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Reiner Hoffmann ist der Hoffnungsträger des DGB

Reiner Hoffmann ist der Hoffnungsträger des DGB

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Foto: dpa
Der neue DGB-Chef will mehr Mitbestimmung und mehr Europa. Am Montagvormittag ist der Wuppertaler Reiner Hoffmann mit großer Mehrheit zum Nachfolger von Michael Sommer gewählt worden. Er ist kein Freund von Krawallreden. Sein Vorbild ist der freundliche Sozialdemokrat Johannes Rau.

Berlin. 

Der Chemie-Gewerkschafter Reiner Hoffmann ist neuer Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die knapp 400 Delegierten des 20. DGB-Bundeskongresses wählten den 58-Jährigen am Montag in Berlin mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger von Michael Sommer an die Spitze des Dachverbandes von acht Einzelgewerkschaften.

Hoffmann erhielt 365 von insgesamt 392 abgegebenen Stimmen. Das entspricht einer Zustimmung von 93,1 Prozent. Es gab 27 Neinstimmen und keine Enthaltung. Hoffmann hatte keinen Gegenkandidaten. Sein Vorgänger Michael Sommer (62) hatte nach zwölfjähriger Amtszeit nicht mehr kandidiert. Ein Generationswechsel ist es nicht, der Neue ist mit 58 Jahren nur vier Jahre jünger als der alte Gewerkschaftsboss.

Hoffmann will die Gewerkschaften stärker europäisch ausrichten. Und er will die Humanisierung der Arbeitswelt, bessere Arbeitsbedingungen für alle, in den Mittelpunkt stellen. Schon vor seiner Wahl auf dem DGB-Kongress am Montag kündigt der Diplom-Ökonom an: „Wir setzen uns mit Politik und Arbeitgebern zusammen und entwickeln eine neue Humanisierungsstrategie, damit die Menschen länger arbeiten können.“

Aber ein Mentalitätswechsel ist es schon: Sommer hat sich seinen Aufstieg aus kleinsten Verhältnissen erkämpfen müssen, die Jugend als uneheliches Kind einer Kriegerwitwe hat ihn geprägt, er trat – auch mal mit polternden Reden – als Anwalt der kleinen Leute auf. Hoffmann, in Wuppertal als Sohn eines Maurers aufgewachsen, ist eher der Typ des nüchternen Gewerkschaftsmanagers – pragmatisch, umgänglich, aber auch noch ein wenig spröde und farblos.

Der bisherige Landesbezirksleiter Nordrhein der IG Bergbau, Chemie, Energie hat den Führungsjob vor allem wegen seiner Europakompetenz bekommen. Hoffmann hat, nach Wirtschaftsstudium und Tätigkeit für die Hans-Böckler-Stiftung, 15 Jahre für die Gewerkschaften in Brüssel gearbeitet – zuletzt als Vize-Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds. Jetzt soll er, das ist die Erwartung, den deutschen Gewerkschaften mehr Europakompetenz vermitteln. „Wir müssen europäischer werden. Wir wollen mehr Druck auf die Regierung ausüben, damit sie europapolitisch einen offensiveren Kurs fährt“, sagt er. Ziel sind gemeinsame Sozial- und Arbeitsstandards in Europa.

Zugleich wird der neue Chef den DGB thematisch breiter aufstellen: Die großen Mindestlohn-Kampagnen sind – erfolgreich – abgeschlossen, mit Hoffmann wird der DGB eine Mitbestimmungsoffensive starten, für eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes kämpfen. Es soll nicht nur über prekäre Jobs gesprochen werden, auch Besserverdiener sollen sich nach Hoffmanns Willen in den Gewerkschaften gut aufgehoben fühlen – er war es, der Anfang des Jahres für den DGB überraschend forderte, die Arbeitnehmer steuerlich mit einem Abbau der kalten Progression zu entlasten.

Zugleich wirbt der Chemiegewerkschafter für ein Bündnis, das eine „gemeinsame Humanisierungsstrategie“ von Politik und Tarifpartnern entwickeln soll: „Wie nutzen wir die nächsten Jahre dazu, dass die Leute länger gesund erwerbstätig bleiben können?“

Die Macht des DGB-Chefs, solche Veränderungen einzuleiten, ist begrenzt. Er repräsentiert zwar rund 6,1 Millionen Mitglieder, aber das Sagen haben die acht Einzelgewerkschaften, vor allem die großen Tanker IG Metall und Verdi. Der DGB-Boss ist da mehr eine Art Außenminister. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel sagt: „Der DGB ist die politische Stimme der Gewerkschaften und muss die Themen der Einzelgewerkschaften in der Politik vertreten.“

Mitgliederschwund ist kein großes Thema mehr

Dafür zumindest sind Hoffmanns Aussichten gar nicht schlecht: „Ich übernehme die Gewerkschaften in gutem Zustand. Dies und eine Große Koalition, die sich offen zeigt für die Anliegen der Beschäftigten, sind eine große Chance“, meint er. Tatsächlich ist die schwarz-rote Koalition mit Mindestlohn oder Rente mit 63 gewerkschaftlichen Wünschen so weit nachgekommen wie schon lange keine Regierung mehr. Und der Mitgliederschwund der Gewerkschaften ist zumindest gebremst, wenn auch nicht gestoppt.

Das ist eine späte Genugtuung für den scheidenden Michael Sommer, der lange Zeit von solchen Bedingungen nur träumen konnte: Als der frühere Postgewerkschafter 2002 das Amt antrat, erlebten die Gewerkschaften einen dramatischen Mitglieder- und Bedeutungsverlust, der von lähmenden Grabenkämpfen begleitet war. Dann stürzte 2003 die Agenda 2010 von Kanzler Gerhard Schröder die Gewerkschaften in Konflikte.

Sommer nennt es ein persönliches Scheitern, dass er die Arbeitnehmerorganisationen damals nicht auf eine einheitliche Position zur Agenda 2010 bringen konnte; zeitweise wurde in den Gewerkschaften sogar diskutiert, ob man den DGB als Dachverband überhaupt noch brauche. Aus den Erfahrungen mit Schröder und seinem abruptem Reformkurs hat Sommer, ebenso wie Hoffmann SPD-Mitglied, die Lehre gezogen, sich unabhängiger zu machen von der SPD: „Gewerkschaften sind keine Erfüllungsgehilfen für Parteien, sie müssen parteipolitisch unabhängig sein“.

Kanzlerin Angela Merkel hat das honoriert: Mit ihr hat Sommer gut zusammengearbeitet, oft lobt er ihren pragmatischen Kurs. Hoffmann wird an das gute Arbeitsverhältnis zur Kanzlerin wohl anschließen, aber er betont auch das gute Verhältnis zur SPD-Führung und sagt: „Wir wissen, wo unsere politischen Wurzeln liegen.“ (mit dpa)