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Ohrlöcher, Tattoos, Sonnenbank – was dürfen Kinder wann?

Ohrlöcher, Tattoos, Sonnenbank – was dürfen Kinder wann?

Dürfen Eltern ihr Kind verletzen lassen, um es mit Schmuck zu verschönern? Oder ist das ein Fall von vorsätzlicher Körperverletzung? Ein Berliner Amtsrichter will diese Frage jetzt von Strafrechtlern klären lassen. Klare Verbote gibt es auch in anderen Fragen trotz langer Debatten bisher nicht.

Berlin/Essen. 

Niedliche Ohrstecker zum dritten Geburtstag: Diesen Wunsch ihrer Tochter fanden die Eltern in Ordnung. Im Tattoo-Studio geriet der Festakt jedoch zum Fiasko, als zwei Mitarbeiterinnen der Kleinen zeitgleich in die Ohrläppchen stachen. Das Kind habe ein Trauma erlitten, schrieb der Anwalt der Eltern. Zudem saßen die Löcher asymmetrisch; worauf die Eltern die Bezahlung verweigerten und das Studio auf Schmerzensgeld verklagten. Vor dem Amtsgericht Berlin endete der Zivilprozess am Freitag mit einem Vergleich: Das Studio ­zahlte der Kleinen 70 Euro Schmerzensgeld.

Zweifelhafte Kinderwünsche

Ob der Fall damit erledigt ist, bleibt offen. Richter Uwe Klett sagte mit Blick auf das Kölner Beschneidungsurteil, er würde gern klären lassen, ob es nicht generell strafbar sei, wenn Eltern einem Kleinkind Ohrlöcher stechen lassen. Selbst wenn es der Wunsch der Kleinen war, sei zweifelhaft, ob die Zustimmung der Eltern dem „Kindeswohl“ gedient habe, sagte er.

Dürfen jüdische und muslimische Eltern ihre Söhne aus religiösen Gründen beschneiden lassen? Das Kölner Land­gericht entschied im Juni, dass die Beschneidung eines Vierjährigen eine strafbare Körperverletzung ist.

Kein Piercing unter 16?

Ein Ohrloch, ein Piercing, ein Tattoo, kreisch-lila Haarpracht, nahtlose Bräune: davon träumen schon Kinder. In jedem Fall wird dabei die ­körperliche Unversehrtheit teils dauerhaft verletzt. Dürfen Jugendliche darüber selbst entscheiden?

Diese vorsätzlichen Körperverletzungen bleiben im Alltag straffrei, weil der Auftraggeber diese Verletzung wünscht. ­Jugendliche bis zum 16. Geburtstag schicken die meisten Tattoo-Studios aber gleich wieder heim – selbst wenn die Teenies ihre Eltern im Schlepptau haben oder eine Unterschrift zur geplanten „Verschönerung“ vorlegen können. Erst ab 18 haben Eltern keine Chance mehr, „Nein“ zu sagen.

Die „freiwillige Selbstkontrolle“ hängt mutmaßlich auch damit zusammen, dass erst 18-Jährige echte Geschäfts- und Vertragspartner sind. Kinder und Jugendliche können zwar Einkäufe im Taschengeld-Format erledigen; schließen sie teure Verträge ab, können Eltern aber die Rückabwicklung und im Ernstfall Schadenersatz verlangen. Drohende Klagen wütender Väter und Mütter wollen seriöse Studios daher erst gar nicht riskieren.

Angesichts der neuen Debatte will sich nun auch der Rechtsausschuss des Bundestags in der nächsten Sitzung mit dem Themenkomplex befassen. Die Problematik der Beschneidung stehe ohnehin auf der Tagesordnung, sagte der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU) auf dapd-Anfrage. In dem Zusammenhang werde auch über Tattoos und Piercings diskutiert. Die Frage sei, ab wann der Gesetzgeber eingreifen müsse.

Viele Urteile, wenig Gesetze

Auch zu vielen anderen Fragen gibt es heute Urteile, aber keine Gesetze. Für Hans-Jürgen Schimke, langjähriger Rechts-Professor und Vize-Chef des NRW-Kinderschutzbundes, zählt vor allem dieser Aspekt: „Das Grundgesetz verpflichtet Eltern, ihr Kind vor Schaden zu bewahren und in seiner Entwicklung zu fördern. Das schließt eben auch die Pflicht ein, mit ihrem Kind zu reden. Da müssen auch Eltern einiges aushalten und dazu beitragen, bei Konflikten in der Familie Einvernehmen herzustellen.“

Könnten Jugendliche die Tragweite und die Folgen – etwa eines Piercings – begreifen und übersehen, könnten Eltern rechtlich nichts verhindern. „Eingreifen könnten sie oder das Jugendamt erst, wenn das Kindeswohl stark gefährdet wäre. Das ist aber muss in jedem Einzelfall geklärt werden.“

Kinder auf der Sonnenbank?

Nein, entschied das Bundesverfassungsgericht Ende 2011 und wies die Verfassungsbeschwerde gegen das „Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung“ von 2009 zurück. Das Gesetz verbietet Minderjährigen, Sonnenbänke in Studios oder öffentlichen Räumen zu benutzen. Die Begründung: Das Risiko, im Erwachsenenalter an Hautkrebs zu erkranken, steigt bei Menschen, die bereits in Kindheit und Jugend verstärkt künstlicher ultravioletter Strahlung ausgesetzt waren – und damit sollen die Studiobetreiber nicht auch noch Geld verdienen. Ihr Recht auf Bräune wollte eine 17-Jährige vor dem Verfassungsgericht geltend machen. Doch die Richter blieben hart: Jugendliche gehören nicht auf Studio-Sonnenbänke. Unter privaten Röhren dürfen Minderjährige weiter liegen.

16 Jahr’, buntes Haar

Quietschbuntes Haar, von Meisterhand gefärbt: Das gibt es seit 2011 erst für junge Leute ab 16. Die EU-Richtlinie 76/768/EWG untersagt den Einsatz bestimmter Farbstoffe für Kinder und Jugendliche, weil sie zu gefährlichen allergischen Reaktionen führen können. In England soll ein junges Mädchen an einem solchen Schock im Salon gestorben sein. Auch Drogeriemärkte oder Supermärkte müssen darauf achten, dass Haarfärbemittel mit dem Wirkstoff Paraphenylendiamin (PPD) nicht an Jugendliche unter 16 verkauft werden.

„Diese Richtlinie ist kein Verbot, sondern ein Gebot aus Europa. Die meisten Fachbetriebe halten sich aber freiwillig daran“, sagt Frank Kulig, Obermeister der Friseurinnung Dortmund. Die Begründung ist für ihn nachvollziehbar: „Jede Chemie am Körper ist ein Eingriff in die Natur – ein Restrisiko bleibt. Bei Kindern gilt besondere Vorsicht.“

Er erlebt immer mal wieder auch dies: „Mancher Mutter ist es durchaus recht, wenn ich als Experte dem Filius klar sage: Nein, diese Färbung mache ich bei dir nicht. Du kannst das natürlich zu hause selber machen – aber ich finde das zu riskant.“

Wenn dann Mutter und Sohn oder Tochter erleichtert und geknickt, aber entspannt den Salon verlassen, weiß er: Das war ein Beitrag zum Familienfrieden. (mit dapd)