Massenerschießungen und Todesmärsche zum Ende des Krieges
In der Endphase des Krieges kennt der NS-Terror kein Maß mehr. Es kommt zu Massenerschießungen und Todesmärschen. Tausende Menschen sterben.
Südwestfalen.
In den Wochen vor dem alliierten Einmarsch fielen allein im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet Tausende von Menschen den Tötungsaktionen bei den sogenannten Endphaseverbrechen zum Opfer. Dazu gehörten Häftlinge, Zwangsarbeiter, Deserteure und Zivilpersonen, die durch „defätistische“ Bemerkungen aufgefallen waren.
Im Dortmunder Rombergpark, in der Bittermark und an anderen Orten der Stadt erschoss die Gestapo zwischen dem 7. März und dem 9. April mehr als 250 Personen. In Bombentrichtern und Wäldern im Umkreis von Hagen wurden die Leichen von mindestens 46 Menschen gefunden, „die Zahl der allein in Hagen in den letzen Kriegswochen ermordeten Personen liegt wahrscheinlich höher“, so der Historiker Dr. Ralf Blank.
Zwischen dem 20. und 23. März wurden im Arnsberger Wald über 200 „Ostarbeiter“ von Angehörigen der Wehrmacht und der Waffen-SS ermordet, darunter auch Kinder.
Mit Todestrecks in Richtung Osten
„Schießbefehle“, wie sie im März 1945 mehrfach durch den südwestfälischen Gauleiter Albert Hoffmann in Umlauf gebracht wurden, erklärten bestimmte Personengruppen regelrecht für vogelfrei. Das galt vor allem für ausländische Arbeitskräfte, besonders die sogenannten Ostarbeiter und sowjetische Kriegsgefangene. Diese wurden, wenn sie ihre Unterkünfte und Arbeitsplätze im östlichen Ruhrgebiet durch Bombenangriffe verloren hatten, ab Ende 1944 von den Befehlshabern zu Trecks versammelt und unter Bewachung durch das Sauerland in Richtung Osten geschickt – das waren oft genug Todesmärsche.
Das Vorgehen der Gestapo bei den Erschießungen ähnelte den Massenmorden der Einsatzgruppen in den Ostgebieten: Die Opfer mussten sich am Rand einer Grube aufstellen und wurden erschossen.
Andere mussten sich auf den Grund von Bombentrichtern legen, um erschossen zu werden. Die am Rand des Trichters wartende neue Gruppe legte sich schichtweise auf die bereits Ermordeten, bis der Trichter voll war. Anschließend wurde der mit Leichen gefüllte Bombentrichter verschlossen, planiert und – wenn die Gestapo noch Zeit dafür hatte – bepflanzt.
Vernichtungswille der Nazis ohne Maß
Dass jedes Rechtsempfinden dem Terror gewichen war, belegt der Fall des kanadischen Piloten Thomas Delmer Scott. Der Heckschütze war beim letzten Großangriff auf Hagen abgesprungen, nachdem seine Maschine Flaktreffer erhalten hatte, und wurde am 17. März ins Gerichtsgefängnis eingeliefert – und eben nicht der Wehrmacht als Kriegsgefangener übergeben.
Am 3. April wurde der 29-Jährige von der Gestapo abgeholt und in die Nähe der früheren Gaststätte Waldfrieden geführt, wo er zusammen mit elf ungarischen Zwangsarbeitern erschossen wurde. „Ein Gestapo-Mitarbeiter verplapperte sich später beim Kriegsverbrecher-Prozess in Iserlohn. Es war ihnen bekannt, dass es sich bei Scott um einen britischen Flieger gehandelt habe und er sei aus Rache erschossen worden“, so Blank.
Der Vernichtungswille der Nazis kannte in den letzten Kriegstagen kein Maß. Ein Wehrmachtsdeserteur und deutsche Untersuchungshäftlinge der Justiz wurden von der Hagener Gestapo noch wenige Stunden vor dem US-Einmarsch ermordet. Das Ziel dieser Aktionen war nicht nur, „unerwünschte Elemente“ hinzurichten. Vor allem sollten damit Zeugen liquidiert werden, die später über die NS-Verbrechen hätten aussagen können.
Literatur zum Thema:
Ralf Blank, „Bitter Ends“. Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs im Ruhrgebiet 1944/45. Klartext-Verlag, 364 Seiten, zahlr. Abb., 22,95 Euro.
P. Bürger / J. Hahnwald: Zwischen Jerusalem und Meschede. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkriegs und die Geschichte des Mescheder Sühnekreuzes. Der Text ist kostenlos abrufbar.