Von der Natur ist Madagaskar reich beschenkt. Doch weiße Strände, saftige Felder und fruchtbare Wildnis kontrastieren mit gravierenden Problemen.
Antananarivo.
Die Stars leben ein bisschen versteckt. Auf einem Ast sitzen sie und schauen nach unten auf den Fluss. „Das sind schwarzweiße Vari, eine der sieben Lemurenarten, die hier im Park leben“, sagt unser Führer Hanja Ramahefa. Bis zu 80 Arten soll es im Land geben. „Alle diese Tiere scheuen das Wasser.“ Gerade springt ein Fettschwanzmaki von einem Baum zum anderen. Der lange Schwanz dient zum Balance halten. Der Parque de lémuriens, einen Tagesausflug von der Hauptstadt Antananarivo entfernt, ist ein guter Einstieg in die Welt der Lemuren. In ihrem natürlichen Lebensraum, den Wäldern der Küstenregionen, sind sie schwieriger zu sichten.
Die Lemuren, die es nur auf Madagaskar gibt, haben ein putziges Gesicht, Kulleraugen und Nägel statt Krallen. Die Madagaskar-Exoten können die „Arme“ hochheben, auf zwei Beinen stehen, natürlich auch klettern und Obst vom Baum naschen. Die Tiere sind Feuchtnasenaffen, auch Halbaffen genannt, zählen zu den Primaten wie die Menschenaffen, sind aber viel älter.
Schlechte Wirtschaftslage
Und wie die Menschen leiden sie unter der schlechten Wirtschaftslage: „Die Löhne sind mickrig, Fleisch ist teuer“, sagt Taxi-Fahrer Rakoton Dramanana. Und wegen der Armut landet also mancher Lemur im Kochtopf. Da helfen Verbote und Appelle leider wenig. Den Chamäleons geht es besser. In den Ästen eines Baums außerhalb des Parks tarnen sich zwei von ihnen zwar nicht clever genug, aber meistens sind sie gut versteckt. Madagaskar ist der größte Lebensraum der meisten Arten dieser kleinen Reptilien.
Alles ist ein bisschen Abenteuer auf Madagaskar, das anderthalbmal so groß wie Deutschland ist, auch die Fahrt vom Airport in die Hauptstadt, die nur kurz Tana genannt wird. Bis zu 80 Minuten dauern die 30 Kilometer. Ich nehme eine betagte „Ente“ als Taxi, ein Citrön vom Typ 2 CV. Monsieur Donnat, der Fahrer, stimmt nach ein bisschen Feilschen dem Preis von umgerechnet 10 Euro zu.
Es geht vorbei an Reisfeldern, auf denen die Bauern arbeiten. Auf dem Rasen und an Zäunen hängen Tücher, Blusen, Hosen zum Trocknen. Ochsenkarren ziehen Wagen voller Bambus und Bruchholz. Minibusse überholen hupend. Monsieur hält kurz, sichert die klappernde 2-CV-Tür mit einem Stück Draht. „Pas de problème“, sagt er. „Kein Problem.“
Historischer Bahnhof ohne Passagierbetrieb
Am Stadtrand beginnt der Stop-and-go-Verkehr. Händler klopfen ans Fenster, offerieren Sonnenbrillen, Handys, Bettvorleger. Weil fast überall und immer Markt ist, teils auch auf der Straße, stöhnt Tana unter zusätzlichen Staus und Abgasen. Polizisten regeln hier – 1400 Meter hoch in den Bergen – mit Trillerpfeife und kräftigem Armfuchteln das tägliche Chaos.
Lebhaft ist es auch vor dem Bahnhof. Im Inneren des historischen Gebäudes weniger. Passagierbetrieb gibt es nicht mehr, nur ein paar Güterzüge rollen noch. Boutiquen sowie ein Restaurant mit französischem Chef haben hier ihre Heimat.
Tourismus gibt es in Madagaskar nur wenig. Frühere politische Unruhen, die schlechte Infrastruktur mit vielen Schlaglochpisten und die Gefahr von Gewalt und Überfällen schrecken ab. Globetrotter und Backpacker haben so ein Heimspiel. Mit Umsicht, Geduld, Toleranz und ein paar Brocken Französisch lässt sich problemlos und unterhaltsam reisen. Das Eiland ist für viele faszinierend und magisch.
Busse steuern jeden nennenswerten Ort der Insel an
Um von einem Ende ans andere zu kommen, bieten sich Inselflüge an. So gelangt man zügig von Tana ins 700 Kilometer entfernte Morondava im Westen an der Straße von Mosambique. Die Stadt ist mit ihren langen Stränden Drehscheibe für Ausflüge. Ein Besuch der Straße der Baobabs, Affenbrotbäume, ist besonders spektakulär, wenn die Sonne zwischen den mächtigen Stämmen mit den kleinen Kronen aufgeht oder versinkt. Weitere Ziele sind der Trockenwald Kirindy und das Welterbe Tsingy de Bemaraha mit einem „Wald“ aus Kalksteinnadeln. In dem Nationalpark mit viel Karstland, Mangroven und ein paar Seen leben auch Lemuren, Madagaskarseeadler und Ringelschwanzmungos.
Wer Zeit hat, fährt mit den Taxi Brousse genannten Bussen. Sie steuern jeden nennenswerten Ort auf der Insel an. Manche sind 24 Stunden unterwegs. Also gilt es, ganz früh zu starten und lange Strecken in Tagesabschnitten zu fahren. Das Auswärtige Amt rät nach Sonnenuntergang in den Städten unbedingt ein Taxi (mit vier Rädern) zu nehmen. Fahrrad-Taxis, Pousse-pousse genannt, sind langsam und offen, die ebenfalls dreirädrigen, motorisierten Tuk Tuk-Taxis haben keine Türen.
Die Ostküste fasziniert mit einer Pirateninsel, hellen Stränden, Fischerdörfern, Kanalfahrten. Wie fast überall gibt es hier gutes, preiswertes Essen und bunte Märkte. Sein Minibus-Ticket kauft man am besten im Voraus, etwa bei dem Unternehmen „Cotisse“. Hier bekommt man einen guten Sitzplatz, der einem elektronisch bestätigt wird. Um 6.30 Uhr geht es los. Ich schaue mir das Reifenprofil an und den Zustand des alten Mercedes. Die 360 Kilometer lange Fahrt in die Hafenstadt Toamasina, hier eher als Tamatave bekannt, dauert sieben Stunden. Da will man sicher sein.
Züge fahren nur selten
Bahnfahren könnte eine Alternative sein. Immerhin schlängeln sich Gleise oft parallel zur Straße durch Hochland und Gebirge, vorbei an Wasserfällen, Flüssen, Reisfeldern, Weiden mit Rindern. Doch Züge fahren nur selten. Es gibt nur noch eine nennenswerte, regelmäßige Bahnverbindung für Einheimische und Touristen. Die hat es in sich. Sie führt 160 Kilometer von Fianarantsoa im Hochland nach Manakara an die Ostküste. Der Zug passiert dutzende Tunnels und Brücken. Ein Zyklon zerstörte im Januar 2015 Teile der Strecke. Die Reparaturen dauern einige Monate. Im März waren sie noch nicht beendet.
In Tamatave gibt es keine Bahn, aber wieder einen Bahnhof. Der ist modernisiert und beherbergt Shops und ein französisches Restaurant. Draußen dröhnt ein Lastwagen vorbei. Eine Frau trägt einen Korb mit Bananen auf dem Kopf. Ein junger Mann schultert zwei Bambusstangen, an denen Eimer hängen.
Es ist Sonntag, am langen Strand von Tamatave ist Familientag. Insulaner picknicken mit Kind und Kegel, Fischer holen die Netze ein. In über 50 Buden fließen einheimisches Bier und Limo in Strömen. Auf einem Rummelplatz werden die Fahrgeschäfte noch von Hand betrieben. Gerade klettert ein Mann flink auf die Spitze des sechs Meter hohen „Riesenrads“ und hilft beim „Anschieben“. Auf dem überdachten Markt feilschen Kreuzfahrt-Touristen aus Italien, Spanien und Deutschland um Vanille, Pfeffer, Schnitzereien und T-Shirts.
Am Ufer winken Kinder und Frauen
Der Canal des Pangalanes führt von Tamatave parallel zum Ozean über Ambodisaina und Andranokoditra Richtung Süden. Am Ufer winken Kinder und Frauen, die Wäsche waschen, Männer beladen Kähne mit Bambus. Kanalfähren sind voll mit Passagieren, Säcken, Körben und Mopeds. Die meisten Dorfbewohner haben keinen Strom und kein Geld, aber besseres Essen als viele Städter. Rinder grasen, Hühner gackern, Enten und Gänse schnattern. Kokosnüsse, Mangos, Avocados, Brot- und Jackfrucht wachsen reichlich.
„Die Insel bietet viel, hat aber zu wenige Touristen“ sagt Daniela Ranarison von „Mada Tour Antoka“. Heute sind nur zwei Gäste an Bord des langen Motorboots: Jeder zahlt umgerechnet 30 Euro. Da bleibt kaum Gewinn. Madame spricht natürlich Malagasy und Französisch, aber auch Englisch und Italienisch. Sie ist zuversichtlich, dass bald mehr Kreuzfahrtschiffe anlegen in Tamatave.
Madagaskar
Die Küste hoch ist man in zwei Stunden mit dem Taxi Brousse – betagt und überfüllt – in Foulpointe. Hier sind die Strände schöner. Es gibt ein paar Beachhotels mit Pool ab 25 Euro. Fischer laden zur Fahrt mit ihrem kleinen Auslegerboot und anschließendem Grill mit Langusten und Fisch. Noch weiter nördlich lockt die ehemalige Pirateninsel Sainte Maire, auch Nosy Boraha genannt. Türkisfarbenes Wasser, hohe Palmen, helle Strände, auch Lemuren und viele exotische Vögel heißen Touristen hier willkommen.
Auswärtiges Amt rät zur Vorsicht
Doch leider ist es nicht überall so paradiesisch. Auf dem Beach-Eiland Nosy Be im Nordwestzipfel etwa ist der Sextourismus den Einheimischen ein Dorn im Auge. Das Auswärtige Amt mahnt wegen möglicher Gewalt und früherer Touristenmorde zu erhöhter Vorsicht. Einige Regionen im Inselsüden sollten sogar ganz gemieden werden. (dpa)