Eine schäbige Lagerhalle in der Nähe des Bergeborbecker Autokinos diente der litauischen Mafia offenbar über eine längere Zeit als Umschlagplatz für hochwertige Hehlerware. Seit gestern ruhen die kriminellen Geschäfte mit allerlei technischen Geräten, die im großen Stil aus Autos gestohlen und gen Osten verbracht wurden: Nach einem Jahr intensiver Ermittlungen der Kommission „Kasimir“ räumte die Essener Polizei am frühen Morgen auf, zerschlug bei einem nationalen und internationalen Großeinsatz in Zusammenarbeit mit litauischen Behörden die Bandenstrukturen, durchsuchte 100 Wohn- und Geschäftsräume, davon 23 in Essen, nahm 47 Tatverdächtige fest, stellte diverse Navis, Radios, Airbags und sogar komplette geklaute Autos sicher. Auch Waffen wurden gefunden.
782 Einsatzkräfte waren an der Razzia beteiligt, die zeitgleich in mehreren Bundesländern über die Bühne ging. Allein in Essen sorgten 700 Beamte für den Zugriff, der für Polizeipräsident Frank Richter „ein großer Erfolg“ ist: „Das war ein außergewöhnlicher Schlag gegen mafiöse Strukturen. Es ging darum, an die Köpfe zu kommen.“ Es sei gelungen, die Großhehler in Litauen festzusetzen.
Straftaten in einer vierstelligen Größenordnung vom Diebstahl bis hin zum Warenkreditbetrug sollen auf das Konto der mutmaßlichen Täter gehen. 440 davon können den Verdächtigen „beweissicher zugeordnet werden“, sagte Kriminaloberrat Gerhard Bürgel, der die konzertierte Aktion als Polizeiführer leitete. Den Sachschaden bezifferte der Polizeipräsident auf rund drei Millionen Euro.
Bei den Festgenommenen, gegen die nach Angaben von Oberstaatsanwältin Anette Milk bereits acht Haftbefehle wegen gewerbs- und bandenmäßigen schweren Diebstahls vollstreckt werden konnten, handelt es sich um Litauer, Letten und Deutsche russischer Herkunft. Für die Verdächtigen, die die die litauischen Behörden festsetzten, will die Staatsanwaltschaft eine Auslieferung beantragen, um ihnen in Essen den Prozess machen zu können.
Darunter seien auch die Drahtzieher der Bande, die „Kinder“ – so bezeichneten sie 16- bis 19-jährige Helfer – unter Anleitung so genannter Gruppenführer für sich arbeiten ließen. Die jungen Handlanger wurden nach Erkenntnissen der Ermittler gegen ihren Willen in Litauen rekrutiert. Man brachte sie in Essener Wohnungen unter und ihnen bei, binnen einer Minute ohne Rücksicht auf Verluste erfolgreich Autos zu plündern. Hatten sie die Scheiben eingeschlagen und die technischen Geräte im Wert von zum Beispiel 2000 Euro aus dem Armaturenbrett gerissen, war nicht selten eine Reparatur über 10.000 Euro fällig. Kam genug heiße Ware beisammen, organisierten die Kriminellen Sammeltransporte. Mit Lastwagen wurde die Beute bis nach Russland verbracht, um sie dort zu Geld zu machen.
Und wehe dem, der bei diesem einträglichen Geschäft nicht spurte: Hatten die heranwachsenden Zuarbeiter auf ihren Diebestouren nur mäßigen Erfolg, wurden sie massiv unter Druck gesetzt, so Kriminaloberrat Bürgel. Selbst vor körperlichen Züchtigungen schreckten die Bandenmitglieder nicht zurück.