsten Wahl wieder stärkste Kraft zu werden, müsste Strobl beweisen, dass die Kiwi-Koalition in Wahrheit eine Avocado-Koalition ist: Außen grün, aber mit dickem, schwarzem Kern.
Am 12. Mai soll der Ministerpräsident gewählt werden. Fünf Tage danach wird Kretschmann 68 Jahre alt. Fünf Jahre später, bei der nächsten Wahl, so die Kalkulation, könnte Strobl mit dem Amtsbonus des Vizeregierungschefs die CDU wieder zur stärksten Partei machen und selbst Ministerpräsident werden. Bis dahin ist die CDU immerhin nicht die einzige Volkspartei, die lernen muss, ausgerechnet denjenigen den Vortritt zu lassen, die sie bislang eher als kleiner Mehrheitsbeschaffer betrachtet hat: Die SPD hat die Erfahrung schon in Thüringen gemacht, wo sie seit 2014 als Juniorpartner unter Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei in der rot-rot-grünen Landesregierung sitzt.