In den neuen Ländern ist Landwirtschaft zur Industrie geworden. Einige Riesenhöfe sind aus den LPG der DDR hervorgegangen. Der Greifswalder Professors Helmut Klüter kritisiert: „Ohne Subventionen würde ein großer Teil der Großbetriebe zusammenbrechen.“
Berlin.
Bis zum Horizont erstrecken sich die Raps- und Weizenfelder rund um den vorpommerschen Flecken Wietzow. Mit gewaltigen Mähdreschern rasieren Landarbeiter in kurzer Zeit riesige Äcker. Ein paar Kilometer weiter liegt eine Stallung. Auf einer Fläche von einem Dutzend Fußballfeldern werden über 10 000 Sauen gehalten. Einsehen lassen sich die Verhältnisse in der Ferkelfabrik von außen nicht.
Ein Teil der Häuser in den nahegelegenen Ortschaften ist nicht mehr bewohnt. Manche Dörfer verfallen. Die Bewohner haben sich anderswo niedergelassen. Es gibt hier kaum Arbeit.
Das hat nach Einschätzung des Greifswalder Professors Helmut Klüter viel mit den landwirtschaftlichen Großbetrieben zu tun. „In den betroffenen Regionen liegt die lokale Wirtschaft brach“, sagt der Raumforscher. Klüter, ein Kritiker der Agrarindustrie, würde gerne statt der großen Betriebe viele kleinere Bauernhöfe sehen, die Arbeit mit sich bringen und lokale Wirtschaftskreisläufe in Gang halten.
Mitunter regt sich Widerstand gegen die Agrarindustrie. So versucht in Wietzow zum Beispiel der alternative Unternehmerverband MiLaN der ökonomischen Monokultur etwas entgegenzusetzen – touristische Angebote, Handwerk und persönliche Dienstleistungen. „Die Natur ist ein Standortfaktor“, sagt Mitinitiator Jörg Kröger. Einen kleinen Erfolg kann die Wietzower Dorfgemeinschaft immerhin verbuchen. Die Einwohnerzahl geht nicht zurück, sondern wächst sogar etwas an, von 56 auf heute 60.
Trend zu größeren Agrarbetrieben
Die Rückkehr zur Kleinteiligkeit hält der Präsident des Landbauernverbands Brandenburg, Udo Folgart, für illusionär. „Der Trend zu größeren Betrieben wird sich fortsetzen“, glaubt der Chef eines Großbetriebs. Der Westen hole nach, was aus der historischen Entwicklung heraus im Osten schon lange der Fall ist. In den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sei die Kooperation eingeübt worden. Der Westen komme auf anderen Wegen zu ähnlichen Strukturen. Früher, in der DDR, arbeitete jeder zehnte Arbeitnehmer in der Landwirtschaft. Im Westen waren es weniger als vier Prozent. Heute ist das Verhältnis praktisch umgekehrt.
Die Kennzahl der Branche ist die Zahl der Arbeitskräfte pro Hektar Land. In den neuen Ländern kommen die Betriebe mit durchschnittlich 1,8 Landarbeitern pro 100 Hektar Fläche aus, im Süden Deutschlands werden 4,6 benötigt. „Im Frühjahr werden ein paar Leute für ein paar Tage zur Aussaat angeheuert und im Herbst zur Ernte“, beobachtet Klüter. Auf diese Weise bringen die Großbetriebe kein Geld in die Bevölkerung der Gemeinden, das wiederum für lokale Dienste ausgegeben werden könnte.
Riesenhöfe sind aus den LPG der DDR hervorgegangen
Die Landwirtschaft in Ost und West unterscheidet sich gravierend voneinander. Im Bundesdurchschnitt gehören gut 55 Hektar Land zu einem Betrieb. Die Spannbreite ist allerdings gewaltig. Im Landkreis Demmin, wo Kröger zu Hause ist, sind es nach Angaben des Statistischen Bundesamts 381 Hektar. Es gibt auch Betriebe mit mehr als 1000 Hektar Land, auch Ökohöfe.
Die Riesenhöfe sind aus den LPG der DDR hervorgegangen. Mal haben die Nachfahren der Vorkriegsbesitzer alte Ländereien wieder übernommen, mal die früheren Chefs der LPG die Gunst der Stunde genutzt und die Hinterlassenschaft des Sozialismus in eine GmbH oder neue Genossenschaft verwandelt, mal haben sich Großbauern aus dem Westen in den neuen Ländern eingekauft. Insbesondere in der Nachwendezeit soll es dabei auch zu Schiebereien gekommen sein. Auf die Struktur hatte das aber keinen Einfluss.
Aber steht Größe auch für Effizienz? Forscher Klüter hält dies für eine Mär und hat dies in einem Gutachten für den Brandenburger Landtag auch belegt. „Der Getreideanbau ist nur produktiv, wenn ich dafür eine Flächenprämie erhalte“, erläutert der Wissenschaftler.
Subventionen für den Osten
Prämien aus EU-Töpfen fließen in den neuen Ländern reichlich, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Brandenburg veranschaulicht. In Bayern erhielten zwölf von knapp 120 000 Landwirten mehr als 300 000 Euro an EU-Zahlungen. In Brandenburg sackten 689 der fast 6000 Bauern so viel ein. „Ohne Subventionen würde ein großer Teil der Großbetriebe zusammenbrechen“, schätzt Klüter.
Großbauer Folgart weist diesen Vorwurf zurück. „Wir haben wettbewerbsfähige Betriebe“, sagt der Landtagsabgeordnete. Jetzt gehe es darum, die vorhandenen Arbeitsplätze zu erhalten und eventuell durch eine stärkere Veredelungswirtschaft auszubauen. Das liefe auf mehr Tierzucht hinaus, für die auch mehr Personal benötigt wird.
Vieles deutet darauf hin, dass der Osten in der Landwirtschaft einen Vorreiterrolle eingenommen hat. Wie in anderen Industriezweigen auch, setzt sich Größe durch.