Kalte Wickel um halb fünf – Schroth-Kur in Oberstaufen
Eine Auszeit vom Alltag tut jedem gut – gerade wenn sie auch dem Körper und nicht nur der Seele nutzt. Ein Kurort im Allgäu bietet sich hierfür an.
Oberstaufen.
O
süßer Traum: Nach den zarten Schweinemedaillons mit dampfenden Backpfläumchen und Spätzle kredenzt die fesche Bedienung mir jetzt auch noch eine Riesenportion Mousse au Chocolat. Wundervoll! Aber eben nur ein Traum. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Tür fliegt auf, das Licht geht an, Christine ist da. Mit einem Tablett auf dem Arm. Im Glas duftet Kräutertee, auf der Untertasse prangt ein kleiner Zwieback. „Sektfrühstück, mein Herr, guten Morgen!“ So klingt der Humor einer Packerin in der Schrothkur. Mein verschlafener Blick fällt auf den Radiowecker. 4.30 Uhr!
Warum mache ich eine Schroth-Schnupperkur in Oberstaufen – und das freiwillig? In Zeitlupe schlüpfe ich in den Bademantel, trinke den heißen Tee. Andächtig, Schluck für Schluck. Und obwohl mein Magen heftig knurrt, bleibt der Zwieback erst einmal unangetastet. Die nächste große Mahlzeit – Pflaumensuppe – gibt es erst um zwölf Uhr mittags. Da will ich mir mein Frühstück einteilen. Christine schüttelt die Betten wie Frau Holle, tauscht das noch warme Laken mit kalten Nasswickeln. Dann fordert sie mich mit strahlendem Lächeln auf: „Bitte ausziehen, der Herr, und dann rin inne Bütt!“ Wer kann solch charmanter Aufforderung widerstehen?
Sünden des Alltags führen zu Zivilisationskrankheiten
Nach einer ersten Gänsehaut wird mir warm und wärmer, denn Christine packt und packt noch eine Decke und noch eine Wärmflasche und noch ein Oberbett auf meinen Luxuskörper und schließlich noch eine Handtuch-Haube ums Köpfchen. Fertig ist der Schrothler-Dress. Jetzt eineinhalb Stunden garen lassen.
90 Minuten, in denen Du immer mehr schwitzt und schwitzt und viel Zeit hast zum Nachdenken. Über den Alltag: In der Arbeitspause schnell etwas gegen den Hunger „einwerfen“, abends gegen den Stress des Tages mit zwei, drei Bierchen und einer Packung Snacks vor dem Fernseher entspannen. Es sind die kleinen Sünden, die sich schnell summieren. Nicht nur zu überflüssigen Pfunden, oft auch zu wenig angenehmen „Zivilisationskrankheiten“. Dass man aus diesem Kreislauf auch wieder herauskommen kann – und sogar mit Spaß – dieses Gefühl habe ich in den sieben Schroth-Tagen im Allgäu kennen und schätzen gelernt.
Reise-Infos
Anreise: Mit dem Auto über die A3 Richtung Köln bis Würzburg, über die A7 Richtung Ulm bis Memmingen, weiter über die A96 Richtung Lindau und die B308 nach Oberstaufen. Mit der Bahn (01806/99 66 33, www.bahn.de) nach Oberstaufen.
Kurort: Oberstaufen bietet ein bayerisch-gemütliches Ortszentrum, zudem stehen außerhalb Wald-, Wander- und Radwege zur Verfügung. Zwölf ausgeschilderte Rundstrecken erschließen den größten Nordic-Walking-Park Deutschlands, Golfer spielen ihr Handicap auf drei Plätzen aus.
Veranstalter: Das Vier-Sterne-Superior-Hotel Bergkristall (08386/91 10, www.bergkristall.de) bietet eine Schroth-Schnupperwoche ab 1087 Euro pro Person (DZ).
Seit fast 200 Jahren hat sich das Naturheilverfahren des schlesischen Arztes Johannes Schroth nicht nur zur Entschlackung und Entgiftung, sondern auch als ganzheitliche Heilkur bewährt. Seit 1949 fühlt sich Oberstaufen der Kombination aus Kälte und Schwitzpackungen, dem Wechsel von Trink- und Trockentagen, Wein und Tee, kohlehydrat-betonter Diät und dem Wechsel von Ruhe und Bewegung verpflichtet.
Oberstaufen ist nicht nur Deutschlands einziges Schroth-Heilbad, sondern auch staatlich anerkannter heilklimatischer Kurort. Dieses Gütesiegel bescheinigt dem Ort vor den Alpengipfeln ein therapeutisch wirksames Hochgebirgsklima. Die Luft fördert schon von allein die Abwehrkräfte, stärkt den Organismus, hilft gegen Haut- oder Atemwegserkrankungen, gegen Herz- und Kreislaufschwäche, gegen Rheuma und Stoffwechselkrankheiten.
Schwitzen, Wandern, Golfen
Mittlerweile zeigt die Uhr kurz vor sieben. Christine wickelt mich aus. Ihr Urteil: „Prima. Gut geschwitzt. Absolut Schroth-tauglich.“ Ich lächle sanft. Aber jetzt bloß nicht unter die Dusche! Nur kurz abfrottieren und dann zurück ins frisch gemachte, warme Bettchen. Noch ein, zwei Stunden ruhen, besser noch schlafen, dann geht es in den „Kristallgarten“ zur Massage. Weiter ins Panorama-Hallenbad, dort in den Wintergarten mit einem Buch – vielleicht: „Es muss nicht immer Kaviar sein.“
So vergehen die Tage mit Wellness und Schlaf, mit Schwitzen, Wandern, Golfen, Lesen und bewusst wenig Essen. Beim Abschied fühle ich mich körperlich und mental erheblich fitter als vor einer Woche. Ich hatte Gelüste, aber keinen Hunger. Und: Vier Kilo sind weggeschmolzen. Ich werde wiederkommen – für zwei oder drei Wochen.