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Die Arbeitskraft als Erwerbsquelle für den Staat

Die Arbeitskraft als Erwerbsquelle für den Staat

NRZ-Leser Eike-Wilm Schmitz fragt: Warum wird die Arbeitskraft besteuert?. 

Ohne Steuern kein Staat: Am Anfang jeder Steuer steht die Finanznot der Herrschenden. Der Staat braucht Geld, um Straßen, Militär und Sozialleistungen zu finanzieren. Seit 5000 Jahren müssen Bürger und Untertanen ihren Teil zum Gemeinwesen „beisteuern“. Schon Griechen und Römer trieben Zölle und Wegegelder ein, die Kirche verlangte den „Zehnten“, im 17. Jahrhundert finden sich mit der Kopfsteuer erste Ansätze in der Neuzeit zur Besteuerung des Arbeitslohns.

Warum aber kam man ausgerechnet auf die Idee, die Arbeitskraft der Menschen zu besteuern? Die Antwort ist simpel: Wollte man auch die Landlosen erreichen, die Ärmeren, also jene, die nichts anzubieten hatten als ihre Arbeitskraft, setzte man besten beim Lohn an. Schon in den Kleinstaaten des Absolutismus gab es eine Art Lohnsteuer, wenngleich in Deutschland erst seit 1920 die Bezüge der Arbeiter einheitlich an der Quelle durch Abzug vom Lohn besteuert werden.

Damit war eine jener Steuerquellen erfunden, die bis heute einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leistet. Laut aktuellem Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums brachte die Lohnsteuer allein im September stolze zwölf Milliarden Euro ein. Die intellektuelle Grundlage für die Lohn- und Einkommensteuer legte der britische Ökonom David Ricardo 1817 in seinem Standardwerk On the Principles of Political Economy and Taxation.

Der wichtigste Gedanke dabei: Das Volkseinkommen wird auf den Märkten für Produktionsfaktoren verteilt, Arbeit, Boden und Kapital. Will man an der Leistungsfähigkeit der Steuersubjekte ansetzen, muss man sich folglich auf die Erträge aus Arbeit und Kapital konzentrieren. Das moderne Steuersystem folgt dieser Logik bis heute; bei der aktuellen Debatte um eine gerechte Verteilung stehen sich im Kern immer noch um die alten Gegenspieler Kapital und Arbeit gegenüber.

Volkswirte argumentieren gerne, Kapital sei ein hochmobiles „scheues Reh“. Übertreibe es der Staat mit der Besteuerung, suche es sich eben einen anderen Wirt; einen Staat eben, der es pfleglicher behandelt. Gleiches soll für sehr gut ausgebildete Arbeitnehmer gelten, die dank ihrer Fähigkeiten und Sprachkenntnisse dem Fiskus ebenfalls enge Grenzen der Besteuerung setzten. Auch sie, so die Ökonomen, könnten sich dem Fiskus durch Abwandern leichter entziehen als der einfache Arbeiter, dem zur Flucht vor dem Fiskus nur Sozialamt und/oder Schwarzarbeit bleibt.

So erklärt sich wohl, warum bis heute ein großer Teil der Finanzierungslast an den Massensteuern hängt; am Lohn und an den Verbrauchssteuern, die die kleinen Leute stärker belasten. So klagt die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung, dass der Anteil der Arbeitnehmer an der Finanzierung des Gemeinwesens in den vergangenen 30 Jahren „merklich gestiegen“ sei. Während die Lohnempfänger 2010 rund zwei Drittel des Volkseinkommens auf sich vereinten, sei ihr Beitrag zum Aufkommen an Steuern und Abgaben mit rund 80 Prozent „deutlich überproportional“. Das ist insofern ein Problem, als in modernen Volkswirtschaften der Anteil der menschlichen Arbeitskraft an der Wertschöpfung zurückgeht.

Die Finanzierung des Staates (und der Sozialkassen) hängt an der Arbeit, obgleich die Finanzierungsbasis immer löchriger wird. Dennoch: Der Staat holt sich sein Geld anscheinend gerne da, wo er es ohne größeren Widerstand bekommt.

Jean Baptiste Colbert, Finanzminister Ludwigs XIV., hat das vielleicht wichtigste Prinzip für den Fiskus so auf den Punkt gebracht: „Steuern erheben ist die Kunst, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viele Federn mit möglichst wenig Gezische bekommt.“