Tausenden Verbrauchern wird jedes Jahr der Strom abgestellt – vielen damit auch die Heizung. Betroffen sind schon lange nicht mehr nur Erwerbslose.
An Rhein und Ruhr.
Ein Holzkohlegrill als letztes, verzweifeltes Mittel gegen Kälte: Dass sie einen Grill im Schlafzimmer als Ersatzheizung entzündet hatten, haben eine Mutter (43) und ihre Kinder im ostwestfälischen Beverungen (Kreis Höxter) am Wochenende fast mit dem Leben bezahlt. Mit einer Rauchvergiftung kamen sie und die beiden Kinder in eine Klinik. Kürzlich waren bereits in Düsseldorf eine Mutter und ihr Sohn in die Uni-Kliniken eingeliefert worden.
Sie hatten ebenfalls hochgiftiges Kohlenmonoxid eingeatmet aus dem Rauch eines Grilles, der in der Wohnung als Heizung dienen sollte. Die reguläre Heizung hatte die Düsseldorferin (30) nicht mehr andrehen können, weil der Strom abgeschaltet war. Offenbar waren Rechnungen nicht gezahlt worden.
Problem ist weit verbreitet
Zwei dramatische Einzelfälle binnen nur einer Woche; das eigentliche Problem ist dabei viel weiter verbreitet. Tausenden Verbrauchern wird in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr der Strom abgestellt, weil sie mit dem Bezahlen im Rückstand sind. „Viele Heizungen funktionieren jedoch nur über elektrisch gesteuerte Geräte“, erklärt Martin Debener vom Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“.
Mit dem abgestellten Strom ist also gleich auch die Heizung mit weg – obwohl die eigentlich erst später über die Nebenkosten beim Mieter abgerechnet würde. „Die Zahl solcher Fälle nimmt zu“, sagt Debener. Das erlebe der Verband auch in seinen Beratungen.
Modellprojekt gegen Energiearmut
Was tun? Viele solcher Energiesperren ließen sich nach Meinung des Paritätischen vermeiden, wenn die Stromkosten bei Hartz-IV-Empfängern in „angemessener Höhe“ in die Kosten der Unterkunft integriert und damit direkt vom Jobcenter gezahlt würden. Das ist bis heute nicht der Fall. „Es bleibt deshalb nur, dass man Lösungen vor Ort sucht“, meint Debener im Gespräch mit unserer Redaktion.
Mit dem Energieversorger müsse eine Ratenzahlung und mit dem Jobcenter ein Darlehen vereinbart werden – nötigenfalls auch ein zweites, falls schon eines vorhanden ist. „Das Jobcenter kann einen Kredit tilgungsfrei stellen“, sagt der Fachmann vom Paritätischen. Betroffene sollten sich notfalls an Erwerbslosen-Initiativen vor Ort wenden.
Auch viele Rentner sind betroffen
Allerdings: „Energiesperren treffen längst nicht nur Erwerbslose“, sagt Claudia Bruhn von der Verbraucherzentrale NRW. In einem Viertel der Fälle verfügten die Haushalte über Einkommen, 15 % seien Rentner. Brune leitet das im Herbst 2012 gestartete Modellprojekt „NRW bekämpft die Energiearmut“. In acht Städten (darunter Krefeld, Dortmund und Bochum) gibt es Rechts- und Budgetberatung für Bürger, die ihre Energierechnung nicht bezahlen können. Zugleich wird auch ganz individuell im Haushalt nach Möglichkeiten gesucht, teure Energie zu sparen. Hinter dem Projekt stehen auch Verbraucherschutzminister Remmel und örtliche Energieversorger.
Mehr als 1500 Bürger wurden bisher beraten. In zwei Dritteln der Fälle konnte man Vereinbarungen mit Energieversorger, Jobcenter oder Sozialamt erzielen. Dabei hatte man es häufig mit Energieschulden von 200 und mehr Euro zu tun. Das Projekt ist zunächst bis Ende nächsten Jahres befristet, soll aber noch ausgeweitet werden. Leiterin Bruhn wünscht sich, dass Versorger im Falle nicht gezahlter Abschläge weniger restriktiv verfahren: „Es sollte stets der Einzelfall geprüft werden.“