In der Diskussion ums Turbo-Abitur wirbt Schulministerin Löhrmann (Grüne) für ihr Modell der individuellen Lernzeit – und besucht eine Modellschule.
Alsdorf.
Das Gymnasium Alsdorf bei Aachen steckte einst in der Existenzkrise. Zu wenige Anmeldungen, zu viel Konkurrenz aus den Nachbargemeinden. Aber 2005 erfand sich diese Schule radikal neu. Sie verschrieb sich ein anderes pädagogisches Konzept, importiert aus den USA und den Niederlanden. „Dalton-Schule“ nennt sich das Gymnasium seitdem. Der Name klingt seltsam, die Idee dahinter ist aber ausgezeichnet: 2013 erhielten die Alsdorfer sogar den Deutschen Schulpreis. Über niedrige Anmeldezahlen klagt hier schon lange keiner mehr.
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hat sich in den vergangenen Wochen gegen Kritik wehren müssen. Im Streit um die verkürzte Schulzeit an Gymnasien (G8) preschte sie zuletzt mit der visionär bis skurril anmutenden Idee von einer „individuellen Lernzeit“ vor. „Entscheidend ist die Qualität des Unterrichts, nicht die äußere Struktur“, findet Löhrmann. Und das Gymnasium Alsdorf beweise, dass die Frage nach G8 oder G9 gar nicht die entscheidende sei.
Schulleiter Wilfried Bock hat Erfahrung mit der Vorstellung „seines“ Gymnasiums. 1200 Besucher ließen sich allein in den vergangenen zwei Jahren hier blicken. 23 Schulen in Deutschland haben sich inzwischen dafür entschieden „Dalton-Schulen“ zu sein, darunter das Gymnasium Essen-Überruhr. So ziemlich jeder denkt, wenn er „Dalton“ hört, zuerst an die vierköpfige Bande aus den Lucky-Luke-Comics. Der Vergleich ist aber schon deshalb völlig abwegig, weil die Bösewichte aus dem Comic stets im Knast enden, die Schüler an einer Dalton-Schule hingegen vor allem Freiheit genießen.
Jeder lernt, was er lernen möchte – beim Lehrer seiner Wahl
„Was hindert uns eigentlich daran, so Lehrer zu sein, wie wir es möchten?“, fragt Wilfried Bock, und er schiebt die Antwort gleich hinterher: „Wir haben zu wenig Zeit für die Kinder.“ Im Normalfall begegnen einem Pädagogen in einer Schule rund 200 Kinder am Tag. Individuelle Förderung? Geht eigentlich nicht. In Alsdorf scheint aber dieses Wunder zu gelingen, obwohl sie dort auch nicht mehr Lehrer haben als anderswo.
Lena (15) aus der Oberstufe erklärt, was hier anders läuft als in 99 Prozent der Gymnasien im Land: „Jeder Schüler lernt zwei bis drei Stunden am Tag das, was er lernen und vertiefen möchte. In kleinen und großen Gruppen, mit Älteren und Jüngeren, mit den Lehrern seiner Wahl.“ Diese so genannten „Daltonstunden“ sind das Herz dieser Schule. „Ein Drittel der Unterrichtsinhalte lassen wir von den Schülern selbst erarbeiten“, erklärt Schulleiter Bock. Jedes Kind bekommt seinen eigenen Lernplan, für fünf Wochen und für jedes Fach. Manche büffeln in einem „Raum der Stille“, andere mit 20 Mitschülern im Alter von 10 bis 18 Jahren.
Führt das am Ende zu besseren oder schlechteren Ergebnissen als an anderen Schulen? „Im Zentralabi war unser Notenschnitt zuletzt 0,1 besser als im Land“, erzählt der Rektor. Er kann aber mit einer anderen Zahl punkten: „Es sind nur drei von 670 Schülern sitzen geblieben.“