An Rhein und Ruhr.
Oliver Vogelsang hüpft auf seinen Tretroller. Hinter ihm liegt sein Zimmer, ein ehemaliger Schulungsraum, vor ihm ein langer dunkler Flur. Der 27-jährige Student der Betriebswirtschaft ist auf dem Weg zur Dusche. Die liegt 30 Meter entfernt am anderen Ende des Gebäudes – in der Behörden-Küche. Vogelsang ist Hauswächter im ehemaligen Finanzamt Münster Stadt. Seit Mai 2014 passt der Bocholter mit 18 anderen auf die Immobilie des Landes Nordrhein-Westfalen auf.
Seit Ende 2013 steht das ehemalige Gebäude der Steuerbehörde in bester Innenstadtlage aus dem Jahr 1929 leer. Über 200 Menschen waren dort einst beschäftigt. Die Liste der Gebäudemängel war lang. Das neue Finanzamt liegt in Münsters Norden. Das allerdings hat sich bei vielen Steuerzahlern noch nicht herumgesprochen: Täglich kommen Bürger an den Eingang, klopfen und wollen Vordrucke für die eigene Steuererklärung abholen.
Im Amtszimmer des Chefs
Formulare hat auch die Studentin Birte Kausler nicht. Die 21-Jährige hat das große Los gezogen. Ihr neues Zuhause ist seit wenigen Monaten das ehemalige Amtszimmer des Behördenchefs. Hier gibt es schönen Parkettboden, viele Quadratmeter, einen großen Einbauschrank und ein zusätzliches kleines Zimmer mit Waschbecken. Hinter einer der Türen hängt noch ein Jahres-Kalender der deutschen Steuergewerkschaft. Die angehende Grundschullehrerin hat ihn hängen lassen. Wie lange sie im großen Chef-Zimmer mit ihren Möbeln residieren darf, ist derweil offen. Wie die anderen Bewohner muss sie jederzeit damit rechnen, ihren Hauswächter-Job zu verlieren. Die Kündigungsfrist liege für beide Seiten bei vier Wochen, erklärt Karsten Linde. Er betreut für die Firma Camelot Deutschland das Objekt in Münster. Für das Land kümmert sich der Dienstleister um leer stehende Gebäude, für die es zwischenzeitliche keine Verwendung gibt oder die später verkauft werden sollen. Wie das ehemalige Finanzamt in Münster. „Die Idee ist in den Niederlanden oder in England schon seit Jahren etabliert“, sagt Linde. Seine Firmen-Mutter mit Sitz in Holland ist dort dick im Geschäft. In Deutschland steckt das Modell noch in den Kinderschuhen.
Aber auch in anderen Städte, wie in Duisburg, werden jetzt leer stehende Gebäude in Wohngemeinschaften umgewandelt. Patrick Rzytki wohnt seit Mai in einer Hauptschule im Stadtteil Rheinhausen. „Ich hab’ das am Anfang echt für einen Witz gehalten“, erinnert sich der 20-Jährige an seine Reaktion auf das Angebot der Firma Camelot. Mit elf anderen jungen Leuten darf er den Schulhof, das Basketballfeld und den großzügigen Wohnraum nutzen – alles für 184 Euro im Monat. Diese Pauschale müssen die Hauswächter zahlen, um mit ihren Möbeln einzuziehen. Damit übernehmen sie auch Pflichten. In den Urlaub fahren geht nur in Absprache mit den anderen. Schließlich soll das Gebäude auch in den Sommerwochen vor Einbrechern sicher sein – allein durch ihre Anwesenheit.
„Im Ernstfall sollen die Hauswächter natürlich die Polizei rufen und nicht selbst aktiv werden“, sagt Karsten Linde von Camelot. Auch Rasenmähen oder Unkrautzupfen gehört zum Programm. Dafür hat die Firma Camelot die Infrastruktur so hergerichtet, dass ein Leben in dem ehemaligen Behördenhaus möglich ist.