Veröffentlicht inPolitik

Ramadan stellt Muslime in diesem Jahr auf eine harte Probe

Ramadan stellt Muslime in diesem Jahr auf eine harte Probe

49250392918936.jpg
Fastenbrechen im Ramadan in Gelsenkirchen Foto: Archiv/Udo Milbret, Funke Foto Services
Diesen Donnerstag beginnt der Ramadan. Muslime, die dann fasten, stehen vor einer harten Probe: Ihnen bleiben ganz wenige Stunden fürs Fastenbrechen.

Essen/Duisburg. 

Wenn Ünsal Başer in den kommenden gut vier Wochen morgens bereits so gegen halb vier Uhr in der Nacht sein Frühstück einnehmen wird und sich dann meist nochmal hinlegt, liegt das nicht am Schichtplan auf seiner Arbeit beim Hüttenwerk Krupp-Mannesmann in Duisburg (HKM). An diesem Donnerstag beginnt der Ramadan – der Fastenmonat. Für gläubige Muslime ist mit dem gemeinsamen Fasten die besondere Hingabe an Allah und Disziplin und Gewissenhaftigkeit im Glauben verbunden. In diesem Jahr ist das eine besondere Herausforderung.

Was ist der Ramadan?

  • Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Kalenders. Und er markiert die Fastenzeit für Muslime. Das Fasten im Monat Ramadan stellt eine der fünf Säulen des Islams dar. Sie gehört zu den Hauptpflichten, die ein Muslim als Gottesdienst durchführt.

Ünsal Başer ist einer von gut 1,4 Millionen Muslimen in NRW; über die Zahl liegen nur Schätzungen vor, geht aus einer Untersuchung des NRW-Sozialministeriums zum Muslimischen Leben in NRW hervor, Stand 2010. Laut einer repräsentativen Befragung in Deutschland aus dem Jahr 2013 würden sich 44 Prozent der Muslime als „hochreligiös“ bezeichnen – bei den Christen waren es laut dieser Befragung nur 26 Prozent. Dennoch: Nicht jeder Muslim wird in den kommenden Tagen bis zum 16. Juli tatsächlich fasten. Gleichwohl dürften nach Einschätzung des Essener Zentrums für Türkeistudien (ZfTI) deutlich mehr Muslime fasten, als etwa täglich dem Koran folgend rituell beten.

Wann im Jahr ist der Fastenmonat Ramadan?

  • Der Fastenmonat verschiebt sich jährlich um etwa zehn Tage nach vorne, weil sich der islamische Kalender nach dem Mond richtet: Jeder Monat beginnt, „wenn die zarte Mondsichel nach Neumond erstmals sichtbar ist“. Weil sich der islamische Kalender nicht nach der Sonne richtet, ist das islamische Jahr gut zehn Tage kürzer als nach dem gregorianischen Kalender, der weltweit verbreitet ist und auf Papst Gregor, 1582, zurückgeht. Weil Ramadan also nie zur gleichen Zeit im Jahr ist, fällt die Fastenzeit für Muslime in diesem Jahr in den Sommer und just in die Zeit, in der die Nächte am kürzesten sind und die Tage am längsten hell.

Ünsal Başer hat sich auch in diesem Jahr vorgenommen, zu fasten: „So lang ich es schaffe“, sagt der 28-Jährige, der bei HKM in Duisburg freigestelltes Betriebsratsmitglied ist. „Die Zeit zu essen reduziert sich diesmal auf vier bis fünf Stunden in der Nacht“, sagt Başer. Auch trinken darf er tagsüber nichts – so schreiben es die Fastenregeln vor. „Das wird hart“, sagt er. Noch härter freilich treffe es die Kollegen, die direkt am Hochofen arbeiten. Manche hätten wegen des Ramadans Urlaub genommen, andere hätten Einsatzschichten in arbeitsfreundlichere Fastenstunden verlegt. Auch Başer sagt, „ich habe mich mit meinem Chef abgesprochen“. Er fängt in den Fastentagen etwas später mit der Arbeit an. Manche Kollegen, weiß Başer, würden sich dem Fasten auch verweigern. „Wer es körperlich nicht schafft, etwa weil die Arbeit zu hart ist, kann es zum Beispiel zu anderen Zeiten nachholen“.

Wer soll im Ramadan fasten – und wer braucht es nicht?

Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien hat den Ramadan erstmals als Schüler praktiziert, als er 15 Jahre alt war. „Man will sich selbst etwas beweisen“, beschreibt er. Er gibt dem religiösen Fasten auch eine „erzieherische Dimension“, das Fasten fördere zum Beispiel die Disziplin. Und es führe zu mehr Mitmenschlichkeit: „Wenn man am Tag selbst hungert, kann man mit Menschen, die in Armut leben, anders mitfühlen.

Ünsal Başer hat ebenfalls als Schüler erstmals gefastet. Auch er sieht das Fasten als eine Art religiöser und körperlicher Herausforderung: „Man will zeigen, dass nicht der Körper den Kopf bestimmt, sondern umgekehrt“. Başers Premiere lag in den Weihnachtsferien, erinnert er sich. „Da war es schon am Nachmittag dunkel – und das tägliche Fastenbrechen begann angenehm früh. Başer richtet sich nach einem Orts-genauen Fastenkalender, der die Uhrzeiten zwischen Fastenbeginn und Fastenbrechen minutiös vorgibt. An diesem Donnerstag etwa müssen sich Muslime in Duisburg zum Beispiel zwischen 3.45 Uhr und 21.59 Uhr in strikter Enthaltsamkeit üben.

Was heißt Fasten im Ramadan?

  • Wer als Muslim fastet, darf zwischen Sonnenauf- und -untergang keine Nahrung aufnehmen, nichts trinken – und muss in allen Bereichen Enthaltsamkeit üben. Das heißt, auch Rauchen ist in diesen Stunden Tabu und Geschlechtsverkehr. Der Muslim soll im Ramadan zudem noch mehr als sonst darauf achten, sich gänzlich von Sünde freizuhalten. Er soll nichts Verwerfliches bewusst anschauen, nichts Schlechtes reden, auf nichts Böses hören und nichts Verabscheuungswürdiges tun. Während der fastende Körper ‚auf Entzug‘ ist, gelangt seine Seele in den Zustand erhöhter geistiger Wachsamkeit. Diese in vielen Kulturen und Religionen bekannte existentielle Erfahrung des Fastens macht den Geist empfänglich für die so dringende „geistige Entschlackung“ und Reinigung. (Quelle: www.islam.de).

Über gut 18 Stunden des Tages müssen Muslime in diesem Jahr fasten. „Das Problem ist eher das Trinken“, erklärt Ünsal Başer. Bis der Körper sich auf den Fasten-Rhythmus eingestellt habe, brauche es zwei bis drei Tage. Am Ende eines Fastentages stünden dann „vier Stunden Dauertrinken an“, sagt Başer – Wasser, „bloß nichts Süßes“, erklärt er. „Ich versuche, dann die von Ärzten empfohlene Menge von drei Litern zu trinken“. Was ebenfalls nicht einfach sei, wenn man so viele Stunden gar nichts getrunken habe.

Auch beim Essen könne man so spät am Abend nicht so einfach ‚voll zuschlagen‘: viel Wasserhaltiges käme auf den Tisch, wie Obst und Gemüse. „Wassermelonen sind dann sehr beliebt“, sagt Başer, und Schlangengurken. Zum – nächtlichen – Frühstück stelle er sich zudem auf Haferflocken um. Aber auch in der kurzen Phase des Fastenbrechens gelte es, Enthaltsamkeit zu üben: „Richtig reinhauen geht nicht beim Frühstück – weil der Körper dann im Laufe des Tages zu unruhig wird“.

Was bedeutet das Wort Ramadan?

  • Ramadan bedeutet „der heiße Monat“. Das Wort hat arabische Wurzeln, die „brennende Hitze und Trockenheit” bedeuten. Mit Blick auf das Fasten wird damit wohl auf das Hitzegefühl im Magen angespielt, das vom Durst erzeugt wird. Es gibt auch Interpretationen, wonach der Ramadan „die Sünden ausbrennt wie die Hitze den Boden“. Im Ramadan „sind Herz und Seele für die Anbetung und das Gedenken an Gott empfänglicher, so wie Sand und Steine für die Hitze der Sonne. So hilft der Ramadan dem Gläubigen sich neu zu formen und seine physischen und geistigen Veranlagungen und Verhalten zu erneuern“. (Quelle)

Für Yunus Ulusoy stärkt der Ramadan den Zusammenhalt in der muslimischen Community. „Das Leben verlagert sich in die Nacht“ – und das Fastenbrechen wird zum Familienfest. „Man wird häufig bei anderen eingeladen oder lädt selbst Menschen ein“. Öffentliches Fastenbrechen sei zudem ein Trend, den man zunehmend auch in Deutschland beobachte, sagt Ulusoy. „Ramadan hat eine sehr starke gesellschaftliche Ausstrahlung“, beschreibt der Forscher des Essener Zentrums für Türkeistudien.

Wann endet der Ramadan in diesem Jahr?

  • Am Ende des Ramadans steht immer ein Fest, das über drei Tage geht; in diesem Jahr vom 17. bis 19. Juli. Das Fest beginnt mit einem besonderen Festgebet. Das Festgebet beginnt nach Sonnenaufgang und beinhaltet zwei Gebetsabschnitte und eine Ansprache. „Die Muslime beglückwünschen sich gegenseitig nach dem Festgebet und drücken ihren Wunsch aus, dass Gott (Allah) ihr Fasten und ihre übrigen Gottesdienste annehmen möge. „In den drei Tagen des Fastenbrechens werden Verwandte und Bekannte besucht, wobei gewöhnlich die Jüngeren die Älteren mit ihren Besuchen ehren.“ (Quelle)

Gebote des Fastens kennen wohl alle Religionen. Sie werden unterschiedlich praktiziert. In der Antike etwa war es Priestern auferlegt, vor wichtigen Entscheidungen zehn Tage zu fasten – weil das die Konzentration fördere. In der katholischen Kirche bedeutet Fasten heute zum Beispiel den Verzicht auf Fleisch. Genaue Vorschriften allerdings setzt die Bibel nicht, abgesehen vom Alten Testament, auf das sich das jüdische Fasten bezieht. Bei den Katholiken soll das Fasten der Buße dienen, für Sünden, derer man sich schuldig gemacht habe und als „Versöhnung mit dem Nächsten“ erklärt die Bonner Theologin und Historikerin Prof. Gisela Muschiol. Die Wirkung nach außen jedoch sei nicht angestrebt, im Gegenteil: „Wenn du fastest, dann pflege dein Äußeres so, dass keiner etwas von deinem Verzicht merkt“ heißt es dazu im Neuen Testament der Bibel (Matthäus 6, 16-18).

Bei Muslimen ist der Fastenmonat Ramadan „ein gemeinschaftliches Ereignis“ – und ein Gesellschaftliches, erklärt ZfTI-Forscher Ulusoy. Die Außenwirkung ihres Fastens sei bei Muslimen sehr wichtig und das Fastenbrechen stehe auch im Zeichen der Solidarität mit sozial Schwachen. Das gelte besonders für Muslime, die nicht fasten würden: „Wer vermögend ist, zahlt Bedürftigen dann eine Art Soli für die 30 Tage“. Und am großen Fastenfest ist es ebenfalls erwünscht, dass man sich Armen gegenüber großzügig zeige.

Wie ‚gesund‘ ist das Fasten im Ramadan?

  • Dass man ein paar Kilo Körpergewicht abspeckt, ist für Muslime nicht Ziel des religiösen Fastens. Studien zum Fastenverhalten im Ramadan hätten zudem gezeigt, „dass die Verlegung der Essenzeit in die Nacht keine Vorteile biete“ – jedenfalls nicht in punkto Abnehmen, sagt der Ernährungsforscher Prof. Peter Stehle von der Universität Bonn. Das strenge Fasten während der Tageszeit hätte „nur geringe Effekte auf ausgewählte Risikofaktoren“, ist also nicht so ungesund, wie es scheint. Gesundheitlich günstiger sei jedoch das Fasten nach griechisch-orthodoxen Regeln, meint Stehle: Die Nährstoffaufnahme werde optimiert, man nehme ab und optimiere den Blutlipidspiegel (senkt das Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko). Hintergrund: In der Orthodoxen Kirche gibt es vier mehrwöchige Fastenzeiten im Jahr, bei denen u.a. Fleisch, Eier, Milchprodukte verboten sind. An besonders strengen Fastentagen sind auch Fisch, Wein und Öl Tabu.

Für Ünsal Başer steht mit dem Fastenmonat Ramadan nun eine „besinnliche Zeit“ an – „wie Weihnachten bei den Christen“, meint er. „Das Fasten ist eine lange Zeit, in der man sich mit sich selbst beschäftigt“. Umso schöner sei dann der – diesmal sehr späte – Abend, „den ich dann viel mit der Familie und mit Freunden verbringe“. Gleichwohl leide der Körper, sagt Başer: „Nach der Arbeit verzichte ich im Ramadan auf weitere körperlichen Anstrengungen“, sagt der 28-Jährige. Rasenmähen zuhause, zum Beispiel, stehe in den kommenden Wochen erstmal nicht auf seinem Programm.