Schicksalstag für Karstadt: Erstmals nach der Übernahme durch den österreichischen Investor René Benko trifft sich am Donnerstag der Aufsichtsrat der kriselnden Kaufhaus-Kette wieder. Die Sitzung wird mit Spannung erwartet. Das 20-köpfige Gremium dürfte sich mit dem Sanierungskonzept befassen.
Essen.
Nach jahrelanger Krise steht Karstadt am Donnerstag einmal mehr vor entscheidenden Weichenstellungen. Der 20-köpfige Aufsichtsrat des Essener Konzerns tritt nach dem überraschenden Einstieg des Tiroler Immobilieninvestors René Benko erstmals wieder zusammen.
Welches Sanierungskonzept die Geschäftsführung vorlegen will, ist bislang noch weitgehend unklar. Bereits im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Sitzung hat die Gewerkschaft Verdi vor einem möglichen Kahlschlag bei der Warenhauskette gewarnt und Widerstand angekündigt. Spekulationen zufolge sollen bis zu 30 der 83 Filialen von Schließung bedroht sein. 3000 bis 4000 der insgesamt 17.000 Mitarbeiter könnten demnach betroffen sein.
Eine endgültige Entscheidung über Schließungen soll es am Donnerstag wohl nicht geben. Auch mit dem persönlichen Erscheinen des neuen Eigentümers Benko bei der Sitzung wird nicht gerechnet.
So verlor Karstadt seine Kunden
Ihren Strukturwandel haben Kohle und Stahl weitgehend hinter sich. Der Einzelhandel steckt noch mitten drin. Unter Druck geraten sind insbesondere die traditionellen Warenhäuser, von denen seit 1995 mehr als 200 geschlossen haben. Karstadt und Kaufhof sind übrig geblieben. Sie kämpfen gegen boomende Onlinehändler sowie riesige Einkaufs- und Fachmarktzentren. Die breite Warenpalette, die einst ihre Stärke war, ist zu ihrem größten Problem geworden.
„Das Kaufhaus lebt von Veränderungen“, sagt Gerd Koslowski, Pressesprecher des Kaufhofs, der früher auch für Karstadt gearbeitet hat. Diese Veränderungen sind frappierend. Boten Warenhäuser in ihrer Blütezeit in den 70er- und 80er-Jahren noch Produkte für alle Lebenslagen an, haben sie sich inzwischen auch spezialisiert. Die großen Abteilungen für Autozubehör, Campingutensilien und Baumarktartikel sind längst ebenso verschwunden wie Möbel, Fertighäuser und Motorboote. In den letzten Jahren gaben Karstadt und Kaufhof auch den Kampf gegen die übermächtige Internet-Konkurrenz auf und trennten sich von ihren Elektronik- und Bücherabteilungen.
Falsche Kleidung auf der Stange
Geblieben sind Traditionssortimente, die Kunden automatisch mit einem klassischen Kaufhaus in Verbindung bringen: Haushaltswaren, Wäsche, Strümpfe, Leder- und Kurzwaren, Parfümerieartikel und natürlich Mode, die bei beiden verbliebenen Ketten inzwischen rund 50 Prozent des Sortiments und Umsatzes ausmachen. Hier sehen Branchenkenner den größten Fehler, den der kriselnde Karstadt-Konzern in den vergangenen Jahren gemacht hat. Der inzwischen ausgeschiedene Geschäftsführer Andrew Jennings füllte die Regale und Kleiderständer mit hippen neuen Marken, die in Deutschland niemand kennt und mit der die Stammkundschaft wenig anzufangen weiß.
„Unsere Kernzielgruppe sind Frauen und Familien ab 35 Jahren“, sagt Kaufhof-Sprecher Koslowski. Und für Karstadt dürfte diese traditionelle Klientel nicht viel anders aussehen. Eine aktuelle Umfrage der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“ ergab zwar, dass 58 Prozent der unter 29-Jährigen in diesem Jahr schon einmal Mode im Warenhaus gekauft haben. Bei den über 50-Jährigen sind es 52 Prozent. Die Umsatzbringer sind die ganz jungen Leute dann aber doch nicht. Mit ihren schmalen Geldbeuteln gehen sie lieber bei angesagten Billigketten wie H&M, Primark oder Hollister shoppen.
Warenhäuser würden vermisst werden
Bei der Diskussion über Filialschließungen, Rettung und Neuausrichtung von Karstadt, mit der sich die Aufsichtsräte um den neuen Eigentümer René Benko am morgigen Donnerstag beschäftigen werden, dürfte ein anderes Ergebnis der Umfrage aufhorchen lassen: Knapp 70 Prozent der Deutschen würden Warenhäuser als Einkaufsstätte für Bekleidung vermissen, wenn es sie nicht mehr gäbe. Dabei zeigen Frauen eine größere Verbundenheit mit Warenhäusern als Männer und mehr ältere Kunden als junge. Eine Umfrages des Instituts Yougov einige Wochen zuvor fällt dagegen nicht so schmeichelhaft aus: Danach kaufen zwei Drittel der Bundesbürger nur selten in Warenhäusern ein, jeder Zehnte nie.
Die Realität sieht aber etwas anders aus: Der deutsche Marktführer Kaufhof registriert in seinen bundesweit 105 Waren- und 17 Sporthäusern täglich zwei Millionen Besucher, die freilich nicht alle etwas kaufen. Bei Karstadt sollen es 1,5 Millionen sein. Warenhäuser sind in ihrer Bedeutung für Innenstädte und Einkaufszentren als Frequenzbringer also nicht zu unterschätzen.