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Autobahnbau bringt Beweis für verheerendes Erdbeben bei Köln

Autobahnbau bringt Beweis für verheerendes Erdbeben bei Köln

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foto44~f7288b13-d1db-4dc9-875f-13f3784389da-073.jpg Foto: Christoph Grützner
Aufregender Fund beim Autobahnbau: Wissenschaftler haben in NRW ein gewaltiges Erdbeben nachgewiesen, das noch nicht lange zurückliegt.

Köln/Düren. 

Bestimmt 30 Sekunden müssen die Erschütterungen gedauert haben, und das Grollen ging irgendwann in einen Knall über. Das war der Moment, der sich dann auch an der Erdoberfläche zeigte: Bis zu 50 Zentimeter lag die Wiese auf der nordwestlichen Seite der aufgerissenen Erdoberfläche jetzt tiefer, weil sich bis in 25 Kilometer Tiefe das Gestein verschoben hat. Das Szenario hat sich so oder ähnlich bei einem gewaltigen Beben der Magnitude 6.5 bis 7.0 bei Düren abgespielt, das der Paläoseismologe Christoph Grützner nachgewiesen hat. Paläoseismologen suchen nach den Spuren früherer Beben, und Grützner berichtet nun in der Fachzeitschrift „Geophysical Journal International“ und einem Blog-Beitrag über den aufsehenerregenden Fund.

Als 2010 die Bagger den Weg bereiteten für die Verlegung der A4 Aachen-Köln, war Grützner mit Kollegen dabei und wurde fündig. Die Trasse schneidet die Rurrand-Störung, eine Verwerfung von Nordwest nach Südost, an der die sich ausdehnende Erdkruste in zwei Schollen zerbrochen ist.

Die Wissenschaftler von der RWTH Aachen und der Uni Mainz konnten mit Unterstützung eines Labors bestimmen, dass sich das Beben maximal 7000 vor Christus ereignete, vielleicht aber auch vor nur 2500 Jahren. Erdgeschichtlich ist das nicht einmal ein Wimpernschlag – und in unserer Zeit würde das Beben zu verheerenden Zerstörungen führen wie im RTL-Katastrophenfilm“Helden – Wenn Dein Land Dich braucht“. .

Bei Düren war auch 1756 das Epizentrum eines Erdbebens, das mehrere Menschenleben forderte und bis Berlin und London zu spüren war. 1992 ereignete sich etwas weiter nördlich das Roermond-Beben mit der Magnitude 5.8, bei dem Dutzende Menschen verletzt wurden und ein geschätzter Schaden von 125 Millionen Euro entstand. Auch der Kölner Dom war dabei in Mitleidenschaft gezogen worden. Das nun entdeckte Beben war viel stärker, sagt Grützner. Eine Einheit mehr auf der Richterskala bedeutet die 10-fache Bodenbewegung und die 30-fache Energie.

Große Beben nicht nur an Plattenrändern

Gefährdete Erdbebenzonen sind nicht nur die Regionen, in denen die kontinentgroßen Gesteinsplatten aneinanderreiben. Die Platten stecken im Schraubstock ihrer Nachbarn, dadurch kann sich die Spannung auch in Schwächezonen innerhalb der Platten entladen. In Deutschland finden sich solche Schwächezonen vor allem am Nieder-, aber auch am Oberrhein: 1978 richtete ein(e) Beben der Stärke 5.7 in der Nähe der Schwäbischen Alb einen damals enormen Schaden von 275 Millionen Euro an.

1998 hatte eine für die Rückversicherung MunichRe erstellte Studie ermittelt, welche Schäden ein Beben der Stärke 6.4 in der Kölner Bucht ausrichten könnte – also ein Beben vergleichbar dem, das Grützner aufgespürt hat: Sie kam auf 94 Milliarden Mark, knapp 50 Milliarden Euro. Bei einer Konferenz der deutschsprachigen Gesellschaften für Erdbebeningenieurwesen wurde 2011 eine Studie (PDF, ab Seite 23) vorgestellt, wonach bereits ein Beben von 5,7 in Köln Schäden von mehr als 6 Milliarden Euro verursachen kann. Duisburg auf Platz 3 bei der Schadenshöhe kam dabei auf 1,7 Milliarden Euro. Ein solches Beben sei etwa alle 475 Jahre zu erwarten. Zum Vergleich: Japans Regierung schätzte die Schäden durch das katastrophale Beben der Stärke 9,0 im Jahr 2011 ohne Produktionsausfälle auf 220 Milliarden Dollar, Fukushima blieb dabei völlig außen vor.

Der frühere Leiter der Erdbebenstation Bensberg, Ludwig Ahorner, kritisierte die Zahlen der MunichRe, weil sei den schlechtesten Fall ausreizten, zudem gehe die Eintrittswahrscheinlichkeit unter. Er rechnete aus, dass am Erftsprung, einer anderen Störung, im ungünstigsten Fall theoretisch im Abstand von 18.000 Jahren ein Beben der Stärke 6.7 zu erwarten sei.

Mehr als ein Dutzend größerer Störungen

Grützner hat nun bewiesen, dass die etwas näher an Aachen liegende Rurrand-Störung ebenfalls solche Beben auslösen kann. An dieser Kante komme es im Abstand von mehreren Zehntausenden Jahren zu großen Beben. Die Frequenz zwischen den Beben ist dabei nur ein statistischer Wert. Grützner zu unserer Redaktion: “Erdbeben treten sehr unregelmäßig auf. Mal sind 50.000 Jahre zwischen zwei Starkbeben, mal nur ein paar tausend. Wir wissen, dass es so ist, aber nicht warum.”

Problem beim Erdbebenrisiko in NRW sei aber, dass es einige Störungen wie den Rurrand und den Erftsprung gibt. “Jede Störung für sich produziert nur alle paar tausend Jahre ein Beben – aber wir haben mehr als ein Dutzend größerer Störungen zwischen Köln und Maastricht.”

Für die Wissenschaft ist nicht nur der Fund wichtig, sondern auch, dass Grützner mit seinem Vorgehen erfolgreich war. Mit Geländebeobachtung und der Auswertung von Laservermessung der Erdoberfläche hatte er die Stelle vorhergesagt, an der dann tatsächlich die Spuren des Erdbebens zu finden waren. Damit wird die Suche nach den Spuren früherer Beben zielgerichteter. “Wir hoffen das! Ein nächster Schritt wäre, sich die anderen Störungen in der Niederrheinischen Bucht vorzunehmen.” Die Chancen steigen, mit weiteren Funden die Erdbeben besser zu verstehen.