Kevelaer.
Der Kapellenplatz in Kevelaer ist ein Ort, wie er katholischer kaum sein könnte. Die prächtige Marienbasilika. Die Kerzenkapelle mit den Krücken derjenigen, die leidend hierhin pilgerten und nach dem Besuch in dem Marienwallfahrtsort keine Stütze mehr brauchten. Die kleine Gnadenkapelle mit dem winzigen Bild der „Trösterin der Betrübten“, dem Grund dafür, dass Kevelaer Deutschlands zweitgrößter Marien-Wallfahrtsort ist. „Dass wir hier friedlich miteinander stehen können, das ist ein sehr gutes Signal“, sagt Imam Ahmad Aweimer. Vor wenigen Minuten hat er ein islamisches Gebet vorgetragen. Auf den Stufen der Marienbasilika – was mehr als deutlich zeigt, dass diese Friedenswallfahrt sich sehr von den unzähligen anderen Wallfahrten unterscheidet, die es in Kevelaer im Jahresverlauf gibt.
Exakt 52 Jahre vor diesem Tag hat in den USA ein Mann eine Rede für die Ewigkeit gehalten. „I have a dream“ sagte Martin Luther King darin, „ich habe einen Traum“, und er flehte in dieser Rede, dass die Rassenschranken fallen mögen. Der Menschenrechtler Rupert Neudeck, Gründer von Cap Anamour und der Grünhelme, die in Krisengebieten Aufbauarbeit leisten, hat sich von dieser Rede inspirieren lassen und an diesem Tag nach Kevelaer eingeladen. Diesmal sollen die Schranken der Religionen überwunden werden. An einem Platz, „der Trost spendet“ angesichts der „Dramen in der Welt, in der sich die Konflikte ausbreiten“, so wünscht es sich Pastor Rolf Lohmann, der Rektor der Kevelaerer Wallfahrt.
Es geht umeine Botschaft
Die Idee, dass ganze Gruppen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften in einer Art Sternmarsch zum Kapellenplatz laufen, Hindus, Muslime, Juden und Christen, dieser Traum Rupert Neudecks wird nicht Wirklichkeit. Hindus kommen keine, nur vereinzelt Muslime und Juden, vielleicht 200 Christen. „Das ist Neuland für Muslime“, sagt Imam Ahmad Aweimer, aber dass es eben auch um die Botschaft gehe, die von diesem Tag ausgehe. Und die lautet im Kern, dass der Weg zum Frieden nur gefunden werden kann, wenn die Unterschiede der Religionen respektiert und die Gemeinsamkeiten gesucht werden.
Oder, wie es David Caspy auf den Stufen der Marienbasilika sagt: „Wir glauben an einen Gott. Wäre sich dessen jeder bewusst, gäbe es weniger Konflikte.“ Caspy ist Jude, er stammt aus Tel Aviv in Israel und lebt seit 1984 in Duisburg. Dort läuft er im Alltag nicht mit der jüdischen Kopfbedeckung, der Kippa, durch die Straßen. Weil er es nicht mag, aber auch, „weil es eben Menschen mit einem schlechten Charakter gibt“. Heute trägt er sie, als er auf dem Kapellenplatz auf Hebräiisch das Gebet vorträgt, das vor dem Sabbat, dem jüdischen Feiertag, gesprochen wird.
Aus Duisburg kommen auch Hülya Ceylan und Yasemin Yüksel, genauer, aus Marxloh. Beide tragen den Hijab, das Kopftuch, das sie als gläubige Muslima ausweist. Sie sind da, sagt Hülya Ceylan, „weil wir Präsenz zeigen wollen für das Miteinander und den Frieden“.
Auf dem Kapellenplatz hört man für gewöhnlich die frommen und traditionellen Kirchenlieder, heute singt Graziella Schazad, Mutter Polin, der Vater aus Afghanistan, Lieder auf Englisch, über die Sehnsucht nach Frieden. Issam, der Sohn des Imam, singt auf arabisch, Elmar Lehnen, der Organist der Marienbasilika, spielt auf einem indischen Instrument. Mancher Tourist und mancher Bürger schaut etwas irritiert.
Marlies und Gerd Morgenschweis freuen sich über das Sprachengewirr, die Vielfalt im Herzen Kevelaers. Sind extra aus Essen gekommen, wo es, wie sie sagen, schon viele „interreligiöse Impulse“ gibt. „Im Namen der Religion werden so viele Kriege geführt, man muss doch deutlich machen, das Religion kein Gegensatz sein muss, sondern ein Miteinander sein kann“, sagt Marlies Morgenschweis. Und Rupert Neudeck, der unermüdliche Streiter für Menschenrechte, gibt die Parole aus: „Wir müssen erreichen, dass der Frieden ausbricht.“
Am Ende des Tages entzünden sie in Kevelaer das Licht in einer Friedensstele. Das Fundament aus Steinen aus aller Welt, darüber eine Erdkugel, aus der sich Arme in die Höhe recken, gekrönt vom Mantel der Maria. David Caspy, Hülya Ceylan und Yasemin Yüksel stehen davor, nebeneinander, mit ihren Kopfbedeckungen, in den Händen Kerzen, und aus dem Lautsprecher tönt Martin Luther Kings Rede: „I have a dream.“