Italienische Urlaubsorte wie Rimini sind Touristenhochburgen. Wer dennoch das klassische Lebensgefühl Italiens erleben möchte, muss ins Landesinnere fahren. Weit ab von den Badeorten gilt es den Charme des Landes zu entdecken.
Rimini.
Nando Ferrara erinnert sich noch an die alten Zeiten. „Da haben wir mit Deutschen und Engländern Tagestouren von Rimini nach Rom gemacht“, erzählt er in einem Ton, als habe man gemeinsam nach Gold geschürft. Seit 30 Jahren kutschiert der Busfahrer mit dem breiten Schnauzbart und der sparsamen Mimik Touristen durch die Emilia Romagna und Marken im Nordosten Italiens. Rimini, der berühmte, vor allem berüchtigte Badeort, hat bessere Tage erlebt, findet er. Vorausschauende Tourismusmanager locken ausländische Besucher längst ins Hinterland der Adria, wohlwissend, wie hart die Konkurrenz im eigenen Staate ist.
Und siehe da: Die sanften, grünen Hügel der Romagna präsentieren sich als reizvolle Alternative zu den Standardrunden durch die Toskana oder durchs Piemont.
Lärmiger Party-Tourismus
„Es ist uns klar, dass wir die Deutschen nur noch schwer nach Rimini bekommen, vielleicht gar nicht mehr“, räumt Corrado Bacchini ein, der im Nachbarort eine Reiseagentur betreibt und längst andere Ziele in der Region vermarktet. „Das ist die Zukunft“, ist er überzeugt. Der Ruf der 150.000 Einwohner großen Geburtsstadt des legendären Federico Fellini ist jedenfalls ramponiert, steht für lärmigen Partytourismus, der neben den Italienern vorzugsweise russische Gäste anzieht.
Ein 27-stöckiges Hochhaus, dessen Architektur eher an Nordkorea als an Italien erinnert, warnt schon von weitem. 2000 Hotels drängen sich an einem 15 Kilometer langen Küstenstück mit grauem Sand, zu dem auch Städtchen wie Riccione und Cattolica gehören.
Kontrastprogramm im Landesinneren
„Im Sommer muss man Rimini für den Verkehr praktisch dicht machen“, erzählt Bacchinis Mitarbeiterin Tania Tonelli, „dann wächst die Stadt auf eine Million Menschen an.“ Die wenigsten davon machen sich wohl in der durchaus ansehnlichen Altstadt auf die historischen Spuren der Malatesta-Familie, die die Region vor der Vereinigung Italiens über Generationen beherrschte.
Wer der Stadt ins Landesinnere entflieht, wird nach nur wenigen Kilometern mit dem lieblichen Kontrastprogramm aus mittelalterlichen Weilern, Bauernhöfen, Weinbergen und gewaltigen Olivenhainen belohnt. Hier trifft man auf Ökobauern wie den jungen Honigproduzenten Mirko Delbianco, der sich vom langsam zunehmenden Landtourismus bessere Geschäfte erhofft. Ebenso wie Cleto Renzi, der 6000 Liter hochwertiges Öl im Jahr produziert und sich gern neben einem 800 Jahre alten Olivenbaum fotografieren lässt. Der Geschäftsmann vermittelt bereits Patenschaften für seine Bäume. 200 Euro kosten sie pro Jahr, 18 Liter Öl sind garantiert.
Wein aus Piemont und der Toskana
Franco und Lela Corni aus Modena haben sich auf der Straße zwischen Mondaino und Tavoleto einen Traum erfüllt – und ein altes Landhaus in einen rustikalen Gasthof verwandelt. Wer im Agriturismo La Cerqua einkehrt, der begreift einmal mehr, warum die italienische Küche vor allem im Kleinen so schwer zu schlagen ist: die Piadina – das Fladenbrot aus Dinkelmehl – am besten mit Kräutern gefüllt, das Öl, die Pasta mit Wurst, die eingelegten Gemüse, der Käse, dazu ein etwas ruppiger Sangiovese im Weinglas – und ein inneres Glücksgefühl ist unvermeidbar.
Wer nach den Sternen greift, wird bei Familie Ricciardelli in Saludecio fündig, die im „Belvedere“ Produkte aus der Region in Menüs für höhere Ansprüche veredeln. Wer den Weinkeller durchstöbert, ist nicht überrascht, dass Mauro und Paolo ihre Tropfen überwiegend nicht aus der Umgebung beziehen: Die großen Roten kommen eben aus dem Piemont oder der Toskana.
Gute Chancen für die Region
Ein paar Kilometer weiter hat Modedesignerin Alberta Ferretti zusammen mit ihrem Bruder ein ganzes Dorf auf einem 300 Meter hohen Hügel restaurieren lassen und hofft, die üppige Investition über den Palazzo Viviani, ein geschmackvolles Hotel mit Blick bis zum Meer, wieder hereinzuholen. Montegridolfo ist ein bildschöner Rückzugsort, wenn auch arg herausgeputzt.
Der Abstecher in die Renaissance führt geradewegs nach Urbino im benachbarten Marken, einem prächtigen Städtchen, das seine Lebendigkeit in den Gassen und auf den Plätzen seiner Einwohnerstruktur verdankt: Die Hälfte der 30 000 Menschen, die hier und in der Umgebung leben, sind Studenten der 500 Jahre alten Universität. Deutschprofessor Klaus Ehrhardt, der hier seit 1993 doziert, schätzt die Chancen der Region auf einen anderen Tourismus als den, der sich nur in den Liegestuhl begibt, als gut ein: „Die Strukturen sind da fürs Entdecken, fürs Wandern, fürs Trekking, dazu die Kultur und die Küche. Die Mischung stimmt.“
Und wenn die Menschen in die Region strömen, wird auch die Laune von Nando wieder besser.