60-Stunden-Woche, zwei Wochen Urlaub im Jahr: Trotzdem lockt der Job junge Leute. 2014 gab es NRW-weit 1595 Landwirt-Azubis – 8,4% mehr als im Vorjahr
Am Niederrhein.
Sie hatte noch überlegt, einmal kurz. Was mit Pferden – das könnte doch auch etwas sein, oder? Nein, könnte nicht. Gedanke verworfen. „Eigentlich war ziemlich früh klar, dass ich Landwirtin werden will“, erzählt Sarah Schulte-Bocholt. Die 30-Jährige ist staatlich geprüfte Agrarbetriebswirtin. In etwa zwei Jahren wird sie den elterlichen Hof in Schermbeck-Üfte übernehmen.
75 Hektar Land, Schweine, Bullen und Hähnchen: Sarah Schulte-Bocholt weiß, was sie erwartet. Schließlich hat die Junglandwirtin von klein auf mit angepackt. Traktorfahren kann sie seit Kindertagen. „Mit fünf und sechs saß ich mit oben und legte den Gang ein“, erzählt die Schermbeckerin. Lenken folgte etwas später, und als die Beine lang genug
waren für die Pedalen, da ging es mit dem Fahren los. Tiere kann man nie alleine lassen. Beim Vater erlebt sie, wie viel Arbeit so ein Hof macht: „Von montags bis samstags ist man sicher täglich zehn Stunden dran, sonntags kommen dann noch mal vier Stunden dazu“, sagt sie. Urlaub? „Zwei Wochen im Jahr. Höchstens.“ Auf dem Hof benötigt man da auch immer eine Vertretung. Die Schermbeckerin wird da aber auf ihren Vater zählen können, so wie dieser jetzt auf sie.
Immer mehr Anwärter sind nicht auf einem Hof großgeworden
Trotz der Plackerei: Für den Beruf des Landwirtes entscheiden sich in Nordrhein-Westfalen immer mehr junge Menschen. 2014 gab es landesweit nach Angaben des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes (RLV) insgesamt 1595 Auzubis – 8,4% mehr als im Vorjahr. Die Bewerbungen für das neue Lehrjahr (Start: 1. September) laufen derzeit. Auch die weiterführenden Fachschulen, die Landwirte nach ihrer dreijährigen Ausbildung besuchen können, melden ein wachsendes Interesse. 2012/2013 wurde erstmals die Marke von 1000 Anmeldungen übersprungen, danach gab es weitere leichte Anstiege. Bemerkenswert: Immer mehr junge Leute, die nicht auf einem Hof groß gewortden sind, entscheiden sich mittlerweile für den Beruf des Landwirts. In der Ausbildung liegt der Anteil den Angaben zufolge bei mittlerweile 40%.
Andrea Bahrenberg vom Landwirtschafts-Verband führt das Interesse auf den Mix aus Natur, Technik und Tieren, den der Beruf mit sich bringen. Ganz wesentlich hätten aber gute Jobaussichten zu diesen Zuwächsen beigetragen, so die RLV-Sprecherin. Von Fachschulen höre man, dass Studierende bereits Stellen in Aussicht haben, noch ehe der Abschluss da ist. „Diese Entwicklung wird auch in den nächsten Jahren anhalten ist Bahrenberg überzeugt. Weil Betriebe größer werden, würden Mitarbeiter mit gutem Abschluss fürs mittlere Management gesucht. Auch der vor- und nachgelagerte Bereich, z.B. der Agrarhandel, suche Leute.
Sarah Schulte-Bocholt reizen das Selberentscheiden und das Selbermachen am Beruf: „Ich finde das Unternehmerische gut.“ Ihre Ausbildung hat die Schermbeckerin in Waltrop, in Ascheberg im Münsterland und in Dorsten absolviert, die Fachschule besuchte sie in Borken. Und ein halbes Jahr arbeitete sie auf einer Farm in Namibia mit. Neben der Arbeit auf dem Hof ist sie halbtags bei der Landwirtschaftskammer in Borken beschäftigt. Der Job in Borken wird zurückstehen müssen, wenn sie den elterlichen Betrieb übernimmt. Und für Hobbys wie das Motorradfahren bleibt weniger Zeit: „Der Betrieb steht dann an erster Stelle.“