Gurkenkrümmung, Traktorsitze, Glühbirnen – es gibt nichts, was die EU nicht regelt. Angeblich. Denn in vielen Fällen entpuppt sich die Alarmmeldung über die regulierungswütigen Eurokraten bei näherem Hinsehen als Ente.
Brüssel.
Bei der anstehenden Europawahl am 25. Mai hoffen Europakritiker beim Wahlvolk zu glänzen. Wenn von EU die Rede ist, denken viele an Regelungswut der Brüsseler „Eurokraten“. Ob Gurken oder Glühbirnen: In vielen Fällen entpuppt sich die Alarmmeldung über die regulierungswütigen Eurokraten bei näherem Hinsehen jedoch als Ente. Manches ist zwar hanebüchen, wurde aber gar nicht von Brüssel ausgeheckt. Manches ist nur auf den ersten Blick dämlich. Manches freilich ist und bleibt – Schwachsinn. Eine Besichtigung tatsächlicher und vermeintlicher EU-Eingriffe, die uns in jüngster Zeit aufgeregt haben.
Das Aussterben der Glühbirne – eine Idee aus Deutschland
Im März 2007 regierte in Deutschland und Europa „die Klimakanzlerin“. Angela Merkel war EU-Vorsitzende und leitete in Brüssel einen Gipfel, der weitreichende Beschlüsse fasste, wie die Erderwärmung zu dämpfen sei. Durch Einschränkung des Energieverbrauchs zum Beispiel, erläuterte die Kanzlerin. Die Glühbirne Marke Edison etwa – höchste Zeit, dass diese vorsintflutliche, verschwenderische Technik ausgemustert werde! Applaus. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, präzise Standards auszuarbeiten.
Um ein Sparvolumen entsprechend dem Strom-Verbrauch Rumäniens zu realisieren, sollen die Leuchtmittel Schritt für Schritt genügsamer werden. Weil Großvaters Birne da nicht mithalten kann, wird sie ab 2016 ganz aus dem Handel verschwinden. Als das spruchreif wurde, war Schluss mit dem Applaus. Stattdessen gab es Volkszorn und einen Politiker-Großeinsatz in Sachen Heuchelei. Das „Glühbirnen-Verbot“ wurde zum Klassiker der EU-Empörung und zum Wahlkampfschlager der Europa-Wahlen von 2009.
Ölkännchen – eine Regulitis-Spitzenleistung!
Auch jetzt wieder sind alle um größtmögliche Distanz bemüht. Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Vormann im Europa-Parlament, behauptet, die Liberalen hätten seinerzeit „als einzige Partei im Europaparlament über das Glühbirnen-Verbot debattieren wollen“. Tatsächlich segneten auch die FDP-Parlamentarier bei der entscheidenden Abstimmung im Februar 2008 den „Aktionsplan für Energie-Effizienz“ ab, der ausdrücklich das Sparpotenzial der Glühbirnen ins Visier nahm. Von Angela Merkel hat man, seit die Sache ungemütlich wurde, dazu nichts mehr gehört.
Unangefochten die Regulitis-Spitzenleistung 2013. Im Mai verkündete ein Sprecher der EU-Kommission „eine gute Nachricht für den Verbraucher“: Vom nächsten Januar an werde es Wirten untersagt sein, Olivenöl in Glas- oder Metallkaraffen aufzutischen. Zulässig seien dann nur noch „Verpackungen mit einem nicht wiederverwertbaren Verschluss und einem Sicherheitssystem, das deren Wiederverwendung nach Verbrauch des auf dem Etikett angegebenen Inhalts unmöglich macht“. Doch der Verbraucher wollte sich partout nicht beglückt fühlen. Nach massiven Protesten zog Agrar-Kommissar Ciolos das Verbot zurück. In den südlichen Mitgliedsländern habe es sich zwar durchaus bewährt. Aber man habe „das wohl nicht ausreichend mit den Konsumentenländern erörtert“.
Von Staubsaugern und Kaffeemaschinen
Im August vergangenen Jahres gab die EU per Veröffentlichung im Amtsblatt bekannt: Spätestens zum Jahresbeginn 2015 muss sich bei Maschinen für Filterkaffee die automatische Warmhaltung nach fünf Minuten abstellen. Für nicht isolierte Behälter, bei Kapsel-Betrieb und für Voll-Automaten gelten jeweils längere Restlaufzeiten. Das gab Ärger – mehr als ein halbes Jahr später. „Wer glaubt, das Weltklima wird durch ein Verbot von Warmhalteplatten gerettet, hat die wahren Probleme Europas nicht verstanden!“, donnerte Markus Ferber, CSU-Gruppenchef im EU-Parlament.
Mächtiges Hallo, ebenfalls mit starker Verzögerung, löste auch die Verordnung 666/2013 aus: Ab September dürfen Staubsauger höchstens 1600 Watt Leistung erbringen, ab 2017 nur noch maximal 900 Watt. Das entspricht der technischen Entwicklung, und die Industrie sieht kein großes Problem, die Saugkraft trotz geringerer Leistung zu erhalten. Auch die gleichzeitigen Vorgaben für „Dauerhaftigkeit des Schlauchs und des Motors“ sowie zum zulässigen „Schallleistungspegel“ lassen die meisten Hersteller ungerührt. In den Zeitungen hieß es dennoch “EU raubt Staubsaugern die Saugkraft“. Und Politiker von rechts wie links erregen sich im Wahlkampf schon mal vorsorglich über eine Regulierung von Duschköpfen, die es noch gar nicht gibt und wahrscheinlich kein Verbot, sondern eine Verbrauchskennzeichnung sein wird. CSU-Mann Ferber ist sogar noch einen Schritt weiter: „Was kommt als Nächstes? Das Verbot von Badewannen?“
Viereinhalb Jahre Beratung je Regulierung
Vorzugsobjekt der Empörung ist regelmäßig das einschlägige Rahmengesetz „Öko-Design“ aus dem Jahr 2005, erneuert und erweitert 2009. Es soll für umweltfreundlichere Produkte sorgen, unter anderem indem die jeweils übelsten Energiefresser vom Markt genommen werden. Im Visier sind insgesamt rund 40 Warengruppen. Ein Gutteil – vom Heizkessel über Fernseher und Umwälzpumpen bis zum Wäschetrocken – ist bereits abgearbeitet.
In den meisten Fällen lief das völlig geräuschlos. Was weiter kein Wunder ist: Einer Regulierung gehen im Schnitt viereinhalb Jahre intensiver Beratung mit Vertretern aller Mitgliedsstaaten, der Industrie und Interessenverbänden voraus. Der Entscheidungs-Prozess ist mit zehn Etappen langwierig, aber nicht geheim. Und was das Prinzip anlangt, so entspringt es keineswegs einer speziellen Brüsseler Verstiegenheit. CDU/CSU und SPD verlangen jedenfalls im Koalitionsvertrag mehr von dem, was sie im Wahlkampf verdammen – „anspruchsvollere Standards für energierelevante Produkte im Rahmen der Öko-Design-Richtlinie“.