Wladimir Klitschko ist nach der erneuten Absage des Revanche-Kampfs gegen Tyson Fury enttäuscht. Aus dem Mega-Fight ist ein Possenspiel geworden.
Hamburg.
Als der unendlichen Geschichte am Freitagabend ihr nächstes Kapitel angefügt worden war, verlor Bernd Bönte endgültig die Geduld. „Wladimir wird von diesem Kerl in Geiselhaft gehalten. Die Situation ist wirklich deprimierend“, schimpfte der Manager des ehemaligen Schwergewichtsweltmeisters Wladimir Klitschko. Zum zweiten Mal bereits hatte der Brite Tyson Fury den weltweit mit Spannung erwarteten Rückkampf mit dem Ukrainer, dem er im November 2015 dessen drei WM-Titel entrissen hatte, platzen lassen. Das für 9. Juli in Manchester geplante Duell, das der 28-Jährige zunächst wegen einer angeblichen Knöchelverletzung abgesagt hatte, sollte am 29. Oktober nachgeholt werden. Doch auch daraus wird nun nichts.
Und wer den Inhalt des medizinischen Bulletins kennt, das eigentlich streng geheim bleiben sollte, der muss befürchten, dass es niemals dazu kommen wird, dass Klitschko sich für die Schmach von Düsseldorf rehabilitieren kann. Fury, so heißt es, leide unter schweren Depressionen inklusive Selbstmordgedanken. Die Fachärzte haben dem aus einer irischen Travellerfamilie stammenden Athleten zu einer mehrmonatigen Pause geraten, um sich intensiv behandeln zu lassen.
Fury hatte schon zu früheren Zeitpunkten in seinem Leben mit psychischen Problemen zu kämpfen. Er hatte in mehreren Interviews eingeräumt, „dunkle Zeiten und dunkle Gedanken“ erlebt zu haben, allerdings nie von schweren Depressionen gesprochen. Seine Verbalattacken gegen Juden und Frauen hatten ihm vor dem ersten Duell mit Klitschko Antisemitismus- und Sexismusvorwürfe sowie eine Rüge des britischen Verbands eingebracht. Klitschko hatte danach gesagt, er halte Fury für „geisteskrank“.
Mit seinem diversen Eskapaden in den vergangenen Monaten – so war er beispielsweise wenige Tage nach der ersten Absage mit kaputtem Knöchel zur Fußball-EM nach Frankreich gereist und hatte dort mit englischen Fans Trinkgelage gehalten – hatte der 206-cm-Hüne mehrfach den Eindruck eines manisch-depressiven Charakters hinterlassen. Sein Onkel und Trainer Peter Fury enthüllte nun, dass sich sein Neffe am Tiefpunkt seines Lebens befinde und dessen Karriere infrage stünde. „Er dachte, dass er für den Sieg über Klitschko gefeiert werden würde, stattdessen gab es eine regelrechte Hexenjagd. Er fühlt sich nicht respektiert. Das stört ihn sehr und hat dazu geführt, dass er kein Selbstvertrauen mehr hat und sich nicht mehr auf das Training konzentrieren kann“, sagte Peter Fury.
Laut des offiziellen Statements ist Fury „medizinisch unfit“
Im offiziellen Statement, das Furys Promoter Hennessy am Freitagabend verschickte, hieß es lediglich, der Boxer sei „medizinisch unfit“. Dem Klitschko-Management gegenüber erklärte das Lager des Champions, man sei tief betroffen über die erneute Absage. Nachdem Fury in der vergangenen Woche eine gemeinsame Pressekonferenz mit Klitschko in London unter dem Vorwand geschwänzt hatte, er habe eine Autopanne gehabt, versuchte sein Team nun, den Eindruck zu verhindern, es könne sich erneut um Psychospielchen handeln.
Zudem sollte nicht vergessen werden, dass Fury Ärger mit der britischen Antidoping-Agentur (Ukad) droht. Für November ist eine Anhörung geplant, in der der in 25 Profikämpfen unbesiegte Sportler Stellung zu einer positiven Probe auf das anabole Steroid Nandrolon nehmen soll, die im Frühjahr 2015 entnommen worden, aber erst kurz nach der ersten Absage des Rückkampfes mit Klitschko öffentlich bekannt geworden war. Erschwerend kommt nun hinzu, dass Fury kürzlich den unangemeldeten Besuch von Ukad-Kontrolleuren mit den Worten „Verpisst euch!“ abgewiesen haben soll. Verweigerte Dopingtests können in Großbritannien mit vier Jahren Sperre geahndet werden.
Die Klitschko Management Group (KMG) will sich nun auf Spekulationen nicht mehr einlassen, sondern Fakten schaffen. „Wir können über die Gründe für die Absage keine Angaben machen, haben nur die Information bekommen, dass Tyson Fury monatelang ausfällt. Deshalb müssen wir jetzt nach vorn schauen und ausloten, welche Möglichkeiten es für Wladimir gibt“, sagte Bönte. Klar ist, dass der 40-Jährige so schnell wie möglich wieder in den Ring steigen will, immerhin ist seit dem letzten Kampf nun fast ein Jahr vergangen. „Ich bin in Topform und deshalb natürlich total enttäuscht, dass ich nicht die Chance bekomme, meine Niederlage gegen Tyson auszumerzen und mir von ihm meine Titel zurückzuholen“, sagte der Wahl-Hamburger, der sich zuletzt in Kiew fit gehalten hatte.
Ein möglicher Klitschko-Gegner ist IBF-Weltmeister Anthony Joshua
Priorität hat für den Ukrainer, der vor der Niederlage gegen Fury elfeinhalb Jahre unbesiegt geblieben war, die Rückeroberung der Titel der Weltverbände WBA und WBO. Der IBF-Titel, den er ebenfalls an Fury verloren hatte, war diesem wegen der Weigerung, gegen den IBF-Pflichtherausforderer anzutreten, bereits im vergangenen Jahr aberkannt worden. Mittlerweile ist Furys Landsmann Anthony Joshua (26) IBF-Champion – und sucht für seinen nächsten Kampf, der für 26. November in Manchester geplant ist, noch einen Gegner. Joshuas Manager Eddie Hearn hatte bereits in der Nacht zu Sonnabend erklärt, einem Duell mit Klitschko offen gegenüberzustehen. Auch Bönte sagte: „Das wäre ein Kampf, den wir uns gut vorstellen könnten.“ Eine erste Kontaktaufnahme hat es bereits gegeben.
Dennoch hofft man im Klitschko-Lager, dass WBA und WBO Fury die Titel nun wegen Inaktivität aberkennen und ihrem langjährigen Champion die Chance einräumen, um die vakanten Gürtel zu kämpfen. Für den 10. Dezember hat KMG bereits mehrere Hallen in Deutschland, darunter auch die Hamburger Barclaycard Arena, geblockt. „Wir hoffen, dass die Verbände zeitnah entscheiden, damit Wladimir bald wieder Weltmeister ist“, sagte Bönte.