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Blindgänger bleiben weiter hochexplosiv

Blindgänger bleiben weiter hochexplosiv

Ruhrgebiet. 

Mitten in der Schwarzen Heide, zehn Kilometer über Bottrop, wird man ­massiv daran gehindert, sich in Lebensgefahr zu bringen. „Betreten verboten. Vernichtung von Fundmunition!“ steht auf einem Schild, aber das Betreten wäre auch nicht so einfach: Die Anlage ist mit zwei Reihen stachel­drahtgekröntem Sicherheitszaun umgeben. Dahinter flache, bunkerähnliche Gebäude.

Ein kleiner Wetterballon in Form einer Fliegerbombe hängt gerade schlaff herab, doch der insgesamt verlassene Eindruck täuscht furchtbar: Hier, im Munitions­zerlegebetrieb Hünxe (MZB), werden Jahr für Jahr hunderte Bomben und Granaten ­unschädlich gemacht. Ja, das Land moder­nisiert den MZB gerade mit Millionen Euro, und man muss leider sagen: Das ist eine ­Investition in die Zukunft. Auch, wenn die laufende Modernisierung sehr deutsch ist: Am Ende steht die rauchgasfreie Kampf­mittelentsorgung.

Die 23 Bombenentschärfer in NRW, bei der Kampfmittelbeseitigung in den Bezirksregierungen Düsseldorf und Arnsberg und eben im MZB in Hünxe, werden jedenfalls noch für Jahrzehnte Arbeit haben. „Ein Ende ist nicht in Sicht“, sagt Armin Gebhard, ­Referent im Bereich Kampfmittelbeseitigung im NRW-Innenministerium.

Der Zweite Weltkrieg ist nun schon über 70 Jahre her, doch nicht nur im Ruhrgebiet sind die Folgen nach wie vor gegenwärtig: Zehntausende Blindgänger dürften in NRW noch im Boden schlummern. Allein 2014 holte der Kampfmittelräumdienst 927 Blindgänger aus der Erde, ein Jahr zuvor waren es fast genauso viele. „Seit Jahren sind diese Zahlen konstant“, sagt Christian Chmel-Menges, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg. Auch er glaubt, dass Blindgängerfunde, Bombenentschärfungen und die ­daraus folgenden, lästigen Evakuierungen ganzer Stadtteile noch über Jahrzehnte zum Alltag der Region gehören werden.

Laut Schätzungen gingen allein über dem Ruhrgebiet etwa 800 000 Fliegerbomben ­herunter. Experten gehen davon aus, dass fünf bis 20 Prozent dieser Bomben „blind“ ­gegangen sind. „Das konnte an fehlerhaft produzierten Zündern liegen oder anderen technischen Problemen“, sagt Armin Gebhard. Bei einem einfachen Aufschlagzünder sei es zum Beispiel auf den richtigen Einschlagwinkel angekommen. Auch weicher Boden habe vermehrt zu Blindgängern ­geführt. Üblicherweise drangen die aus einer Höhe von 4000 Metern abgeworfenen Bomben fünf bis acht Meter tief in den Boden ein. Gebhard: „Wir haben schon Bomben entdeckt, die nur wenige Zentimeter unter der Grasnarbe lagen.“ Die tiefste Bombe, mit der es die Kampfmittelräumer jemals zu tun ­hatten, lag auf einem Industriegebiet in Dortmund 20 Meter unter der Erdoberfläche.

Ihrem Schicksal überlassen kann man die Bomben jedenfalls nicht. Der Weltkriegsschrott habe kaum etwas von seiner Gefahr eingebüßt, weiß Kampfmittel-Experte Gebhard. Es gebe keine Garantie, dass Bomben, die im Zweiten Weltkrieg nicht detoniert seien, das nicht noch tun könnten. Gebhard: „Sprengstoff verliert mit den Jahren zwar an Wirkung. Bomben, die in einigen Metern Tiefe fest umschlossen von Lehm liegen, sind im Prinzip noch wie fabrikneu und es hat sich an deren Gefährlichkeit nichts geändert.“ Man könne zudem nicht ­davon ausgehen, dass eine Bombe von sich aus irgendwann ungefährlich wird.

Gefährlich sind vor allem die so genannten chemisch-mechanischen Langzeit­zünder. Gebhard: „Diese Bomben sollten damals im Krieg nicht sofort explo­dieren, sondern die Aufräumarbeiten nach einem Bombenangriff torpedieren.“

Blindgänger müssen denn auch nach einem Fund möglichst schnell unschädlich gemacht werden. „Bomben mit US-Langzeitzünder sprengen wir grundsätzlich noch am Fundort“, sagt Gebhard. Das Land hat erst kürzlich noch einmal alle Kommunen darauf hingewiesen, Kampfmittel unverzüglich entschärfen zu lassen, auch wenn die Evakuierung und Absperrung ganzer Viertel und Verkehrsachsen zu großen Beeinträchtigungen führt. Bombenexperte Gebhard: „Die ­Sicherheit hat Vorrang.“ Eine Entschärfung bei Tag sei immer besser als unter Kunstlicht.

Wann die letzte Bombe in NRW gefunden sein wird? Das weiß niemand mit Gewissheit. Auch Achim Gebhard nicht: „Selbst wenn in Jahrzehnten vielleicht einmal das letzte Luftbild ausgewertet worden ist: Wir werden auch dann die letzte Bombe nicht gefunden haben.“ In der Munitionszerlegung in Hünxe jedenfalls haben sie auch noch zu tun mit Funden – aus dem Ersten Weltkrieg.