Der Annaberg als Zwischenstopp auf dem Weg in die Ukraine
Viele Deutsche besuchen jedes Jahr den Annaberg in Polen mit seiner barocken Basilika der Heiligen Anna. Im Sommer könnten es noch mehr werden: Das Pilger- und Touristenziel liegt auf dem Weg von Deutschland in die Ukraine.
Sankt Annaberg.
Schon von Weitem ist der in Oberschlesien gelegene Annaberg von der neuen polnischen West-Ost-Autobahn A 4 aus zu sehen. Der über 400 Meter hohe, grüne Hügel, der sich hoch über die Landschaft zwischen Opole (Oppeln) und Gliwitz (Gleiwitz) erhebt, ist ein bekanntes Touristen- und Pilgerziel. Jedes Jahr besuchen Hunderttausende Menschen die barocke Basilika der Heiligen Anna beim Franziskanerkloster oben auf dem bewaldeten Berg.
„Viele Deutsche kommen hier her“, sagt Malgorzata Polak von der Tourismusinformation am Annaberg. Darunter seien zahlreiche Menschen, die einst hier in Schlesien wohnten oder deren Vorfahren von hier kämen. Sie würden die reich geschmückte Basilika besichtigen, durch den Wald spazieren oder im Pilgerheim übernachten, ergänzt die perfekt deutsch sprechende Frau, die in Bonn Germanistik studiert hat.
Im Juni könnten hier noch mehr Deutsche als sonst vorbeischauen, denn die A 4 markiert den kürzesten Weg von Deutschland in die Ukraine. Damit werden zu den Spielen der deutschen Mannschaft mit Auto oder Bus anreisende Fans direkt am Annaberg entlangfahren. Unterhalb des Bergs liegt die Raststätte „Sw. Anny“, allerdings keine Autobahn-Abfahrt, die nächste Anschlussstelle ist knapp 20 Kilometer entfernt. Autotouristen, die auf dem Rastplatz Pause machen, können den Berg aber auf einem etwa 20-minütigen Fußmarsch über einen asphaltierten Weg erreichen, wie Polak sagt.
Menschen fühlen sich als Schlesier
Die Souvenirverkäufer an den Ständen unterhalb der Treppen zum Kloster klagen über die fehlende Anschlussstelle. „Die Leute wollen doch nicht laufen, sondern mit dem Auto heranfahren“, sagt etwa Malgorzata Sitnik, die hauptsächlich religiöse Devotionalien anbietet. Neben Polen seien Deutsche die häufigsten Besucher hier oben. „Die Deutschen kaufen aber nicht viel, höchstens Ansichtskarten“, bedauert sie.
Nebenan bietet Roman Piecha Snacks, Getränke und Eis an. „Zwei Sprachen zu sprechen ist gut für das Business“, sagt er. Seine Mutter sei eine in Schlesien geborene Deutsche, seine Tochter lebe heute im Sauerland, der Sohn studiere in Passau, erzählt er. „Ich fühle mich als Schlesier“, sagt er auf die Frage, ob er sich eher als Pole oder Deutscher betrachte. Was den Fußball betrifft, hält er sich zurück: „Mir ist egal, wer gewinnt“, sagt er, um später dann doch anzufügen, dass er eher zum polnischen Team hält.
Der Annaberg war nach dem Ersten Weltkrieg umkämpft
Der Annaberg ist nicht nur Pilgerziel, sondern auch eine Stätte deutsch-polnischer Geschichte. Am Südhang erinnert ein Museum an den schlesischen Aufstand vom Frühjahr 1921. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Wiederentstehung des polnischen Staates hatten knapp 60 Prozent der Wähler in Oberschlesien für einen Verbleib bei Deutschland gestimmt. Polnische Freischärler besetzten wenig später den strategisch wichtigen Annaberg, ehe er von deutschen Freikorps zurückerobert wurde.
Erst 1945 gelangte die Region um den symbolträchtigen Pilgerberg endgültig zu Polen. Der Riss sei 1921 quer durch die Orte und sogar durch Familien gegangen, sagt der Vorsitzende des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften (VdG) in Polen, Bernard Gaida. Damals hätten Schlesier gegen Schlesier gekämpft. „Das war ein Bürgerkrieg“, fügt er hinzu. Als Meilenstein bezeichnet er Äußerungen von Polens Staatspräsident Bronislaw Komorowski, der im vergangenen Jahr zum 90. Jahrestag der Kämpfe erwähnte, dass den Aufständischen andere Schlesier gegenüberstanden, die sich als Deutsche gefühlt hätten. (dapd)