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Bürgergeld: Experte rechnet mit Sozialreform ab – „Verpasste Chance“

Seit einem halben Jahr erhalten Empfänger durch das Bürgergeld mehr. Viele Dinge sollten sich verbessern. Was hat sich getan?

Seit einem halben Jahr erhalten Empfänger durch das Bürgergeld mehr Geld. Viele Dinge sollten sich durch die neue Reform verbessern. Was hat sich getan?
© Paritätischer Gesamtverband

Das ist das neue Bürgergeld

Nach der Einigung im Vermittlungsausschuss haben Bundestag und Bundesrat die Einführung des Bürgergelds beschlossen. Damit kann die neue Grundsicherung für Langzeitarbeitslose wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten.

Wer im vergangenen Jahr noch Hartz 4 bezogen hat, bekommt seit Januar 2023 automatisch das Bürgergeld – und somit rund 50 Euro mehr. Daneben wurden bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten sowie mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung geschaffen. Ab dem 1. Juli tritt die zweite Stufe der Reform in Kraft.

Hartz 4 ist also endgültig Geschichte – oder etwa doch nicht? Joachim Rock, Abteilungsleiter Sozial- und Europapolitik beim Paritätischen Gesamtverband, ordnet ein, was sich im letzten halben Jahr getan hat und was noch besser werden muss.

Bürgergeld: Ist Hartz 4 überwunden?

„Hartz IV wirkt weiter fort“, ist sich Rock sicher. Denn: Zu den grundlegenden Merkmalen gehöre neben einer viel zu niedrig bemessenen Regelleistung auch die Möglichkeit zu sanktionieren. „Mit dem Bürgergeld hat die Bundesregierung die Chance verpasst, das grundlegend zu ändern, Armut abzuschaffen oder wenigstens deutlich zu verringern und die Misstrauenskultur gegenüber den berechtigten Menschen zu überwinden“, so der Abteilungsleiter gegenüber dieser Redaktion.

Seit diesem Jahr erhalten Erwachsene im Monat 502 Euro, bei Harzt 4 waren es noch 449 Euro monatlich. Angesichts der Preissteigerungen ist das laut Paritätischem aber zu wenig. So sei die Erhöhung nicht einmal ein Inflationsausgleich, so Rock. Zwar übernimmt das Jobcenter die Miete und die Heizkosten in angemessener Höhe, die gestiegenen Stromkosten müssen die Empfänger allerdings selbst stemmen. „Armut wird so fest- und fortgeschrieben, nicht überwunden“, mahnt der Politikwissenschaftler. Er fordert deshalb einen Regelsatz in Höhe von 725 Euro.

Bürgergeld: Was hat sich verbessert?

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete das Bürgergeld als „größte Sozialreform seit 20 Jahren“. Rock widerspricht: „Das ist das Bürgergeld sicherlich nicht“. So seien schon einige Veränderungen während Hartz 4 eingeführt worden. Mit dem Bürgergeld würden weitere längst notwendige Änderungen nachvollzogen. „Das Bürgergeld ist nicht der große Wurf, es ist Stückwerk“, mahnt der Leiter des politischen Verbindungsbüros.

Allerdings haben sich für Empfänger auch einige Dinge verbessert. So wurde durch das Bürgergeld der Vermittlungsvorrang in Arbeit abgeschafft und dafür der Fokus auf Weiterbildung und Qualifizierung gelegt. Außerdem dürfen Empfänger im ersten Jahr nach Antragsstellung, der Karenzzeit, ein Vermögen von bis zu 40.000 Euro besitzen. „Es gibt Fortschritte, aber gemessen am Reformbedarf reichen die nicht aus“, so Rock.

Bürgergeld: „Kinder gehören nicht ins Jobcenter“

Deshalb gibt es für den Paritätischen Gesamtverband noch viel Verbesserungspotenzial:

  • Erhöhung der Regelleistung auf 725 Euro
  • Abschaffung der Sanktionsmöglichkeiten
  • Einführung Kindergrundsicherung

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Denn: In Deutschland ist jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche von Armut bedroht oder betroffen. Laut Rock ist das ein „Armutszeugnis“, das einen dringenden Handlungsbedarf unterstreiche. „Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen, sie gehören nichts ins Jobcenter. Wer Kinderarmut beseitigen will, muss Familienarmut überwinden“, betont Rock. Sein Fazit: „Das Bürgergeld ist eine verpasste Chance für einen notwendigen und überfälligen Perspektivenwechsel in der Grundsicherung.“