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Mit der Postkutsche von Cuxhaven durchs Watt zur Insel Neuwerk

Mit der Postkutsche durchs Watt zur Insel Neuwerk

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Manchmal steht das Wasser so hoch, dass die Passagiere nasse Füße bekommen. Die Pferde stehen dann schon bis zur Brust im Wasser. Jan Brütt fährt eine der letzten Postkutschen, sie mutet an, wie aus einer anderen Zeit. Wie schon sein Großvater lenkt Brütt die Kutsche von Cuxhaven zur Insel Neuwerk.

Essen. 

Manchmal reicht das Wasser den Pferden bis an die Brust. Dann bekommen die acht Passagiere in der ohnehin schon hoch gebauten Kutsche nasse Füße. Für Jan Brütt ist das aber kein Grund umzukehren. „Erst wenn nur noch die Ohren der Pferde aus dem Wasser schauen, müssen wir umkehren“, sagt der Kutscher und lacht. Heute macht das Wasser keine Schwierigkeiten. Der Wind weht heftig, es herrscht eine steife Brise. Und dieser Wind drückt von Osten her das Wasser der Nordsee von der Elbemündung in die Priele, die Brütts Kutsche, und die vielen anderen, die ihr folgen, durchqueren müssen. Es ist die wohl eigenartigste Kutschfahrt, die man in Deutschland machen kann: unterwegs mit der Wattenpost vom Cuxhavener Stadtteil Duhnen zur Insel Neuwerk, die sich dunkel am Horizont erhebt.

Kutscher und Kutsche selber sind noch zusätzlich etwas ganz Besonderes. Jan Brütt ist der von der Deutschen Post bestellte offizielle Wattenposthalter – und folgerichtig ist seine Kutsche nicht nur postgelb lackiert, darauf prangt auch das gleichsam amtliche Posthorn. Schon Jan Brütts Ururgroßvater war der 1880 von der damals noch kaiserlichen Post bestellte Wattenposthalter und als solcher verpflichtet – soweit Wind und Wasser es zuließen – täglich als Postreiter durch das Watt die weit draußen vor der Küste im Wattenmeer zwischen den Mündungen von Elbe und Weser liegende Insel Neuwerk mit der Post zu versorgen. 1885 spannte Christian Brütt zwei Ackergäule vor einen Kutschwagen, mit dem er Postsäcke und Pakete, aber auch schon Badeurlauber nach Neuwerk brachte.

Post gibt es zweimal in der Woche

Obschon 1997 die damals noch Deutsche Bundespost dazu überging, die Post mitsamt einem Briefträger im Sommer mit dem Ausflugsschiff von Cuxhaven nach Neuwerk schaffen zu lassen, weil das schneller ging, sind die Brütts immer noch die amtlichen Wattenposthalter. Denn das Schiffchen verkehrt nur bis Oktober, und in den Wintermonaten muss Jan Brütt mindestens zweimal in der Woche die 60 Einwohner von Neuwerk mit Post versorgen.

Längst hat die Familie Brütt mit ihren Wattwagen Nachahmer gefunden. Bis zu 40 dieser Wattwagen, die so hoch sind, dass man nur mit Hilfe einer Leiter ein- und aussteigen kann, steuern bei schönem Wetter morgens in der Frühe das Wattenmeer an. Diese Fahrten finden schon der Urlauber und ihrer Planungen wegen nach einem bestimmten Fahrplan statt. Doch der ist so originell wie die Fahrten und die Fahrzeuge selber: er sieht für jeden Tag andere Abfahrtszeiten vor. Der Fahrplan muss sich nach den Gezeiten richten, und die laufen an der Nordsee entsprechend den Mondphasen jeden Tag zu etwas anderen Zeiten ab.

Wagenspuren im Wattboden weisen den Weg

Der Sandstrand von Duhnen bleibt bald zurück, ringsum dehnt sich das Wattenmeer. Wagenspuren, die sich tief in den Wattboden eingegraben haben, weisen den Weg. Doch zur Sicherheit ist die Route mit Hunderten von Reisigbüscheln, die auf Stangen stecken, markiert. Die Kutscher der Wattwagen brauchen sie nicht, sie kennen das Watt genau. Aber bei gutem Wetter machen sich jeden Tag Hunderte von Wanderern auf, die barfuß durch das Watt laufen. Sei es, dass sie die knapp zwölf Kilometer entfernte Insel Neuwerk ansteuern wollen, sei es, dass sie einfach nur die in Europa zumindest einzigartige Welt des Wattenmeers erleben wollen.

Die ist in der Tat erlebenswert. Da folgen Möwen dem ablaufenden Wasser, stürzen sich begierig auf die Leckerbissen, die da für sie auftauchen, ebenso wie Strandläufer, Rotschenkel oder Austernfischer. Hier leuchtet das Weiß von unzähligen zusammengeschwemmten oder -gewachsenen Muscheln. Ein breiter Priel taucht auf, ein Wasserlauf, der sich Kilometer weit durch das Watt zieht und auch bei Niedrigwasser, Ebbe wie die Landratten sagen, voll Wasser steht. „Früher haben wir Kutscher vor solchen Prielen angehalten und mit dem Peitschenstiel die Wassertiefe gemessen, geprüft, ob wir mit den Pferden durchfahren konnten. Heute haben wir hölzerne Markierungen, die uns die Wassertiefe anzeigen“, sagt Postkutscher Brütt.

Rettung bietet ein eiserner Käfig

Der Wagen rumpelt in den Priel hinunter, Wasser rauscht auf, schwappt in den Wagen hinein. Die Pferde gehen bis an den Bauch im Wasser. In der Nähe des Priels steht auf hohem Stahlgerüst ein eiserner Käfig, eine Rettungsbake. Hier können Wattwanderer, die vom auflaufenden Wasser überrascht werden, in Sicherheit abwarten bis sie weiter gehen können oder gerettet werden. Sechs solcher den Biwakschachteln in den Alpen vergleichbare Baken stehen an der Wanderroute zwischen dem Festland und der Insel.

Dann haben die Pferde wieder festen Boden unter den Hufen, und gleich gibt es die nächste Überraschung: „Freie und Hansestadt Hamburg“ steht auf einer großen Tafel mit dem Hamburger Wappen gleich hinter dem Deich. Tatsächlich, die 60 Insulaner leben in Hamburg, im Hamburger Bezirk Mitte, und das obschon das Rathaus der Stadt mehr als 120 Kilometer Luftlinie von hier entfernt ist. Manchmal hat der Insellehrer nur zwei Kinder in seiner Schule. Es gibt ein Gasthaus, einen kleinen Kaufladen, ein paar Pensionen und ein Viersternehotel. Drei Hektar groß ist die Insel und Mittelpunkt des Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer.

Eine Stunde Zeit haben die Fahrgäste, die Insel zu erkunden, vor allem den mächtigen, im 14. Jahrhundert gebauten Turm, der Leuchtturm und Bollwerk gegen die Piraten hier an der Elbmündung war und von den Hamburger Kaufleuten errichtet wurde. Wer zur festgesetzten Abfahrtszeit nicht bei der Kutsche ist, muss bis zum Abend warten und mit dem Schiff zurück nach Cuxhaven fahren. Warten kann der Wattkutscher nicht, eine Verspätung, ins auflaufende Wasser hineinzugeraten könnte lebensgefährlich sein.