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Manfred Kreuz über den letzten Schalker Meistertitel: „Sogar in Dortmund haben sie uns zugejubelt“

Manfred Kreuz über den letzten Schalker Meistertitel: „Sogar in Dortmund haben sie uns zugejubelt“

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Da ist das Ding! Der FC Schalke 04 präsentiert nach dem Endspiel 1958 die Meisterschale. Hinten von links Kördell, Kreuz, Koslowski, Laszig, Kapitän Klodt, Trainer Frühwirth, Siebert, Karnhof und Borutta. Vorne von links: Sadlowski, Torwart Orzessek und Brocker. Foto: imago
  • Für Schalke 04 ist heute ein bitterer Tag: Seit 60 Jahren ist der Verein nicht mehr Meister geworden
  • Manfred Kreuz war Torschütze im Endspiel von 1958
  • Er erzählt, wie gigantisch damals gefeiert wurde

Gelsenkirchen. 

Dieser Freitag ist der Tag, an dem Fans des FC Schalke 04 stark sein müssen. 60 Jahre ohne Schale – da ist mit Häme zu rechnen. Am 18. Mai 1958 wurden die Königsblauen zum siebten und bislang letzten Mal Deutscher Meister – in der Bundesliga gelang es ihnen noch nie.

Der Endspiel-Triumph in Hannover, das 3:0 gegen den Hamburger SV, war eine Überraschung. Zweimal traf Kapitän Berni Klodt, das 3:0 erzielte Manfred Kreuz. Der 82-Jährige, den sie auf Schalke Manni nennen, ist mit Heiner Kördell (86) und Willi Koslowski (81) einer der drei noch lebenden Schalker Meisterspieler von damals. Beim Interview trägt Manfred Kreuz einen Siegelring mit dem Vereinswappen: den Meisterring von 1958, mit dem alle Spieler geehrt wurden.

Hat dieser Ring bei Ihnen zu Hause einen Ehrenplatz?

Manfred Kreuz: Ich bewahre verschiedene Erinnerungsstücke auf, ich musste ihn erst hervorkramen.

Aus einer Kiste?

(lacht) Na ja, etwas nobler als eine Kiste ist die Schatztruhe schon.

Welche Erinnerungen haben Sie noch an das Endspiel von 1958? Der HSV hatte ja als Favorit gegolten.

Die Hamburger hatten mit Uwe Seeler und Konsorten eine Top-Mannschaft – mit acht Nationalspielern. Wir hatten nur einen: den Berni Klodt. Und der macht zwei Tore in diesem Spiel, das 1:0 sogar mit einem Kopfball, das hatte er sonst nie gemacht.

Und neun Minuten vor dem Abpfiff kam dann der entscheidende Schuss von Ihnen.

Da wusste jeder: Jetzt ist es geschafft.

Die Rückkehr nach Gelsenkirchen muss gigantisch gewesen sein.

Erst einmal haben wir die ganze Nacht durchgefeiert. Wir sind erst am nächsten Tag mit dem Zug aus Hannover zurückgereist. Es war unglaublich: Nachdem wir Westfalen erreicht hatten, standen an jedem Bahnhof Menschen, die uns feiern wollten. Sogar in Dortmund haben sie uns zugejubelt! Und es wurden von Bahnhof zu Bahnhof mehr. In Wanne-Eickel dachten wir schon, wir müssten den Rest zu Fuß erledigen, die Leute wollten vor Begeisterung den Zug nicht weiterfahren lassen. Die Krönung war dann aber die Ankunft in Gelsenkirchen. Wenn man vom Bahnhofsgebäude heruntergesprungen wäre, wäre man nicht auf dem Pflaster aufgeschlagen, sondern automatisch aufgefangen worden. So voll war es.

Wie war es, dann im Autokorso zum Schalker Markt zu fahren?

Es war unfassbar. Aber wenn ich ehrlich bin, waren wir da schon alle k.o., wir hatten ja in der Nacht überhaupt nicht geschlafen.

Der Meistertrainer war ein Österreicher. Wie war Edi Frühwirth?

Ein Supertyp war das. Der hat verstanden, die Leute zu begeistern, der war menschlich großartig und hat nie jemanden im Stich gelassen.

Er hat Sie Mitte der 50er-Jahre gemeinsam mit Schalke-Legende Ernst Kuzorra aus Hassel geholt.

Ja, die hatten mitbekommen, dass ich da ein paar Tore gemacht hatte. Ein Problem war, dass ich beruflich als Finanzbeamter nach Borken versetzt worden war, da musste ich bis 17 Uhr arbeiten. Am 1. Juli 1956 habe ich meinen ersten Vertrag unterschrieben. Es gab 80 Mark. Im Monat.

Für Trainer Edi Frühwirth hatte der junge Manni Kreuz ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen. Er hat dann zu einer ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen.

(lacht) Ja, ich kam gegen 14 Uhr nach Hause, es war ein Mittwoch, als Finanzbeamte hatten wir jeden Mittwoch nachmittags frei. Meine Mutter hatte Reibekuchen gemacht und servierte sie mir in der Küche. Als ich ein paar davon gegessen hatte, habe ich sie gefragt: Und jetzt? Ich war noch nicht satt, ich dachte, es gäbe noch mehr. Sonst gab es doch immer mehr. Und in dem Moment kommt aus dem Nebenzimmer der Frühwirth mit einem Tablett, auf dem die restlichen Reibekuchen lagen. Der hatte extra meine Mutter besucht, um ihr zu sagen, dass sie mir nicht zu viel Fettiges zu essen geben sollte. Und damit hatte er sein Ziel erreicht. Die Ernährung wurde umgestellt. Und nach dem Training mussten wir uns immer auf die Waage stellen, da konnte nicht gemogelt werden.

Sie waren Meisterspieler, Sie waren später auch Schalker Kapitän. Trotz Ihrer Erfolge aber wurden Sie nicht Nationalspieler. Es wird erzählt, Bundestrainer Sepp Herberger hätte es missfallen, dass Sie auch schon mal ein Bierchen getrunken und eine Zigarette geraucht haben.

Das stimmt auch so. Herberger war sehr streng. Er war der liebe Gott. Was der sagte, wurde auch gemacht. Aber ich war nicht böse darum.

Warum nicht?

Ja, warum nicht? Gute Frage.

Vielleicht, weil die Schalker Welt Ihnen gereicht hat?

Ja. Auf Schalke habe ich mich immer am wohlsten gefühlt.

An die Meisterschaft von 1958 konnte Schalke nicht mehr anschließen. Nachdem 1963 die Bundesliga gegründet worden war, ging es abwärts. Warum?

Plötzlich spielte das Geld eine immer größere Rolle. Der DFB schrieb vor, dass 1200 Mark Monatsgehalt nicht überschritten werden durften, für Nationalspieler aber wurde die Quote erhöht. Das hat die Mannschaft auch verändert. 1965 standen wir auf dem letzten Platz und wären abgestiegen, wenn die Bundesliga nicht aufgestockt worden wäre.

Weshalb sind Sie Schalke auch in schweren Zeiten immer treu geblieben?

Einerseits, weil damals auch noch Ehre dazugehörte. Aber auch, weil ich zwei Jobs hatte. Die anderen haben in der Bundesliga vor- und nachmittags trainiert, ich nur nachmittags. Erst hatte ich Einzeltraining, da war ich schon kaputt wie ein Hund. Und dann habe ich zwei Stunden lang mit den anderen trainiert.

Warum sind Sie nicht auch Vollprofi geworden?

Das kam für mich nie in Frage. Ich war inzwischen verheiratet und hatte drei Kinder – das alles ging vor.

Wenn Sie auf die Spieler von heute schauen – die sind allesamt Millionäre. Wenn Sie an Ihre Zeiten zurückdenken – kommt da Neid auf?

Nein, kein Neid. Die sollen heute ruhig ihre Kohle verdienen. Aber ich meine das wörtlich: Sie sollen sie sich aufrichtig verdienen – auf dem Platz.

Wie oft schauen Sie sich Schalker Heimspiele in der Arena an?

Ich bin immer da. Ohne mich findet hier kein Spiel statt. Und ich hoffe, das bleibt noch länger so.

Wie gefällt Ihnen denn die aktuelle Mannschaft?

Die ist in Ordnung. Das letzte Saisonspiel gegen Frankfurt fand ich besonders gut. Da haben die Jungs richtig gezeigt, wer Herr im Haus ist.

Aber mehr als die Vize-Meisterschaft ist zurzeit nicht möglich.

Ja. Aber wenn vor der Saison einer gesagt hätte, die Schalker würden bis zum Schluss da oben auf Platz zwei stehen, der wäre doch für bekloppt erklärt worden.

Wird das so bleiben, dass die Vizemeisterschaft das Größte ist?

Die Überlegenheit der Bayern wird nicht ewig andauern. Wenn Robben und Ribéry erst mal weg sind, werden sich die Bayern schwerer tun. Dann wird es keinen Durchmarsch zum Titel mehr geben.

Und dann schlägt Schalkes große Stunde?

(lacht) Das behaupte ich nicht!