Alexander Gauland sitzt da wie der arglose Onkel, der die Welt nicht mehr versteht.
„Dammbruch“ ist das Wort der Wahl bei Kritikern, ein „rote Linie“ sei in Thüringen überschritten worden – und der AfD-Chef sitzt in der Talkrunde von Maybrit Illner im ZDF und sagt mit Unschuldsmiene: „Es klingt so, als wenn das ein Putsch war. Aber es war eine ganz normale Wahl.“
Damit ist schon der Grundstein für das Problem gelegt, das deutsche Talkshows seit Jahren immer wieder haben. Doch dazu später.
Maybrit Illner: Thüringen-Wahl war Thema
Die Stimmung in ganz Deutschland der Thüringen-Wahl zeigt: Ganz normal war das nicht, was am Mittwoch im Thüringer Landtag passiert ist. Die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten mithilfe der AfD hat für einen Aufschrei gesorgt, Tausende protestierten auf der Straße.
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„Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld konterte bei Maybrit Illner sogleich Gaulands Unschuldsbekenntnis: „Das kann man nicht so stehenlassen, das war keine normale Wahl.“
Dass die AfD-Abgeordneten ihren eigenen Kandidaten Christoph Kindervater chancenlos sahen und ihre Stimmen einem FDP-Mann gaben – geschenkt. „Was man aber nicht macht: man schickt seinen eigenen Kandidaten dann nicht ein drittes Mal ins Rennen, sondern zieht ihn zurück. Aber Sie wussten, wenn Sie das tun würden, würde Kemmerich gar nicht antreten. Das ist Abzocken.“
Alexander Gauland bei Maybrit Illner: „Es ist Unsinn, dass Herr Höcke ein Faschist ist“
Das passt zu dem, was Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller freimütig nach der Wahl erklärte: „Das war ja die Strategie. Wir haben ja versucht, Herrn Kemmerich als Gegenkandidaten aufs Podium zu locken, hat er auch gemacht. Dann haben wir ihn planmäßig gewählt.“
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Alexander Gauland sagt jetzt trotzdem stur: „Nein, das stimmt nicht.“ Statt das weiter auszuführen, macht er ein neues Fass auf: „Was man auch nicht stehen lassen darf ist, dass wir Faschisten sind.“ Pause. „Es ist Unsinn, dass Herr Höcke ein Faschist ist.“ Es folgt: Wortklauberei.
- Dagmar Rosenfeld: „Sie haben gesagt, Herr Höcke ist die Mitte der Partei.“
- Gauland: „Das habe ich nie gesagt. Ich habe gesagt: Er steht inmitten der Partei. Wie ich. Wie alle AfD-Mitglieder.“
- Rosenfeld: „Höcke, das ist der gleiche Mann, den Ihre Partei vor zwei Jahren ausschließen wollte, weil nach Ansicht der eine antibürgerliche Fundamentalopposition betreibe.“
(Anm. d. Red.: Gauland hatte am 27. Oktober 2019 über Höcke, den Spitzenkandidaten seiner Partei bei der Thüringer Landtagswahl, gesagt: „Also, Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts. Herr Höcke ist die Mitte der Partei.” (dpa))
Die Talkrunde bei Maybrit Illner macht den selben Fehler, den Talkrunden seit Jahren machen: Sie geht dem AfD-Mann auf den Leim.
AfD hat in Thüringen keine Leistung erbracht
Plötzlich ist wieder die AfD der Mittelpunkt. Dabei hat die Partei in Thüringen keine Leistung erbracht, keinen Sieg errungen, nicht mal clever getrickst – sie wirkt größer, als sie ist.
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Maybrit Illner – die Gäste:
- Linda Teuteberg, FDP-Generalsekretärin
- Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
- Janine Wissler, stellv. Linken-Chefin
- Alexander Gauland, AfD-Fraktionschef
- Dagmar Rosenfeld, „Welt“-Chefredakteurin
- Robert Habeck, Grünen-Chef
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Denn das eigentliche Problem im Thüringer Landtag waren am Mittwoch FDP und CDU, die das blöde Spielchen von rechts mitgespielt haben. Während sich FDP-Frau Linda Teuteberg in Rechtfertigungsversuchen ergeht, bringt es einzig Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf den Punkt: Er sehe im Landtag „eine Ansammlung von Menschen, die nur ihr Eigenes sehen, die nicht die Verantwortung für das Ganze übernehmen.“
In Thüringen sähen sich „alles als Feinde“ statt als politische Mitbewerber.
„Neuwahlen sind ein Weg“
Die AfD kanzelt der CDU-Mann schnell ab: „Diese Reden von der AfD, die ich im Deutschen Bundestag höre, sind in einem Maße faschistoid gewesen, dass mir Angst und bange wird und ich alles dafür tun werde, dass Sie nie in Verantwortung kommen werden.“
In Thüringen soll es nicht um die AfD gehen, sondern um die Mehrheit. Kretschmer drückt es so aus: „Man kann nur hoffen, dass alle jetzt wieder vernünftig werden und miteinander reden. Neuwahlen sind ein Weg.“ Vielleicht der einzige, der den gordischen Knoten in Thüringen zerschlagen kann.