Debatten über den Kanzleramtsetat waren schon Sternstunden. Bei der schwarz-roten 80-Prozent-Mehrheit wirkt der Bundestag wie gelähmt. Eine Auseinandersetzung gibt es nicht um Regierungspolitik, sondern um Oppositionsführer Gysi. Von Kriegen und Nazis ist die Rede.
Berlin.
Anton Hofreiter fuchtelt mit den Händen, sein langes, aschblondes Haar hüpft im selben Rhythmus auf und ab, er schimpft und zetert. Deutschland habe so viel Geld und Potenzial. „Warum machen Sie und ihre Regierung so wenig daraus?“ schreit der Grünen- Fraktionschef der Kanzlerin entgegen. So kann Angela Merkel die Kritik nicht überhören, auch wenn die Christdemokratin gerade mit der Sozialdemokratin Andrea Nahles plaudert. „Kein Drive, keine Visionen, kein Mut – das ist der Sound dieser Koalition“, klagt Hofreiter.
Ob gespielter oder echter Wutausbruch – es ist einer der wenigen lebendigen Momente am Mittwoch im Bundestag in dieser Generalaussprache über den Etat des Kanzleramts, die eine Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition sein soll. Nur, Merkel setzt sich nicht auseinander. Sie teilt mit.
Merkel spricht – das Parlament schweigt
Über 40 Minuten listet sie auf, was die Regierung so macht oder noch vorhat. Haushaltskonsolidierung, Herkulesaufgabe Energiewende, Mindestlohn, Rentenpaket, Pflegereform, Digitalisierung, Geld für Bildung. Ein bisschen Ausblick auf den bevorstehenden wichtigen EU-Gipfel mit einem erneuten Bekenntnis zu Jean-Claude Juncker als künftigen EU-Kommissionspräsidenten und der abermaligen Mahnung zur Einhaltung des Stabilitätspakts. Aber keine Hinweise, mit welchen Zugeständnissen an Großbritannien dessen Premierminister David Cameron noch zu einem Einschwenken auf Juncker bewegt werden soll.
Im Parlament herrscht Schweigen. Kaum Zwischenrufe der Opposition, mauer Beifall der Union. Phasenweise wirken die Abgeordneten-Ränge leerer als die Tribünen. Und die sind an diesem Tag spärlich besetzt. Alles wirkt betäubt.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann lobt noch die Union für die gute Zusammenarbeit und Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) revanchiert sich mit einem herzlichen Dankeschön dafür, „dass wir Bemerkenswertes geleistet haben“. Nicht einmal hier stöhnen Linke und Grüne auf. Als wollten sie die schwarz-rote Macht einer 80-Prozent-Mehrheit jetzt einfach nur über sich ergehen lassen und die Kraft für Wichtigeres aufsparen. Etwa für die von Union und SPD über Nacht durchgezogene Reform der Ökostrom-Förderung.
Gysi kritisiert Gauck wegen Äußerungen zu Bundeswehreinsätzen
Oppermann und Kauder aber schießen sich auf den Vorsitzenden der Linksfraktion, Gregor Gysi, ein. Nicht für seinen Vorwurf der sozialen Kälte oder seine Kritik an immer noch niedrigeren Rentenleistungen in Ostdeutschland, 25 Jahre nach dem Mauerfall. Auch nicht für seine Formulierung, Merkel verhalte sich in der Abhöraffäre des US-Geheimdienstes NSA gegenüber US-Präsident Barack Obama „duckmäuserisch“. Nein. Sie greifen Gysi wegen seiner Kritik an Äußerungen des Bundespräsidenten zu Bundeswehreinsätzen an.
Gysi hatte gesagt: „Alle Kriege der letzten Jahren haben die Menschheitsprobleme nicht gelöst, sondern verschärft (…) Was sagt unser Bundespräsident? Wir sollen noch mehr an Militäreinsätzen teilnehmen. Das bedeutet aber nicht, wie er meint, mehr Verantwortung, das bedeutet mehr Verantwortungsversagen.“ Bundestagspräsident Norbert Lammert rügt, Gysi habe das Staatsoberhaupt nicht korrekt und präzise zitiert.
Joachim Gauck hatte zu Jahresbeginn bei der internationalen Münchner Sicherheitskonferenz gesagt: „Aber wenn schließlich der äußerste Fall diskutiert wird – der Einsatz der Bundeswehr -, dann gilt: Deutschland darf weder aus Prinzip „nein“ noch reflexhaft „ja“ sagen.“ Gaucks Botschaft war: Einmischen statt Wegsehen.
„Schmähkritik“: Vergleich mit Nazis in der Weimarer Republik
Oppermann wendet sich Gysi zu und sagt, die Sozialdemokraten reagierten sensibel darauf, wenn demokratisch gewählte Staatsoberhäupter mit „Schmähkritik“ überzogen würden – wie von einem brandenburgischen Linkspolitiker, der Gauck einen „widerlichen Kriegshetzer“ genannt habe. „Denn das war die Strategie der Nazis in der Weimarer Republik gegen Reichspräsident Ebert“, argumentiert Oppermann.
Aufregung auf der Seite der Linksfraktion, Parteichefin Katja Kipping ist empört. Oppermann fügt hinzu: „So etwas würde Gregor Gysi selber auch niemals tun.“ Aber durch seine „demagogischen Verdrehungen“ von Gaucks Äußerungen lege er die Grundlage für Entgleisungen anderer.
Gysi bekommt noch einmal das Mikrofon. Er distanziert sich von der Wortwahl des Parteikollegen. Aber er bleibt dabei. Gauck sei bei der Sicherheitskonferenz vor Generälen auf Kriegseinsätze eingegangen. Kritik an ihm in einen Zusammenhang mit Nazis zu stellen, sei inakzeptabel. Gysi bittet: „Lassen Sie uns doch endlich einmal anders denken. Nicht rüstungspolitisch, sondern friedenspolitisch.“ (dpa)