Trotz Skandalen und Ärger über die Politiker: Wahlverweigerung ist keine Alternative. Die meisten Kandidaten bei der OB-Wahl verdienen grundsätzlich Vertrauen. Ein Kommentar.
Essen.
Ein Freund überraschte mich jüngst mit einer Ankündigung: Er werde zum ersten Mal in seinem Leben am 13. September nicht wählen gehen, da er sich für keinen OB-Kandidaten erwärmen könne. Weil der Mann eigentlich hochpolitisch ist und vermutlich nicht der einzige ist, der so denkt, muss man das als Alarmsignal für die morgige Wahlbeteiligung werten. Neben den notorischen Wahl-Verweigerern tun sich diesmal wohl auch Bürger schwer, die sonst keine Wahl verpassen.
Das mag mit dem besonderen Charakter dieser OB-Wahl zusammenhängen. Dieses eine Mal geht es wirklich nur um einzelne Politiker, nicht zusätzlich um Parteien und ihre Sitzverteilung im Rat der Stadt. Das lädt zu einem „Entweder-oder“ ein. Entweder man mag denjenigen oder diejenige – oder eben nicht. Entweder man hält sie für fähig und ehrlich – oder eben nicht. Die Grautöne, aus denen das Leben doch in Wahrheit meist besteht, werden bei Politikern oft nicht akzeptiert. Hand aufs Herz: Wir Bürger legen da oft eine Messlatte an, die bei uns selbst und unserem privaten Umfeld bedeutend großzügiger ausfällt.
Das heißt natürlich nicht, über Parteibuchwirtschaft, Finanzschiebereien, Bereicherungen aller Art zu schweigen. Es gab reichlich Skandale in den letzten Jahren, und die haben das Ansehen der Essener Politik nicht befördert. Es gab Tricksereien, auch Fehler sind gemacht worden, in unterschiedlichem Schweregrad auch von Reinhard Paß und Thomas Kufen, auf die es bei dieser OB-Wahl am Ende ja mit großer Wahrscheinlichkeit ankommen wird. Trotzdem sind beide Persönlichkeiten, die leidenschaftlich und im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten für diese Stadt hart gearbeitet haben. Beide – und sicherlich noch einige mehr auf dem Wahlzettel – verdienen deshalb grundsätzlich Vertrauen.
Oft wird bei Wahlen abschätzig das Wort vom „kleineren Übel“ bemüht, zu dem man sich nur mühsam durchringen könne. Das „kleinere Übel“ gehört aber zum Wesenskern der Demokratie. Wer nicht gerade selbst antritt, kann sich einen Ideal-Kandidaten ja nicht backen. Jeder Bürger könnte aber einfach nüchtern schauen, bei wem aus seiner Sicht am wenigsten Kritikwürdiges zu entdecken ist. Das wäre dann der richtige Kandidat.
Das Recht auf Nicht-Wählen ist zwar Teil der Freiheit, aber eine freie Gesellschaft kann die Teilnahme an der Demokratie nur in Maßen entbehren. Schon deshalb sind Wahlverweigerung oder auch die bewusst ungültige Wahl widersprüchliche Haltungen – es sei denn, einem passt die ganze Staatsordnung nicht. Aber das ist ja zum Glück nur bei sehr wenigen der Fall.
Der OB wird auf jeden Fall gewählt. Wenn nicht von einem selbst, dann eben nur von den anderen. Davon wird’s wirklich nicht besser.