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Die Schande von Gijon

Die Schande von Gijon

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Kaltz auf Stielike. Auf Hrubesch. Rückpass zu Breitner. Rückpass auf Torwart Schumacher. 1:0 steht’s für Deutschland gegen Österreich in der Vorrunde der WM 1982 – für beide das optimale Resultat. Kaltz auf Stielike. Auf Hrubesch… „Die Schande von Gijon“ ist eine schwarze Stunde des Fußballs.

Deutschland gegen Österreich, Endstand 1:0. Vor anderthalb Wochen in Wien jubelten wir alle über Ballacks Hammerfreistoß, über den Einzug ins Viertelfinale.

Deutschland gegen Österreich, Endstand 1:0. Vor 26 Jahren im spanischen Gijon. Kein Hammerfreistoß.

Die Ausgangssituation

Der große Favorit Deutschland steht vor dem Aus. Der 1:2-Auftakt gegen Algerien war peinlich, das 4:1 über Chile danach schon etwas besser. Doch Deutschland steht trotzdem nur auf dem dritten Platz. Hinter Österreich und Algerien. Die Österreicher haben die beiden Auftaktspiele gewonnen. Entscheidung am letzten Gruppenspieltag. Zuerst spielt Algerien gegen Chile und gewinnt 3:2. Als das Spiel in Gijon beginnt, wissen beide Teams: Sollte Deutschland mit einem oder zwei Toren Differenz gewinnen, stünden beide Teams im Halbfinale.

Die erste Halbzeit

Zu Beginn ist die von Jupp Derwall trainierte DFB-Elf noch hochmotiviert. In der 11. Minute erzielt Horst Hrubesch vom Hamburger SV mit dem Oberschenkel das 1:0. Das würde reichen. Für beide. Schon kurz nach diesem Tor ändern beide Teams die Taktik. Von 3-5-2 oder 3-4-3 sind sie weit entfernt. Beide steigen vielmehr auf das 10-0-0-System um. Zehn Spieler in der eigenen Hälfte. Es ist kein „One-Touch-Fußball“, sondern „One-Minute-Fußball“. Jeder Spieler hält gefühlt eine Minute den Ball, passt ihn zum Mitspieler und zum Torwart. Es folgt ein weiter, weeeiter Pass ins Niemandsland – und dann ist die gegnerische Mannschaft dran. Das Ziel beider Teams: Bloß kein Gegentor bekommen. Pausenstand 1:0.

Die zweite Halbzeit

Wird’s in der zweiten Hälfte besser? Gibt es so etwas wie Sportler-Ehre bei der WM 1982? Nein! In der Pause gab es nach Angaben des österreichischen Stürmers Walter Schachner Absprachen zwischen Spielern beide Teams. Der „Nichtangriffspakt“ geht weiter. Querpass, Querpass, Rückpass. Und immer so weiter. 41.000 Zuschauer pfeifen, fühlen sich um ihr Eintrittsgeld betrogen. Die algerischen Fans wedeln mit Geldscheinen, fühlen sich betrogen, wollen damit sagen: „Das ist ein gekauftes Spiel.“

Auch die Fernseh-Kommentatoren fluchen. Naja, nicht einmal mehr das. ARD-Reporter Eberhard Stanjek sagt gar nichts mehr. Weigert sich. Die Bilder reichen. Der Österreicher Robert Seeger fordert die Zuschauer sogar auf, abzuschalten! Normalerweise ein Grund zur Kündigung. Normalerweise.

Natürlich bleibt es beim 1:0.

Die Folgen

Das Presseecho nach dem schlechtesten und miesesten WM-Spiel aller Zeiten ist natürlich niederschmetternd. Die Rede ist von „Absprache“, „Schiebung“, „Skandal“, „düstere, unerträglich skandalöse Farce“, „Verrat am Sportsgeist“, „Wiedergeburt der hässlichen Deutschen“. Eine Madrider Wirtschaftszeitung druckt den Spielbericht auf der Verbrecherseite ab.

Die Österreicher scheitern in der Zwischenrunde, Deutschland erreicht sogar das WM-Finale. Doch der zweite Platz ist in den Köpfen nicht so präsent wie die „Schande von Gijon“. Die deutschen Spieler versuchen sich zu rechtfertigen. „Für die Unmutsbekundungen der algerischen Fans habe ich schon ein bisschen Verständnis, weil es so aussah, als sei es abgesprochen“, erklärt der damalige Abwehrchef Karl-Heinz Förster. „Das Publikum hat überhaupt nicht kapiert, um was es hier für uns ging, nämlich um das Weiterkommen“, sagte Paul Breitner. Seinem Mannschaftskameraden Wolfgang Dremmler waren die 90 Minuten auch nicht besonders unangenehm: „Ich verstehe irgendwie die Reaktionen der Zuschauer, aber ich kann mich darum wirklich nicht kümmern.“

Die internationalen Fußball-Verbände merken: Gijon darf es nie wieder geben. Seit der EM 1984 finden deshalb bei allen großen Turnieren die letzten Spiele einer Gruppe zeitgleich statt. Seit 1992 darf ein Torwart einen absichtlichen Rückpass nicht mehr mit der Hand aufnehmen.

Die Aufstellungen

Deutschland – Österreich 1:0 (1:0)

Deutschland: Schumacher, Kaltz, Stielike, Kh. Förster, Briegel, Dremmler, Breitner, Magath, Littbarski, Rummenigge (67. Matthäus), Hrubesch (69. Fischer)

Österreich: Koncilia, Krauss, Obermayer, Pezzey, Degeorgi, Hattenberger, Prohaska, Hintermaier, Schachner, Krankl, Weber

Tor: 1:0 Hrubesch (10.)