Angela Merkel und die Flüchtlinge: Ein Rückblick in Zitaten
Für Angela Merkel stand 2015 ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise – dann geriet sie selbst in die Krise. Ein Rückblick in Zitaten.
Berlin.
„Wir schaffen das.“ Das Zitat Angela Merkels steht wie ein Motto über dem Jahr der Bundeskanzlerin. Die Aufnahme rund einer Million Flüchtlinge – Deutschland schaffe das, wird die Regierungschefin nicht müde zu beschwören. Doch die Zweifel wachsen.
Merkel muss sich immer öfter Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik gefallen lassen. Da ist nicht nur CSU-Chef Horst Seehofer, der die Kanzlerin beim CSU-Parteitag auf offener Bühne wie ein Schulmädchen abwatscht. Auch in der CDU mehren sich die Forderungen nach einer Begrenzung des Flüchtlingszustroms. Obergrenzen, Kontingente und Stopp beim Familiennachzug lauten die Schlagworte.
Merkel verweist auf die europäische Dimension der Krise. Doch die europäischen Nachbarn spielen nicht mit. Eine konsequente Kontrolle an den EU-Außengrenzen findet bislang nicht statt. Und vor allem osteuropäische EU-Länder wie Polen, Ungarn oder baltische Staaten verhindern eine Quotenregelung zur Verteilung der Flüchtlinge. Die Flüchtlingskrise stellt Europa vor eine Zerreißprobe. Merkel, die mächtigste Frau Europas, stemmt sich gegen den Bruch in der EU. Eine Chronologie aus Sicht der Kanzlerin:
• 31. Dezember 2014: Neujahrsansprache
Zur Jahreswende ist noch nicht absehbar, welche Dimensionen die Flüchtlingswanderung in wenigen Monaten annehmen wird. Ein großes Thema sind die fremdenfeindlichen Demonstrationen von Pegida in Dresden. Angela Merkel bezieht in ihrer Neujahrsansprache 2015 klar Stellung und wendet sich direkt an die Bürger:
„Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen. Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja sogar Hass in deren Herzen. (…) Es ist selbstverständlich, dass wir Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen.“
• 15. Juli 2015: Bürgerdialog in Rostock:
Ein 14-jähriges palästinensischen Mädchen aus dem Libanon bringt die Kanzlerin aus dem Takt. Als Reem bei Merkels „Bürgerdialog“ in fließendem Deutsch von ihrer Angst vor der Abschiebung ihrer Familie berichtet und in Tränen ausbricht, streichelt Merkel der Schülerin zwar tröstend die Wange. Doch ihre Worte, für die Merkel scharf kritisiert werden wird, klingen wenig empathisch.
„Und wenn wir jetzt sagen: Ihr könnt alle kommen und Ihr könnt alle aus Afrika kommen (…) Das können wir auch nicht schaffen. (…) Politik ist manchmal hart. Es werden manche wieder zurückgehen müssen.“
• 31. August, Sommerpressekonferenz in Berlin:
Der Flüchtlingsstrom Richtung Europa schwillt immer mehr an. Längst kommen die Menschen nicht mehr nur in Booten nach Italien. Auch in Griechenland füllen sich die Unterkünfte. Von dort aus machen sich die Flüchtlinge über die Balkanroute auf den Weg Richtung Österreich, Deutschland, Großbritannien und Skandinavien. Die Flüchtlingskrise ist das beherrschende Thema in Deutschland. Viele Freiwillige helfen den Zuzüglern; doch es wächst auch die Sorge, Deutschland können mit dem Zustrom überfordert sein. Merkel spricht Klartext.
„Wir stehen vor einer großen nationalen Aufgabe. (…) Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden.“
• 5. September, Interview mit der Funke Mediengruppe:
Über Merkels „Wir schaffen das“ wird heftig diskutiert. In den Beifall mischen sich immer öfter kritische Töne. Von einer Begrenzung der Zuwanderung ist die Rede. Doch die Kanzlerin wendet sich weiter gegen eine Politik der Abschottung. Im Interview mit dieser Redaktion erteilt sie ihren Kritikern eine Absage und fordert europäische Solidarität.
„Eine Beschränkung der Zahl der Asylbewerber kennt das Grundrecht auf politisches Asyl nicht. (…) Es ist erkennbar, dass derzeit die Registrierung der Flüchtlinge in den Ländern an der Außengrenze der EU nicht funktioniert. Genauso wenig ist zu übersehen, dass die allermeisten Flüchtlinge letztlich in einigen wenigen Ländern ankommen.“
• 15. September, gemeinsamer Auftritt mit Österreichs Kanzler Werner Faymann in Berlin:
Als Tausende Flüchtlinge, die über die Balkanroute Richtung Norden strömen, vor allem in Ungarn unter unhaltbaren Bedingungen im Freien campieren, gibt Merkel am ersten Septemberwochenende die Anweisung, die Grenze zu öffnen und die Menschen einreisen zu lassen. In Süddeutschland kommen Zehntausende an. Merkel besucht ein Aufnahmelager, dankbare Flüchtlinge machen Selfies mit der Kanzlerin. Doch die Willkommenskultur gefällt nicht allen. Merkel habe mit den Selfies weitere Flüchtlinge geradezu eingeladen, heißt es. Merkel reagiert.
„Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land. (…) Ich sage wieder und wieder: Wir können das schaffen, und wir schaffen das.“
• 7. Oktober, ARD-Talkshow „Anne Will“
Doch politisch wächst der Druck auf die Kanzlerin. Ganz vorn in der Reihe der Kritiker steht CSU-Chef Horst Seehofer. Er bemängelt öffentlich, in Berlin habe man „keinen Plan“. Da geht Merkel in die Offensive. Bei ihrem ungewöhnlichen Solo-Auftritt in der ARD-Talkshow „Anne Will“ gibt sich die Kanzlerin lebhaft, emotional und energisch zugleich.
„Man kann mit Willen sehr, sehr viel schaffen. (…) Ja, ich habe einen Plan. (…) Die Diskussion bedrückt mich fast. Sie können mir glauben dass ich beschäftigt bin. Ich bin bereit, so hart zu arbeiten, wie ich kann.“
• 20. November, CSU-Parteitag in München
Angela Merkel verteidigt vor den CSU-Delegierten ihren Kurs gegen Abschottung und Obergrenzen. Ihr Auftritt endet mit einem Affront von CSU-Chef Horst Seehofer. Nach Merkels Rede tritt er selbst ans Rednerpult und erklärt Merkel, die neben ihm auf der Bühne steht, warum Obergrenzen nötig sind. Seehofer lässt Merkel dastehen wie ein dummes Schulmädchen.
„Abschottung und Nichtstun sind keine Lösungen. Indem wir die Grenzen schützen, retten wir Leben – und wir werden die Zahl der Flüchtlinge reduzieren. Mit diesem Ansatz schaffen wir es, im Gegensatz zu nationalen Obergrenzen, im Interesse aller zu handeln – im Interesse Europas, der Helfer im Inland und der Flüchtlinge.“
• 14. Dezember, CDU-Parteitag in Karlsruhe
Der Bundesparteitag steht ganz im Zeichen der Flüchtlingspolitik – und er wird zu einem Triumph für die Parteichefin. Die CDU stützt ihren Kurs, ihre partei-internen Kritiker kann Merkel mit ein paar kleinen Zugeständnissen in Schach halten, eine Obergrenze für Flüchtlinge wird es aber nicht geben. Die Delegierten feiern die Vorsitzende nach einer starken, staatsmännischen Rede mit zehnminütigem Applaus. Angela Merkel hat sich noch einmal durchgesetzt. Die Frage lautet: Wie lange hält der Frieden, wenn sich der Flüchtlingsandrang unvermindert fortsetzt. Und: Ist es nur ein Atempause für Angela Merkel?
„Wir schaffen das. Ich kann das sagen, weil es zur Identität unseres Landes gehört, Größtes zu leisten. Abschottung im 21. Jahrhundert ist keine vernünftige Option. (…) Wir sind nie blauäugig. Doch genauso lassen wir es nie zu, dass Ängstlichkeit und Pessimismus uns am erfolgreichen Handeln für die Zukunft hindert.“ (…) Es kommen keine Menschenmassen, sondern es kommen einzelne Menschen zu uns. Niemand, egal warum er sich auf den Weg macht, verlässt leichtfertig seine Heimat.“