Essen.
Was hat er da mit seinem „Steh-Pinkel“-Urteil nur losgetreten, der Düsseldorfer Amtsrichter Stefan Hank. Denn hinter dem Urteil über die archaische und ziemlich unappetitliche Form der Toilettenbenutzung steht folgende Begründung: „Trotz der in diesem Zusammenhang zunehmenden Domestizierung des Mannes ist das Urinieren im Stehen durchaus noch weit verbreitet.“ Das Steh-Pinkeln als ein letztes, heimliches Aufbäumen in einer ansonsten handzahmen Männerwelt?
Man schreibt das Jahr 1982, die Männer- und Frauenwelten befinden sich im Aufbruch und die Sängerin Ina Deter hat einen Riesenhit, den heute kaum noch einer kennt: „Ich sprüh’s auf jede Häuserwand, ich such den schönsten Mann im Land, ein Zettel an das schwarze Brett, er muss nett sein, auch im Bett…“ Damals erreichte die Feminismus-Welle ihren Höhepunkt, auf Grünen-Parteitagen strickten Männer um die Wette, kleinen Jungen nahm man Spielzeug-Pistolen und Autos weg und drückte ihnen Puppen in den Arm.
Trotzdem war das Stehpinkeln unumstritten. Wer damals von „Domestizierung“ sprach, gehörte ziemlich sicher zur Fraktion der Frauenrechtlerinnen und rebellierte gegen die gesellschaftlich festgelegte Rolle der Frau im Heim und am Herd. Die Debatte wurde ernsthaft und mit redlichem Erfolg für die Frauen geführt.
Heute haben wir eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander ist kein so ernsthaftes Thema mehr wie vor 30 Jahren. Aber Comedians wie Mario Barth füllen damit ganze Hallen. Humorige Bestseller auf Kosten der Männer (und Frauen) tragen Titel wie: „Herbert, sitz! Männer sind wie Hunde“ von Elke Morri, „Artgerechte Männerhaltung“, oder „Vom Macho zum Frauenversteher“ der Psychoanalytikerin Isabella Woldrich. Soweit, so lustig.
Und doch – vor allem die Männer haben auch ihre Probleme mit dem veränderten Rollenverständnis, das für sie selber eher schwammig geworden ist, weiß auch Dr. Andre Karger. Der Oberarzt und Psychotherapeut des klinischen Instituts für psychosomatische Medizin der Uni Düsseldorf ist Mit-Organisator eines viel beachteten Männerkongresses, der sich alle zwei Jahre mit aktuellen Männer-Problemen und Themen beschäftigt, die es so früher nicht gab. „Wenn ich als Mann ganz stereotyp große Geländewagen mag, so meldet sich gleich eine Stimme in mir, die sagt, dass die unökologisch sind. Und schon muss ich wieder abwägen“, gibt er ein Beispiel.
Das Wort von der „Domestizierung“ behagt Karger nicht, wohl aber habe sich das Rollenverhalten dahingehend verändert, dass die Geschlechterrollen sich annähern, dass „Männer heute auch weiche, weibliche Seiten zeigen dürfen“, sagt er. Gleichzeitig seien sie auch traditionellen Mustern verhaftet – leben risikoreicher, gehen weniger zum Arzt, teilen sich weniger mit.
Besonders problematisch würde es, wenn „tatsächlich vorhandene Unterschiede zwischen Männern und Frauen verleugnet würden“, so Karger. Etwa in der schulischen Erziehung von Jungen. Experten sähen in der wachsenden Zahl von Jungen, bei denen Hyperaktivitätsstörungen wie ADHS diagnostiziert würden, mur ein anderes „Bewegungsverhalten“ als bei den Mädchen: „Die brauchen andere Stundenpläne, wo sie nicht zum Stillsitzen gezwungen werden.“ Stattdessen stelle man sie mit Ritalin ruhig. In Kitas und Schulen dominieren mehr und mehr „feminine Normen“ durch Erzieherinnen und Lehrerinnen.
Und doch – die Angleichung der Geschlechterrollen werde weitergehen, auch wenn Trash-Serien wie der RTL-„Bachelor“, wo ein Dutzend Weibchen um einen Macho buhlen, eine Kehrtwende signalisieren. Karger nennt es den „tiefen Wunsch nach Klischees und Stereotypen“, die durch solche Sendungen bedient würden, die mit der Wirklichkeit aber nichts gemein haben. Die sieht so aus, dass die Generation der Eltern aus den wilden 70er- und 80er-Jahren mit Erstaunen auf das Beziehungsleben der eigenen Kinder schaut. Die Jungen machen Krafttraining und die Mädchen sind Mädchen, aber ganz gerecht stimmen sie ihre „reinen“ Mädels- und Jungenabende mit- einander ab, räumen gemeinsam auf oder lassen alles gemeinsam liegen, sind sich treu und in angenehmem Sinne spießig.
„Gemütlichkeit und Harmonie“ könnte das Liebesmotto dieser Generation sein. Wenn nicht, ja, wenn nicht das Steh-Pinkeln wäre – ein aus psychoanalytischer Sicht „uralter, phallischer Triumph“ über das andere Geschlecht.
Und natürlich völlig verzichtbar.