Der Ratsherr aus Karnap äußerte offen seine Bedenken zur Flüchtlings- und Integrationspolitik. Zur Strafe sollte er in die rechte Ecke gestellt werden.
Essen.
Manchmal kann ein unbekannter Politiker aus den hinteren Reihen viel bewirken. Guido Reil, der SPD-Ratsherr aus Karnap, hat mit seinem integrationskritischen WAZ-Interview nicht nur Bürger beeindruckt, die die SPD als Volkspartei breiten Typs schon abgeschrieben haben. Er hat im SPD-Unterbezirk ein Beben ausgelöst, das längst auch jenseits der Stadtgrenze mit Interesse verfolgt wird. Man könnte sagen: In der Essener SPD wird derzeit wie im Brennglas der Streit um Merkels Flüchtlingspolitik ausgetragen. Was soll daran eigentlich schlecht sein? Es ist eine Diskussion, die jedenfalls viele Bürger für richtig und wichtig halten.
Umso mehr verwundert die reflexhafte Verurteilung einiger, die auf einem moralisch ganz hohen Ross zu sitzen scheinen. Dass die Jusos die von Guido Reil offen und ehrlich formulierten Sorgen des Essener Nordens kalt lässt – geschenkt. Dass aber ein so nüchterner Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut sich über das „Jammern“ von Reil mokiert und ihm „Fremdenfeindlichkeit“ unterstellt, ist ein starkes Stück.
Heidenblut ist bei der letzten Bundestagwahl im Norden direkt gewählt worden, er sollte auch im fernen Berlin wissen, was zuhause los ist: Ganz normale Bürger ohne radikale Anwandlungen sind in tiefer Sorge, sehen Ungereimtheiten und mögen nach ihren Erfahrungen mit der bisherigen Integrationspolitik nicht so recht glauben, dass „wir“ das schon schaffen. Der Basis-Sozialdemokrat Reil sieht das ähnlich und sagt es unverblümt. Dafür wird er nun von Heidenblut in die rechte Ecke gestellt. Das ist einfach nur schäbig.
Wie sehr es in der Partei gärt, zeigte am Montag die verwirrende Öffentlichkeitsarbeit: Parteichefin Britta Altenkamp und Fraktionschef Rainer Marschan wollten Reil namens der Essener SPD in schönster Funktionärsmanier per Pressemitteilung in den Senkel stellen. Andere Vorstandsmitglieder verhinderten diese Vorfestlegung der Partei – und zwar mit dem Hinweis, man wolle, bitte schön, erst mal über das Thema diskutieren. Sie erzwangen die Rücknahme der Mitteilung, die dann insoweit abgeschwächt wurde, dass Altenkamp und Marschan nur ihren persönlichen Unmut ausdrücken, nicht aber für die gesamte SPD sprechen durften. Nun, jeder blamiert sich so gut er kann, Britta Altenkamp bringt da ja viel Erfahrung ein.
Wie Teilnehmer sagen, war die Debatte dann übrigens ganz munter, Guido Reil wurde kritisiert, aber auch verteidigt. Geht doch, SPD.