or Gericht schildert die Betreuerin von Thorsten K., wie der Sexualstraftäter sie plötzlich in der Wohnung angriff. Sie wehrte sich wie eine Löwin
Kleve.
Es sei ein gutes Gespräch gewesen, sagt Kathrin B. Sie, die langjährige Betreuerin, habe ihrem Klienten Thorsten K., klarmachen können, dass man vor Bewährungsauflagen keine Angst haben muss. Sie habe ihm Mut gemacht, was er alles schon geschafft habe in fünf Jahren. Dann sei sie aufgestanden, habe den Mantel angezogen – als „er aus dem Flur zu mir gestürmt ist, mir mit der rechten Hand an die Brust gefasst hat und mit der linken an die Kehle“, schildert Kathrin B. die Vorgänge am 2. Januar 2014. Die 34 Jahre alte Sozialarbeiterin ist Hauptzeugin und Opfer des Sexualstraftäters Thorsten K., dem vor dem Landgericht Kleve der Prozess gemacht wird. Drei Monate, bevor seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, hat er Kathrin B. in seiner Emmericher Dachwohnung überfallen. Die Anklage lautet auf versuchten Totschlag.
Die Zeugin hat sich im Griff, keine Tränen, kein Stocken bei ihren akribisch genauen Schilderungen der Ereignisse – auch der Todesangst, die sie hatte. So schmal und zierlich, wie die blonde Frau da auf ihrem Stuhl sitzt, muss sie gegen den bulligen Angeklagten gekämpft haben wie eine Löwin.
„Dauerbeurlaubt“ in die eigene Wohnung
Sie ist Diplom-Sozialarbeiterin, Diplom-Sozialpädagogin und hat einen Abschluss als Kriminologin. Für die Forensische Klinik Bedburg Hau hat sie maßgeblich an „FÜNA“ mitgearbeitet, das bedeutet „Forensisches Überleitungs- und Nachsorge-Programm“. Für Leute wie Thorsten K. ist dieses Programm gemacht. „Meine Aufgabe war die Alltagsbegleitung, die Arbeitssuche, Freizeitgestaltung“, erzählt sie. Thorsten K., der wegen diverser Sexualstraftaten nach zehn Jahren in der Forensik 2008 als „dauerbeurlaubt“ in eine eigene Wohnung ziehen durfte, sei nach einem „schwierigen Anfang“ zunehmend „offener und empathischer“ geworden. Kurz – auf einem guten Weg.
Thorsten K.’s Anwalt fragt, ob man im FÜNA-Team nicht mal besprochen habe, wie sinnvoll es sei, eine junge Frau zu einem ehemaligen Sexualstraftäter zu schicken? Sie kontert ungehalten: Die Frage beinhalte, dass sie als Frau eine Mitschuld trage, dass der Vorfall passiert sei. Dabei seien die meisten FÜNA-Mitarbeiter Frauen. Und die Klienten, die bereits dauerbeurlaubt sind, hätten ihre Therapien erfolgreich abgeschlossen.
Ihre Arbeit mit Thorsten K. habe sich jedenfalls zunehmend positiv entwickelt, schildert sie. Geschätzt habe sie, wie er seinen Arbeitsalltag absolvierte, eine Stunde mit dem Fahrrad von Emmerich nach Kleve, dann Jobs bei der Zeitarbeitsfirma, eine Stunde wieder zurück. Streitpunkt sei seine Freizeit gewesen, „er hing zu Hause herum, war Einzelgänger anstatt in einen Sportverein zu gehen oder so“. Dafür habe er keine Zeit, behauptet er. Die fehlt ihm übrigens auch, um weiterhin zu einer niedergelassenen Sexualtherapeutin zu gehen.
In den letzten Wochen vor dem Übergriff sei es vor allem um die Vorbereitung auf die Entlassung aus der Forensik am 16. März gegangen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte den Termin festgesetzt. K. sei erst „in freudiger Erwartung“ gewesen, habe dann aber „Angst gehabt, dass er durch die Bewährungsauflagen zu so vielen Ämtern rennen müsse, dass er seinen Arbeitsalltag nicht mehr geregelt bekomme“.
Sicherung brannte durch
Irgend etwas in dem letzten Gespräch hat bei Thorsten K. eine Sicherung durchbrennen lassen, was, vermag sie vor Gericht nicht zu sagen. Nur: „Man könnte annehmen, dass bei ihm Wut und Hass mit Sexualität gekoppelt sind“, sagt sie. Als er sie wie aus dem Nichts angreift, „sagt er kein einziges Wort, nur seine Augen sind plötzlich anders“.
Sie wird auf das Sofa geworden, der schwere Mann liegt auf ihr, drückt ihr ein Kissen ins Gesicht, sie wirft den Kopf hin und her, ruft immer wieder „Stopp“ und seinen Namen. Doch er drückt noch fester zu, umklammert ihren Kehlkopf, dass sie denkt: „Jetzt geht es zu Ende“. Sie bekommt einen Finger in den Mund, beißt zu, er fingert nach der Colaflasche auf dem Tisch, schlägt ihr auf den Kopf, sie zieht ein Knie an und tritt ihm ins Gesicht: „Ich habe noch gedacht, so was tut man nicht!“
Sie rappelt sich hoch, er läuft in den Flur, kramt in einem Regal, sie fühlt den Autoschlüssel im Mantel. Sie hört, wie er im Flur weiter kramt und dabei sagt: „Ich bin krank, ich bin krank, ich bin krank.“ Sie reißt die Haustür auf, drückt ihn damit in die Ecke, hört noch im Flur seine Schritte, flüchtet ins Auto, sieht, wie er das Haus verlässt, die Kapuze über den Kopf gezogen…
Nackentrauma, Platzwunden und Hämatome bei ihr sind verschwunden. Aber auch die Unbeschwertheit und die Freude an der Arbeit. Psychisch ist Kathrin B. Immer noch stark angeschlagen.
Seit dem Vorfall dürfen FÜNA-Mitarbeiter nur noch zu zweit zu Klienten gehen.