Veröffentlicht inPolitik

Schüler und Lehrer klagen über zu wenig Geschichtsunterricht in NRW

Lehrer klagen über zu wenig Geschichtsunterricht in NRW

Geschichtsunterricht in NRW_0--198x148.jpg
Foto: WAZ FotoPool
Haben nordrhein-westfälische Schüler keine Ahnung mehr von Geschichte? Fachlehrer schlagen Alarm: Wegen der verkürzten Gymnasialzeit sei NRW inzwischen bundesweit das Schlusslicht beim Geschichtsunterricht. Mit fatalen Folgen für die Studierfähigkeit der jungen Erwachsenen. Geschichte gibt es hierzulande in der Unter- und Mittelstufe oft nur noch in drei Schuljahren (insgesamt sechs Wochenstunden).

Oberhausen. 

„Gegen das Vergessen“ ist ein großes Motto in diesen an Gedenktagen reichen Wochen. Nur: Wie soll man sich an etwas erinnern, von dem man nie erfahren hat? Geschichte scheint für viele Jugendliche eine unendliche Kette von Fragezeichen zu sein. Patrizier und Plebejer? Nie von gehört. Hexenbulle – und was macht die Hexenkuh? Napoleon? Ach ja, das war so ein Franzose.

Mit der Erinnerung ist das so eine Sache im Grundkurs Geschichte Q1 des Sophie-Scholl-Gymnasiums Oberhausen. Erinnerung woran?, fragen sich die 16- bis 18-Jährigen. Im Galopp sind sie – wie viele andere Schüler in NRW – durch die Epochen gestürmt. „Wir hatten mal in der 9. Klasse eine Referendarin, bei der war Napoleon Thema. Aber darüber weiß ich praktisch nichts mehr“, erzählt Daniela Weber (17). „Über das Mittelalter und die Antike haben wir in der Mittelstufe zu wenig erfahren. Ich weiß was über das 18. und 19. Jahrhundert“, sagt Leonie Wolf (16). Und Sabrina Berg (17) fragt, warum es eigentlich immer nur die deutsche Geschichte sein muss.

Nicht nur was für Guido Knopp

Der Landesverband der Geschichtslehrer unterstreicht diese Einschätzungen: Die Schüler lernen zu wenig Geschichte. In Nordrhein-Westfalen noch viel weniger als in anderen Ländern. Ein Grund: Die Umstellung auf G8. Während in den 1970-er Jahren Geschichte meist durchgehend von Klasse 6 bis 10 gegeben wurde, waren es später in der Mittel- und Unterstufe nur vier Schuljahre und heute: drei. Zum Beispiel in den Klassen 6, 7 und 9. Drei mal zwei Wochenstunden für die ganze große Vergangenheit. „In Bayern, Sachsen, in fast allen Ländern sind es noch vier Jahre“, rechnet Peter Droste, der Verbandsvorsitzende. Weil Droste auch an einer Uni lehrt, kennt er die Konsequenz: eingeschränkte Studierfähigkeit der Abiturienten in diesem Fach. Denn an den Hochschulen hat keiner auf der Rechnung, dass für die Erstsemester das alte Griechenland und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation böhmische Dörfer sind.

Geschichte als Problemfach – das ist laut Verband nicht allein so an den Gymnasien, sondern auch den Haupt- und Realschulen („Da unterrichten oft fachfremde Lehrer“) und an Gesamtschulen („Da ist Geschichte mit Politik und Erdkunde Teil der Gesellschaftslehre. Die Gewichtung hängt sehr vom einzelnen Lehrer ab.“).

Für Peter Droste und seine Vorstandskollegen Rolf Brütting (Dortmund) und Holger Schmenk (Oberhausen) ist Geschichte „die Mathematik unter den Geisteswissenschaften“. Die Disziplin dürfe nicht zum Laberfach verkommen. Und seine Vermittlung dürfe nicht allein populären TV-Historikern wie Guido Knopp überlassen werden.

Im Grundkurs Geschichte am Scholl-Gymnasium sitzt übrigens eine Austauschschülerin aus Frankreich: Louise Fusenig (17) aus Compiègne. Das ist jene Stadt, in der 1918 der Waffenstillstand des Ersten Weltkrieges unterzeichnet worden war. Für französische Schüler historisches Basiswissen. Auf dieser Seite der Grenze hingegen schon eher was für Fortgeschrittene.

Staatsschutz ermittelt in Oberhausen

„Wer wenig über Geschichte weiß, der ist leicht manipulierbar“, warnt Rolf Brütting. Am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Oberhausen war die Aufregung groß, als jüngst NS-Parolen auf Schüler-Handys auftauchten. Ein gelber Smiley mit Hitlerfrisur und -schnäuzer und der Spruch „Du wurdest gerade gehitlert! Ich bin jetzt dein Führer“ gelangten auf die Mobiltelefone von Schülern der 7. und 8. Klassen. Der Staatsschutz Essen ermittelt inzwischen, und das Gymnasium reagierte. Die Theresienstadt-Überlebende Margot Friedländer (91) berichtete dort jetzt vor 200 Schülern aus ihrer Geschichte.