Warum Wirte ein Spielautomaten-Verbot in Kneipen fürchten
Nach den Rauchern sollen auch die Glücksspieler aus den Kneipen verschwinden, geht es nach dem Deutschen Städtetag. Stirbt die klassische Pinte bald aus? Einblicke in eine bedrohte Lebenskultur, Ortsbesuch in einer klassischen Bahnhofspinte.
Ruhrgebiet.
Wann der Wandel ihre Kneipe erreichte, weiß Sonja Bongiorno nicht mehr so genau. Kein Zweifel trotzdem – die Ausgehgewohnheiten ändern sich, viele sparen ihr Geld und trinken lieber zu Hause. Das war schon vor dem neuesten, die Gastronomie bedrohenden Einfall so: Der Deutsche Städtetag fordert von der künftigen Bundesregierung, die Glücksspielautomaten zu verbieten.
Im „Adler 1835“ zu Wanne-Eickel, einer der letzten echten Bahnhofspinten im Revier, fürchten sie nun, der Vor- könnte für manche Kneipe der Todesstoß sein. Auf die Forderung des Städtetags reagiert Bongiorno mit Sarkasmus: „Ich warte drauf, dass die Politiker ein Alkoholverbot einführen, dann gibt’s hier nur noch Limonade“, sagt die Wirtin. Sie klingt trotzig.
Die Kneipengänger und der Zeitgeist
In den Bierlokalen des Ruhrgebiets herrscht eine seltsam-melancholische Stimmung. Gastronomen und Gäste fühlen sich ein bisschen, als würden sie vom Zeitgeist verschluckt. Erst machten Cocktailbars den Kneipen mächtige Konkurrenz, seit einem knappen halben Jahr verstauben die Aschenbecher ungenutzt in den Lagerräumen, Fußball und Bier werden immer teurer, und jetzt sollen auch noch die Glücksspielautomaten verschwinden.
Der Städtetag argumentiert mit Suchtprävention: „Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland leiden unter Spielsucht. Drei Viertel aller Spielsüchtigen geben an, dass Geldspielgeräte der Einstieg waren“, sagt Helmut Dedy, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Städtetags. Kommt es, wie es kommen soll, stünden viele Lokale vor der Frage: Wenn Zigaretten und Glücksspiel verboten sind, warum sollte dann überhaupt noch jemand am Tresen sitzen wollen?
Auch Sonja Bongiorno (42), die Wirtin aus Wanne-Eickel, fragt sich manchmal, ob sich die Stadtteil- und Eckkneipen vielleicht einfach überlebt haben. Der „Adler“ besteht aus einem großen dunklen Schankraum. In der Ecke ein Billardtisch, daneben zwei Automaten, an der Wand hängt ein Schalke-Fanschal. Die Gaststätte gab es gefühlt schon immer, einer der frühen Pächter war der Vater des Schauspielers Heinz Rühmann.
Bongiorno steht hinterm Tresen und zapft ein Sauerländer Pils. Es ist früher Nachmittag, wenig los, sie hat Zeit zu reden. Früher muss es hier ungefähr so wild und rau zugegangen sein wie in einer Kiezkneipe auf St. Pauli – nur ohne leichte Damen, versteht sich. Noch vor wenigen Jahren schloss Bongiorno den „Adler“ um halb fünf morgens auf. Nachteulen oder Frühaufsteher, irgendwer kam immer. Diese Öffnungszeiten sind vorbei. „Wir sind nicht mehr der Anlaufpunkt für gestrandete Seelen“, sagt Bongiorno, während sie Schaum vom Rand des Glases abstreicht.
Die wilden Tage sind vorbei
Das Publikum, glaubt sie, ist „anständiger“ geworden. Allerdings nicht gerade zahlreicher. Bongiorno, eine zierliche Frau mit müden Augen, hat diesen Wandel auch anderswo erlebt: Ihr Mann betrieb einst die Bahnhofskneipe in Recklinghausen, doch die ist längst dicht. Die Flaute in den Wirtschaften, sie ist überall spürbar. Allein in Dortmund, zum Beispiel, stehen fast 70 ehemalige Gastro-Betriebe leer. „Seit ich beim Dehoga bin, seit 21 Jahren, begleite ich das Kneipensterben im Ruhrgebiet“, sagt Thomas Kolaric, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Nordrhein.
Nun droht also auch noch das Automatenverbot. Unter den Wirten im Revier hat sich die Nachricht schnell rumgesprochen, viele zeigen sich empört, einige haben resigniert. „Man bekommt das Gefühl, die Gastronomie soll systematisch kaputtgemacht werden“, sagt in Oberhausen Edmund Eckstein, Betreiber der Lokale „Im Lothringer“ und „Eckstein“. Und in Witten weist Beate Krefter von der „Alten Zeit“ darauf hin, Automaten gehörten zur Kneipe „wie das Bier“.
„Wenn ich nicht mehr spielen dürfte, würde ich wegbleiben“
„Wenn wir die Automaten nicht mehr hätten, würden viele Gäste auf die Barrikaden gehen“, sagt Sonja Bongiorno ärgerlich, und man bekommt das Gefühl, ihre Entrüstung hat auch mit Unverständnis zu tun für eine Gesellschaft, die mittlerweile lieber in konfektionierte Bars geht, als irgendwo auf einem ungepolsterten Holzhocker zu sitzen. Da schaltet sich ein alter Filzhutträger ins Gespräch ein. 87 Jahre sei er alt, erzählt der Mann, er trinkt sein zweites Bier und hat soeben 1,40 Euro am Automaten gewonnen. „Wenn ich hier nicht mehr spielen dürfte, würde ich wegbleiben“, sagt er.
Wie geht es also weiter mit den kleinen Kneipen an Rhein und Ruhr? Zumindest Sonja Bongiorno hat eine düstere Ahnung. „In 20 Jahren“, glaubt sie, „sind die alle zu.“