EX-US-Außenministerin Albright erzählt von bewegtem Leben
Als erste Außenministerin der USA war sie eine der mächtigsten Politikerinnen ihrer Zeit. In ihrer neuen Autobiografie „Winter in Prag“ erzählt sie das Schicksal ihrer Familie: Als in der Tschechoslowakei geborene Jüdin verlor sie zahlreiche Verwandte in den Konzentrationslagern der Nazis.
Washington.
Wie mag das sein, im Beinahe-Rentenalter
von 58 zu erfahren, dass die Eltern einem nicht die Wahrheit gesagt haben über
Herkunft und Glauben? Wie fühlt sich das an, kurz vor dem Karriere-Höhepunkt
durch einen Zeitungsreporter darüber unterrichtet zu werden, dass Großeltern und
andere Verwandte in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten umgebracht
wurden? Madeleine Albright, geboren am 15. Mai 1937 als Marie Jana Körbelova in
der Tschechoslowakei und später, viel später erste Außenministerin der
Vereinigten Staaten von Amerika, hat schon mehrmals nach ihrem Ausscheiden aus
dem Amt 2001 in gekonnter Schriftform zurückgeblickt auf ein reiches,
wundersames Leben.
So intensiv und persönlich wie in „Winter in Prag“, das vor
einem Jahr in den USA und vor wenigen Tagen in Deutschland im Siedler-Verlag
erschienen ist, allerdings noch nie. Wer sich mit der 75-Jährigen auf gut 500
spannend erzählten Seiten auf die Reise macht, taucht ein in das Leben einer
Familie, deren Schicksal die politische Haltung von „Madame Secretary“
maßgeblich prägte.
Erst trieben die Nazis, dann die Kommunisten sie ins Exil
„Madlenka“, wie die junge Albright gerufen wird, ist
zwei Jahre alt, als der Einmarsch der Wehrmacht in Prag die Familie, Vater Josef
ist aufstrebender Diplomat der jungen tschechoslowakischen Republik unter Edvard
Beneš, ins englische Exil treibt. Nach dem Krieg folgt ein Intermezzo in einem
Internat am Genfersee. Als die Kommunisten nach dem Krieg die Macht in der CSSR
übernehmen, wandert die Familie nach Amerika aus. In Denver/Colorado siedeln die
Korbels, der Umlaut ist auf der Reise über den Atlantik ertrunken, und der Vater
doziert als Professor über Politik und Osteuropa.
Madlenka wird Amerikanerin,
schließt mit Auszeichnung ein Politikstudium am ruhmreichen Wellesley College
ab, heiratet den Zeitungserben Joseph Albright, bekommt mit ihm vor der
Scheidung drei Töchter und Eintritt in die besseren Kreise. Auch zu denen in
Washington. Dort übernimmt sie Ende der 70er Jahre für ihren früheren Professor
„Zbig“ Brzezinski, den Präsident Jimmy Carter zu seinem Sicherheitsberater
gemacht hat, die Liaison-Tätigkeit zum Kongress.
Eine Vergangenheit, die die Eltern ihr verschwiegen
1997, als Bill Clinton sie an
die Spitze des State Departement beruft, dann der große Schock: Die sich seit
Kindesbeinen erst als Katholikin, später Episkopalin fühlende Diplomatin bekommt
von Michael Dobbs, damals Reporter der „Washington Post“, eine Vergangenheit
präsentiert, die ihre säkular lebenden Eltern ihr verschwiegen haben. Albright
ist Jüdin. Drei von vier Großeltern starben im KZ Theresienstadt. Wie andere
Verwandte auch. In „Winter in Prag“ zählt die immer noch im beschaulichen
Washingtoner Uni-Viertel Georgetown lebende Demokratin insgesamt 25
Holocaust-Opfer aus ihrem näheren Umfeld.
Ein Trauma, das bis heute nachwirkt.
Albrights umstrittenes Eintreten für den Militäreinsatz auf dem Balkan Ende der
90er Jahre zum Schutz der Zivilbevölkerung – hier, deutet sie selbst an, hat er
ihren tieferen Ursprung. Abseits der bewegenden Familiengeschichte liefert
Albright in ihrem jüngsten Werk eine herausragende Geschichtsstudie. Wer noch
einmal rekonstruieren will, wie fahrlässig Frankreich und England Hitler im
Münchener Abkommen über das Vehikel Sudetenland das Instrument zur Zerschlagung
der Tschechoslowakei in die Hand gaben – der „Winter in Prag“ lässt beim
Nachlesen das Blut in den Adern gefrieren.