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Einzigartige Holz-Architektur im Bregenzerwald erleben

Einzigartige Holz-Architektur im Bregenzerwald erleben

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Foto: Adolf Bereuter
Das Handwerk lebt im Bregenzerwald: Eine Route führt durch 13 Dörfer mit sehenswerten Häusern. Eine Symbiose alter und neuer Holz-Architektur.

Bezau. 

Die Schwäbin nimmt kein Blatt vor den Mund: „Also, für’s Auge find’ ich das Alte schöner, einfach herziger.“ Sofort erntet sie Widerspruch: Denn ein anderer Tourist lobt die schnörkellosen Holzfronten, die raffinierten Fensterausschnitte der modernen Holz-Architektur. Baukultur müsse sich weiterentwickeln, meint er. Schließlich lebe man nicht im Museum.

Die Diskussion entwickelt sich auf dem „Umgang“. So heißt die Route, die in 13 Dörfern des Bregenzerwaldes zu besonders sehenswerten Häusern führt. Man geht herum, lernt etwas über den Umgang der „Wälder“, wie man die Bewohner hier nennt, mit dem Bauen, mit der Natur, miteinander. An markanten Stellen stehen Stahlsäulen zum Durchschauen. Sie lenken den Blick auf Interessantes, oft auf schöne Bauernhäuser mit den runden Holzschindeln oder auf moderne Architektur. Erstmals in diesem Jahr begleiten (umgängliche) Gästeführer zweimal die Woche die Touren von Säule zu Säule, nun durch Lingenau, einem Ort im Vorderen Bregenzerwald: 1370 Einwohner, 1476 Rinder, 29 Gewerbebetriebe, 307 Gästebetten.

Im Bregenzerwald trifft traditionelle auf moderne Architektur

Traditionelle Häuser gibt es viele in der Region, nicht nur zur Freude bereits erwähnter Schwäbin. Speziell die Bauernhäuser sind meist farbenfroh, mit grün gestrichenen Fensterläden und verzierten Balkonbrüstungen, oft mit herrlichen Bauerngärten davor. Die Fassaden der modernen Bauten aus unbehandelter Weißtanne vergrauen nach zwei, drei Jahren, ein gewollter Effekt. „Mut zum Grau“, sagt Klaus Riegel, der „Umgang“-Gästeführer. Gerade diese Kombination aus Alt und Neu macht den Reiz aus.

h Manchmal wird beides in einem Gebäude vereint. Die Krone in Hittisau, ein Gasthof in einem 178 Jahre alten Gebäude am Dorfplatz, trägt außen die traditionelle Schindelfassade, innen erwartet den Gast eine leichte, mehrfach ausgezeichnete Holzarchitektur. Ebenso im „Adler“ in Schwarzenberg, ein Ort, in dem Angelika Kauffmann zeitweise lebte. Die außergewöhnliche Künstlerin, 1741 geboren, portraitierte Mitglieder europäischer Königshäuser.

Wer denkt, im Bregenzerwald gibt’s Bäume und sonst nicht viel mehr, liegt falsch. Die Region kann zwar nicht mit markanten Dreitausendern oder schillernden Urlaubsorten aufwarten.

Glückliche Kühe und freundliche Wanderer

Doch sie ist ausgesprochen vielfältig: sanfte Hügel und Aussichtsberge wie die Baumgarten Höhe (1630 Meter) im Vorderen Bregenzerwald oberhalb von Bezau, von der man bis zum Bodensee blickt, schroffe Gipfel in Au oder Warth hinten im Tal. Dazu 22 schöne Dörfer mit eigenem Charakter: Hittisau ist die Gemeinde mit den meisten Almen Österreichs, 125 insgesamt.

Auffällig sind die vielen erstklassigen Restaurants und Hotels. Hier stimmen Küche und Ambiente. Für beides gilt: gute Zutaten und gekonnte Verarbeitung. Die Inneneinrichtung haben zumeist Handwerker des „Werkraums“, ein Zusammenschluss von 89 innovativen Familienbetrieben, übernommen. Das Werkraum-Haus in Andelsbuch, vom bekannten Schweizer Architekten Peter Zumthor entworfen, dient als Schaufenster für ihre Produkte. Bänke, Schränke und Stühle – schöne Entwürfe, hochwertig verarbeitet. Schade, dass sie in keinen Koffer passen. Das lichtdurchflutete Werkraum-Haus selbst ist auch Teil des „Umgangs“ in Andelsbuch.

Das Handwerk hat im Bregenzerwald einen hohen Stellenwert. Hier kamen die Barockbaumeister her, die in der Bodenseeregion bedeutende Kirchen und Schlösser schufen. „Handwerker sind bei uns keine Befehlsempfänger. Architekten schätzen sie als Partner bei der Entwicklung von maßgeschneiderten Lösungen“, so eine Mitarbeiterin des Werkraums. Vor allem Holzarchitektur prägt die Dörfer. Aber nicht nur. In Lingenau zum Beispiel entstand ein (beinahe) voll automatisierter Käsekeller, ein schlichter Bau aus dem Beton. Hier, im größten Bergkäselager Europas wenden und bürsten vier Roboter 33.000 Käselaibe, kontrolliert von drei (menschlichen) Käsemeistern. Besucher können den ferngesteuerten Wesen hinter der Glasscheibe bei der Arbeit zuschauen und dabei eine leckere Brotzeit verspeisen.

„Wartehüsle“-Architektur im Bregenzwerald

Mit Bregenz hat der Bregenzerwald übrigens vergleichsweise wenig zu tun. Die Stadt gehört zur Region Bodensee-Vorarlberg, einer anderen der sechs Vorarlberger Regionen. Etliche Gäste besuchen zwar gerne die Bregenzer Festspiele, schätzen es aber, abseits des Trubels zu wohnen. Einige Hotels bieten einen Shuttle-Service an, man fährt maximal eine Stunde bis zur Seebühne. Vor Ort finden in den Sommermonaten zahlreiche Veranstaltungen statt, etwa die Schubertiade in Schwarzenberg oder das Jazzfestival im August in Bezau. „Wir haben ein anspruchsvolles Publikum“, sagt Cornelia Kriegner vom Tourismusverband. Sie ist überzeugt, dass die Gäste im Bregenzerwald keine aufgesetzte Folklore mögen. „Wir ziehen keine Show für Touristen ab“, so Kriegner. Das müssen die „Wälder“ auch nicht: Im Gegensatz zu anderen österreichischen Destinationen sind sie nicht allein vom Tourismus abhängig. Landwirtschaft und Handwerk funktionieren ebenso.

Neben dem „Umgang“ gibt es noch weitere Routen im Bregenzerwald. Zum Beispiel zu Bushaltestellen. Auf Vermittlung von Dietmar Steiner, Leiter des Architekturzentrums Wien, haben sieben internationale Architekten in Krumbach „Wartehüsle“ gestaltet – ein Japaner eine Art Mikado, der Chinese eine Camera Obscura, der Chilene eine Hommage an eine Bauernstube. Als Lohn gab’s eine Woche Urlaub im Bregenzerwald. Damit hat sich Krumbach, 973 Einwohner und 798 Rinder, zum Pilgerziel für Architekturinteressierte entwickelt.

Die wandernden Häuser von Sibratsgfäll

Um den Umgang mit Naturgewalten geht es in Sibratsgfäll. „Wir müssen akzeptieren, dass die Natur stärker ist. Und dass wir uns nach ihr richten müssen und nicht umgekehrt“, sagt Konrad Stadelmann, ehemals Bürgermeister des 400 Einwohner-Dorfs, dem hintersten im Vorderen Bregenzerwald. Im Mai 1999 schlingerten nach sintflutartigen Regenfällen 19 Gebäude in die Tiefe. Bewohner mussten ihre Häuser verlassen, manche Bauten wurden komplett zerstört, andere gerieten in Schieflage. Ein Schock.

Aufgrund geologischer Gegebenheiten wandern die Häuser in Sibratsgfäll auch heute noch, manche bis zu sechs Zentimeter im Jahr. Dennoch sind die Menschen geblieben, haben Gefahrenzonen ausgewiesen, ihr Zuhause außerhalb dieser Zonen wieder aufgebaut. Und es wurde in Rindberg, der Parzelle, die am stärksten betroffen war, die Georunde „Bewegte Natur“ geschaffen. Acht Stationen wie „Das gewanderte Haus“ oder „Alles im Lot?“ zeichnen die Geschehnisse nach. „Manche werfen uns vor, Katastrophen-Tourismus zu betreiben“, sagt der Bürgermeister a. D.: „Aber das ist unsere Art, die Ereignisse aufzuarbeiten, wir wollen unsere Geschichte erzählen.“

Die Sibratsgfäller haben Konsequenzen gezogen, setzen ihre Häuser in Betonwannen, meiden bestimmte Gebiete. Alle zwei Jahre wird der ganze Ort vermessen. Stadelmann: „Wir bleiben, wir genießen das Leben, die schöne Landschaft.“ Und ergänzt: „Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben.“ Eine Einstellung, die für viele Lebenslagen gilt.