Birgit Lonsdorfer fand Sticken immer langweilig, bis sie entdeckte, dass man damit auch witzige Motive gestalten kann. Jetzt wird sie in einem Buch vorgestellt.
Essen.
Sticken, das ist etwas für freundliche, ältere Damen, die mit Blümchen-, Bärchen- und Kükenmotiven ihre Kissen oder Tischdecken verschönern. Ist ja ganz nett, fand Birgit Lonsdorfer, aber doch etwas altmodisch und bieder und schon mal gar nichts für sie. Deswegen hat sie ihr „Handarbeitsgen“, wie sie es nennt, immer anders ausgelebt: mit Stricken und Häkeln, Modellieren und Malen. „Mein ganzes Leben war Handarbeit, ich hab immer irgendwas gemacht. Schon als Kind hab ich Aquarelle gemalt und verkauft. Ich hab Socken gestrickt und Topflappen gehäkelt.“ Nur Sticken war eben nie ihr Ding.
Bis ihr im Jahr 2013 eine Freundin ein Stickbild schenkte, mit einem frechen Spruch drauf, sehr frech, mit einem F…-Wort. Birgit Lonsdorfer fand den gestickten Spruch lustig. In ihr reifte eine Idee: Sprüche sticken – das ist witzig und originell, das kann man auch selbst. Seither ist sie süchtig, wie sie selber erzählt. Eine schöne Sucht und eine inspirierende noch dazu.
Eine kühne Idee
Denn die Geschichte des Sprüchestickens geht natürlich noch weiter. Lonsdorfer ging damals ins Handarbeitsgeschäft, um sich eine Vorlage für ein Alphabet zu kaufen. Doch es gab nichts, was ihr gefiel. „Das war mir alles zu verschnörkelt oder zu verspielt.“ Und weil die Essenerin gelernte und praktizierende Grafik-Designerin ist, entwickelte sie kurzerhand eine eigene Typographie, stickte Sprüche wie „Heul doch“, „Niveau ist keine Hautcreme“ oder „Aufstehen. Krönchen richten. Weitergehen.“, entwickelte daraus Stickvorlagen, gab sich den Namen Schrägstich Design und klapperte Handarbeitsläden ab, um ihre Vorlagen an die Frau (ganz klar die überwältigende Mehrheit in der Stickwelt) zu bringen. Das war allerdings nicht ganz so einfach wie gedacht. Die meisten lehnten dankend ab: die Sprüche zu forsch, das Stickmuster zu simpel. Im Rückblick, erzählt die 54-Jährige heute, sei es eine verrückte und wohl auch ziemlich kühne Idee gewesen. „Ich konnte damals ja noch gar nicht so richtig doll sticken.“ Doch der Stickwarenladen direkt um die Ecke in Essen gab ihr eine Chance – und hatte nach zwei Tagen ihre ersten Designkreationen verkauft. „Wahnsinn. Ich war stolz wie Bolle.“
Mal abgesehen davon, dass sich die 54-Jährige seither auch handarbeitstechnisch perfektioniert hat, ist inzwischen auch einiges andere passiert. Nachdem Stricken und Häkeln schon seit einiger Zeit wieder „in“ sind, gilt neuerdings auch Sticken als Trendthema – was Birgit Lonsdorfer sehr entgegen kommt: „Das ist genau das, was ich immer wollte, dass auch junge Leute damit anfangen.“
Weit mehr als 100 Motiv-Ideen hat sie inzwischen entwickelt: Totenköpfe in knalligen Farben, Hirschgeweihe, Sprüche in Buchstaben mit Farbverlauf. Das ist ungewöhnlich und das fällt auf.
Bald auch Teil eines Buchprojekts
Lonsdorfers Schrägstich-Label hat eine Fangemeinde, mit der sie sich nicht nur bei Handarbeitstreffen, sondern auch via Facebook austauscht. Aus dem reinen Hobby „ist eine Leidenschaft geworden, mit der ich sogar ein bisschen Geld verdiene.“ Ihre Entwürfe reichen von einfach bis anspruchsvoll.
5200 Kreuze, 11 Farben, das ist zum Beispiel nicht ganz ohne. Und es dauert. Stunden. Tage. Für Ungeduldige ist das wohl eher nichts. Für Birgit Lonsdorfer ist es „die reinste Meditation. Sticken bedeutet für mich entspannen.“ Fernsehen hat sie eigentlich seit drei Jahren nicht mehr geguckt. „Seitdem ich sticke, höre ich Fernsehen nur noch.“
Und bald ist die Essenerin auch druckreif: Über eine Frau in Australien, bei der sie regelmäßig Stickrahmen bestellt und die auf ihrer Internetseite Lonsdorfers Totenkopf-Motive präsentierte, wurde die deutsche Journalistin Petra Harms auf sie aufmerksam, die an einem Buch über internationale Stickkünstler arbeitete. Jetzt ist Birgit Lonsdorfer Teil dieses Projekts und wird als eine von 14 Kreativen mit einem Designentwurf vorgestellt. Anfang September soll das Buch mit dem Titel „Stitch it yourself!“ im Droemer Knaur Verlag erscheinen.
Apropos Buch: Da hat die Frau mit den vielen Ideen für die Zukunft noch ein Ziel. Bislang ist es noch ein Traum, aber die Designerin hat mit Kreativität und Entschlossenheit bislang schon viel Unmögliches möglich gemacht: „Ein eigenes Stickbuch zu machen für Anfänger, mit Mustern und allem, was dazu gehört. Aber das ist ein Langzeitprojekt.“