Rita Stockhofe konnte es selbst nicht fassen: Am Abend der Bundestagswahl war sie als Bäuerin ins Bett gegangen, am Morgen danach wachte sie als Mitglied des Parlaments auf. Obwohl sie für die CDU nur auf Listenplatz 50 Wahlkampf gemacht hatte. Die Überraschung war perfekt für die sechsfache Mutter.
Berlin/Haltern.
Rita Stockhofe ist Bäuerin. Mit großem Hof und sechs Kindern. Früher war sie auch mal Metzgerin. Jetzt sitzt sie für die CDU im Bundestag – und ist ein Exot im Parlament: Gerade mal sieben von 631 Abgeordneten des neuen Parlaments kommen aus der Landwirtschaft. Bauern im Bundestag sind so selten wie Bergleute oder Künstler.
Rita Stockhofe muss lachen, wenn sie an die Kennenlernrunde mit den Neuen in der CDU-Fraktion denkt. Ein Jurist stellt sich vor, dann noch einer, schließlich ein dritter und ein vierter. Erst dann ist die Frau aus Haltern an der Reihe: Metzgergesellin, dann Ausbildung bei der Post, jetzt Landwirtin. Zusammen mit ihrem Mann bewirtschaftet die 45-Jährige einen Hof mit Pferdepension. Ihr Alltag: Tiere versorgen, Rechnungen schreiben, den ganzen Betrieb am Laufen halten. Dazu drei Mädchen und drei Jungen großziehen. Der Jüngste ist jetzt elf, die Älteste 20. Volles Programm. Aber: „Ich würde mit niemandem tauschen wollen.“
In der Wahlnacht ist Rita Stockhofe als Bäuerin ins Bett gegangen und als Abgeordnete aufgewacht. Wer Listenplatz 50 hat, rechnet nicht mit dem Einzug ins Parlament. In dieser Nacht ging sie schlafen mit dem stolzen Gefühl, tapfer, aber am Ende vergeblich gegen den SPD-Kandidaten vor Ort gekämpft zu haben. Dann kam die Sms. Und sie war Abgeordnete. „Die CDU ist also keineswegs nur eine Merkel-Partei“, schreibt ein Fan auf ihrer Facebookseite. „Zumindest bei uns ist sie auch eine Rita-Partei.“
Zuhause soll das Leben weitergehen wie bisher
Vor zehn Jahren ist Stockhofe in die CDU eingetreten. Wegen Angela Merkel? Nein. Wegen der Motorradfahrer. „Bei uns vor dem Hof ist eine Straße, die ist sehr kurvenreich.“ Eine Rennstrecke für Motorräder, ein dauerndes Ärgernis. Sie sorgt sich um ihre Kinder, sucht Verbündete. Der CDU-Ortsverband hilft ihr – und wirbt die engagierte Bäuerin an. Seit 2011 ist Stockhofe Ratsfrau in Haltern.
Und wie bringt sie das alles unter einen Hut – den Hof, die Großfamilie, die Politik? „Och, da wächst man rein. Wir haben ja auch die Kinder nicht alle auf einmal gekriegt.“ Ihr Mann arbeitet zu Hause auf dem Hof, die Kinder sind es gewohnt, dass sie mit anpacken. „Sie wissen, dass man sein Gedeck mitnimmt, wenn man vom Tisch aufsteht.“ Die Familie unterstützt sie auch jetzt, wo sie nach Berlin geht – und der Betrieb auch mal ohne sie laufen muss. „Man merkt ja erst nach und nach, welche Veränderungen das mit sich bringt.“
Zuhause in Haltern soll das Leben möglichst weitergehen wie bisher: „Ich habe schon mehreren gesagt: Wenn ihr denkt, dass ich irgendwie abhebe, fangt mich ein. Das möchte ich auf keinen Fall.“ Sie will nicht blind werden im Berliner Betrieb. Das ist ihre Sorge: „Es ist anders als in der Kommunalpolitik. Wenn wir da ein Stück Straße neu planen, dann weiß man genau, wo die liegt, und man kennt die Leute, die da wohnen.“ Rita Stockhofe will sich in ihrer Fraktion vor allem um Landwirtschaft kümmern – und sie will unbedingt in den Petitionsausschuss. Hören, was die Leute bewegt. Und ihre eigene Lebenserfahrung ins Spiel bringen – als Praktikerin.
Sie will in den Petitionsausschuss
Zweimal haben die Stockhofes überlegt, ihren Hof auf Biolandbau umzustellen. Zweimal haben sie es gelassen, weil es sich nicht rechnete. „Es wird ja nicht gerne gesehen, dass man mit der Natur Geld verdienen will und muss. Die Leute haben eine Idylle im Kopf.“ Die Bäuerin im Parlament hat sich vorgenommen, den Leuten ein realistisches Bild von ihrem Beruf zu vermitteln.
Doch eins nach dem anderen. Jetzt braucht Rita Stockhofe erstmal ein eigenes Büro im Bundestag. Aber das kann noch dauern. Durch den Auszug der FDP ist die ganze parlamentarische Wohngemeinschaft durcheinander geraten. Rita Stockhofe teilt sich vorerst mit ihrem Recklinghäuser Parteifreund Sven Volmering ein Zimmer. Der 37-Jährige ist genau wie sie ein Neuling im Parlament. Ein Lehrer, kein Landwirt.