Fischland-Darß-Zingst: Zwischen Bernstein und bunten Türen
Auf der beliebten Urlaubsinsel strahlt die Sonne von hölzernen Türen, leuchten Deutschlands größte Bernsteinschätze hinter dicken Klostermauern.
Essen.
Wenn es um Bernstein geht, macht Henning Schröder keiner was vor. Dann leuchten seine Augen wie die Exponate seines Museums. Dann erzählt er Geschichten von den Tränen der Götter und wie sie zu den Menschen an der Ostsee gelangten. Dann zeigt er voller Stolz, was kunstvolle Hände über Jahrtausende aus dem sagenhaften Gold gezaubert haben. In aller Bescheidenheit vergisst der smarte Mecklenburger dabei zu erwähnen, dass er selbst ein Meister vom Fach ist, der – sagen wir mal – das legendäre Bernsteinzimmer nicht nur großartig erklären, sondern auch nachbauen könnte bis ins letzte Detail.
Wir sind in Ribnitz-Damgarten. Auf der Südseite des Boddens, der die populäre Urlaubshalbinsel vom Festland trennt. Hier, in seiner kleinen Werkstatt, hat Henning Schröder als letzter aktiver Bernstein-Drechsler-Meister Deutschlands unzähligen Rohlingen kunstvollen Schliff und vollendete Form verpasst. Nun ist er Herr und Meister des Deutschen Bernsteinmuseums, das hinter den dicken Backsteinmauern des mittelalterlichen Klarissinnen-Klosters Bernstein in erstaunlicher Masse und Klasse präsentiert – alles in allem ausgesuchte 1600 Exponate in Europas schönster Ausstellung.
Europas schönste Ausstellung
Seit ewigen Zeiten schon fasziniert Bernstein die Menschen. Mit seinem Glanz. Mit seinen Farben. Mit seiner Magie. Er ist weder Stein noch Mineral, sondern fossiles Baumharz. Sein Name kommt vom niederdeutschen „bernen“ oder „börnen“ – das weist auf seine Brennbarkeit hin.
Er ist leicht, er ist weich, er lässt sich gut bohren, sägen, drechseln, schleifen und polieren. Und nicht zuletzt ist er ein Mythos, dem heilende, schmerzstillende und beruhigende Kräfte zugeschrieben werden. Sein Farbspektrum ist enorm: Meist honiggelb und durchsichtig, dann wieder weiß und vollkommen intransparent. Zwischen Gelb und Braun kennt Henning Schröder über hundert Nuancen, doch auch intensiv roten und extrem seltenen blauen hat er in den Vitrinen. Noch exklusiver aber dürften die Einschlüsse sein: Fliegen, Käfer, Skorpione, Krebse, Tannennadeln – unter den Lupen sind sogar ein Spinnennest und eine Eidechse fixiert, die vor Millionen Jahren an der klebrigen Flüssigkeit hängen blieben, dann umflossen, dann umschlossen und so konserviert wurden für die Ewigkeit.
Den Menschen verzaubert Bernstein nachweislich seit mindestens 5000 Jahren. Schon in Gräbern der Jungsteinzeit fand man Amulette und Schmuck aus dem „Gold des Nordens“. In der Antike gelangte er auf sogenannten „Bernsteinstraßen“ in den Mittelmeerraum, und auch Slawen und Wikinger handelten mit Bernstein. Im Mittelalter verarbeitete man ihn hauptsächlich zu Rosenkränzen, Apotheken verkauften Pulver aus weißem Bernstein als Medikament. Blütezeit der Bernsteinkunst war das 17. Jahrhundert: Speziell der preußische Hof ließ in Danzig und Königsberg Kostbarkeiten aus Bernstein schnitzen als Diplomaten- und Hochzeitsgeschenke für europäische Fürsten- und Königshöfe. Berühmtestes Beispiel: das sagenhafte Bernsteinzimmer. Eine Wandtäfelung, die der preußische König 1716 dem russischen Zaren Peter I. schenkte und die seit 1945 verschollen ist.
Auch bei der modernen Verarbeitung ist Ribnitz-Damgarten die beste Adresse im Land. In der Schaumanufaktur von Ostdeutschlands größtem Schmuckproduzenten wird auf drei Etagen Bernstein bearbeitet und präsentiert, dass es wahre Pracht und helle Freude ist – allein die Ringkollektion umfasst 4500 Exemplare. Und auch hier gibt es einzigartige Bernstein-Kunstwerke, die vor Ort erschaffen wurden: ein Originalmodell der Bounty etwa, einen Baum mit 29.000 Blättern und drei Meter Kronenumfang oder eine gigantische Lampe, deren Elemente mit 50 Kilogramm Bernstein gefüllt sind.
Eine Tür für 100 Jahre
Das Metier wechselt, die goldenen Hände bleiben. In Prerow auf dem Darß sorgen die Kunsttischler René und Dirk Roloff mit viel Enthusiasmus und Hingabe dafür, dass ein Traditions-Markenzeichen der Region erhalten bleibt und munter weiterlebt: die bunt bemalten und mit Ornamenten reich geschmückten Darßer Haustüren. Diese gibt es nur auf der Halbinsel, und wer die Augen offen hält, wird sie auch finden – in Wustrow und Ahrenshoop, in Born und Wiek, in Zingst und besonders viele in Prerow.
Seit 1832 und in nunmehr sechster Generation bauen Roloffs diese Wahrzeichen, die schon vor über 200 Jahren vom Wohlstand erfolgreicher Seefahrer kündeten. In ihren repräsentativen Haustüren verschmolzen die neuesten Moden aus der weiten Welt mit den tief verwurzelten dörflichen Traditionen – so entstanden farbenfrohe Kunstwerke, die mit Lebensbaummotiven, Sonnensymbolen oder Rauten geschmückt sind. Heidnische Sonnenkreuze sollen vor Hexen und Dämonen schützen, schuppenartige geometrische Ornamente vor Blitzschlag, verwirrende Details böse Geister bannen. Halbe Sonnen als aufgehendes Gestirn wiederum symbolisieren Glück, Tulpensträuße und andere Blütenmotive sind Ausdruck von Lebensfreude.
In der Werkstatt der Roloffs ist es eng. Überall stehen Schränke und Regale, gefüllt mit Werkzeugen, die meist seit Generationen in Gebrauch sind. Roloff erzählt vom Ende der Segelschifffahrt um 1880, womit sich plötzlich mangels Geld niemand mehr neue Türen leisten konnte. Erzählt von deren Renaissance in den 1930er Jahren. Erzählt von der Darßer Nationalfarbe Rotbraun, die auch seine eigene Haustür trägt und ihren Ursprung im Norden hat – „167 Jahre schwedische Herrschaft haben da irgendwie abgefärbt“. Mindestens 100 Jahre sollen seine Türen halten, sagt er. So wie die, die sein Großvater einst gebaut hat. Und einige von denen zieren tatsächlich noch immer verschiedene Häuser in Prerow, Zingst und Ahrenshoop.
>>> Info
■ Anreise: Mit dem Auto ab dem Ruhrgebiet in rund sechs Stunden (ca. 600 Kilometer) nach Ribnitz-Damgarten. Oder mit der Bahn: www.bahn.de ■ Bernstein: Informationen zu Bernstein unter deutsches-bernsteinmuseum.dewww.ostseeschmuck.de ■ Infos zu Darßer Türen: www.kunsttischlerei-roloff.de ■ Veranstalter: Informationen zur Region und Vermittlung zu Übernachtungen (keine Buchungen) gibt beim Tourismusportal Fischland-Darß-Zingst: 038324/64 00, www.fischland-darss-zingst.de ■ Kontakt: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, 0381/4 03 05 00,www.auf-nach-mv.de