Die bundesweite Reichsbürger-Razzia hat am Mittwoch (7. Dezember) ein wahres Beben ausgelöst. Tausende Polizisten waren im Einsatz, um zahlreiche Wohnungen zu stürmen – auch in NRW. Die Bundesanwaltschaft wirft insgesamt 51 Personen vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben.
Besonders erschreckend: In den Fokus der Ermittlungen gerieten Richterinnen, ehemalige Elitesoldaten und Spezialkräfte der Polizei. NRW stand zwar nicht im Mittelpunkt der Razzia. Doch auch hier ist die Szene aktiv. Nach den Durchsuchungen stellt sich die Frage: Wie gefährlich sind Reichsbürger bei uns in NRW. Und welche dramatischen Folgen kann ihre Ideologie haben?
NRW: So gefährlich ist die Reichsbürger-Szene
11 Bundesländer, 130 Durchsuchungen von Häusern, Wohnungen und Büros mit 3.000 Einsatzkräften und 25 vollstreckte Haftbefehle. Die Reichsbürger-Razzia von Mittwoch gilt als eine der größten in der Geschichte der Republik. Sie richtete sich gegen einen radikalen Arm der Reichsbürger, die einen gewaltsamen Umsturz der demokratischen Ordnung in Deutschland zum Ziel gehabt haben soll (mehr hier).
Auch in NRW warnt der Verfassungsschutz schon seit geraumer Zeit vor den Reichsbürgern. Laut dem Verfassungsschutzbericht 2021 hat sich ihre Zahl im vergangenen Jahr von 3.200 auf 3.400 erhöht. Die Behörde beschreibt die Szene als äußerst heterogen – teilweise mit Überschneidung in die rechtsextreme Szene. „Von einzelnen Reichsbürgern geht ein erhebliches Gefahrenpotenzial aus“, heißt es in dem Bericht. Die Rede ist von wiederkehrenden Gewaltdelikten und ein „teilweise umfangreicher Waffenbesitz in dieser Szene“. Gerichte, Polizei und Behörden würden bei ihrer Arbeit durch Reichsbürger behindert und deren Mitarbeiter bedroht. Die Anzahl der Straftaten, die der Szene in NRW zuzuordnen sind, ist im Jahr 2021 auf 69 gestiegen (plus 40,8 Prozent).
Reichsbürger in NRW: „Das war krass“
Wie gefährliche die Reichsbürger in NRW wirklich sind, ist laut Christoph Grotepass von der Beratungsstelle „Sekten-Info NRW“ aus Essen schwer einzuschätzen. Dort berät Grotepass im Bereich von Verschwörungstheorien. Häufig seien es Angehörige, Kollegen oder Freunde, die sich in ihrer Verzweiflung an die Beratungsstelle wenden, wenn Menschen aus ihrem Umfeld ideologisch abdriften. „Gerade innerhalb von Familien sind Betroffene oft verzweifelt. Die gemeinsame Basis bricht plötzlich zusammen, wenn die Weltanschauung derart auseinandergeht“, sagt der Diplom-Theologe.
Die Corona-Pandemie habe dabei wie ein Katalysator gewirkt. Die Gesundheitsmaßnahmen hätten zu einer deutlichen Zunahme von Verschwörungstheorien geführt: „Dazu mischen sich Reichsbürgerthemen und seit einiger Zeit russische Propaganda zum Krieg. Das war krass. Das hat uns hier massiv beschäftigt.“ Reichsbürger nutzten Pandemie und Krieg als Nährboden, um ihrem Ziel der Destabilisierung der Bundesrepublik näher zu kommen. Viele Gruppen traten etwa präsent bei Corona-Demos auf. Wie etwa die „Corona Rebellen Düsseldorf“, die auch beim versuchten Sturm auf den Reichstag dabei waren.
Experte warnt vor Reichsbürgern in NRW
Christoph Grotepass betont allerdings: „Nicht jeder, der bei Corona-Demo mitmarschiert und die Regierung beschimpft, ist direkt Reichsbürger.“ Die Zusammensetzung der Demonstranten sei ähnlich heterogen wie die Weltanschauungen der Reichsbürger. Nicht jeder schaue über den Tellerrand seines eigenen Vorgartens hinaus: „Für mich ist tröstlich, dass die Reichsbürger so versplittert sind. Wie viele kleine Könige, die sich untereinander nicht einig sind“, sagt Grotepass.
Doch er warnt vor einer zunehmenden Vernetzung. „Viele radikalisieren sich in Foren. Man kann sich vorstellen, dass aus so einer Gemengelage sich einer berufen fühlt, aktiv zu werden.“ Denn im Netz würden Reichsbürger von Gleichgesinnten immer wieder Bestätigung erfahren – selbst für die krudesten Theorien – etwa, dass Deutschland noch immer von den Alliierten regiert werde oder die Erde eine Scheibe sei. In dem Zusammenhang erinnert der Theologe an einige Terroranschläge in jüngerer Vergangenheit, bei denen Täter verschwörungstheoretische Manifeste verbreiteten. Er selbst habe in der Vergangenheit Angehörige beraten müssen, deren Onkel abgedriftet war und von gewaltsamen Widerstand im Notfall gesprochen habe. Bei Besitz eines Jagdscheins oder Kenntnis von Waffenbesitz „empfehlen wir den Kontakt zum Verfassungsschutz oder der Polizei.“
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Grotepass ermuntert Angehörige, sich Rat einzuholen und sich selbst zu vernetzen. In Selbsthilfegruppen könnten Angehörige erleben, dass sie mit ihrem Problemen nicht alleine sind. Nach Ansicht des Theologen seien jedoch auch nicht alle Reichsbürger verloren. Viele seien in ihren Weltbilder noch nicht so gefestigt. Grotepass fordert deshalb: „Es braucht Angebote, um diese Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen.“