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Trotz Erfolgs – Stadt Dortmund will den Trinkraum schließen

Trotz Erfolgs – Stadt Dortmund will den Trinkraum schließen

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Trinkraum in Dortmund Foto: Volker Hartmann
Seit 2012 zogen Teile der Trinkerszene in Dortmund vom Nordmarkt weg in ihren eigenen Raum. Der wird der Stadt zu teuer – doch ein Zurück ist nicht so einfach.

Dortmund. 

Das Arbeitsleben von Erhard N., in kürzester Form erzählt: Maschinenschlosser, Marine, Hoesch, „dann ging Hoesch kaputt, und die am kürzesten da waren, die mussten als erste gehen“. N. ist heute arbeitslose 56, und wenn er zur Arbeitsagentur geht, dann klage ihm der Sachbearbeiter: „Ich habe so einen Stapel junge Leute, 25 Jahre, 30, jetzt kommen Sie mit Ihren 56 . . .“

Erst mal einen Schluck aus der Flasche. Grafensteiner! Netto-Bier.

N. sitzt im „Café Berta“, das nur auf den ersten Blick eine Eckkneipe ist. Da stehen ein Kicker und ein BVB-Schrein, Männer spielen Skat, andere brüten vor ihrem Bier oder schauen auf den Flachbildschirm, auf „Eurosport“. Dass Berta in Wahrheit ein in freundlichen Farben gestrichenes Hilfsangebot ist, fällt erst dann auf: Erstens am dichten Rauch – erlaubt in diesem sozialtherapeutischen Raum. Zweitens daran, dass unter dem Namenszug Symbole von Stadt, Land, Bund und EU zu sehen sind. Und wo bitte ist die Uno?

Keine „pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheit“

Vielleicht braucht es tatsächlich sie, Café Berta zu retten, den Dortmunder Trinkraum, einen von zwölf in Deutschland. Denn die Stadtverwaltung hat ihn auf ihre Streichliste gesetzt, jetzt, da das Geld der EU für die Anfangsjahre ausgegeben ist. Falls es so etwas gibt wie eine zwiespältige Beschlussvorlage, dann ist es diese: Der Raum für Dortmunds Trinkerszene trage zwar „zu einer deutlichen Entspannung“ der Lage bei; dennoch könne die Einrichtung „nicht als pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheit qualifiziert werden“. Daher schlage man vor, sie „ausschließlich aus Gründen der Haushaltskonsolidierung“ zu schließen. Der Rat entscheidet am 19. Februar. Einsparsumme: 141.000 Euro in diesem Jahr.

Entstanden war die Zuflucht Anfang 2012, um die Biertrinkerszene von dem riesigen Platz „Nordmarkt“ in einen betreuten Raum zu holen. Hier können sie Bier und Wein mitgebrachterweise trinken und sind wenigstens in der Nähe von Rat und Betreuung, wenn das jemand will – zwangsgeholfen wird aber keinem. Und zugleich sollte all den anderen Menschen die Erwartungsangst genommen werden, wenn sie über den Nordmarkt mussten und an diesen Leuten vorbei. Ob Berta ein Erfolg ist, ist äußerst umstritten: Die SPD meint „Nein“, sie war aber auch von Anfang an deutlich dagegen; die meisten anderen Parteien meinen „Ja“, sie waren aber auch von Anfang an dafür. Was insgesamt beweist: Fakten stören nur die Weltsicht.

„Sonst kann ich nurstundenweise irgendwo hin“

Thorsten Thanscheidt jedenfalls gibt sich entspannt, der Leiter von Café Berta: Denn die Zahl der Besuche stieg nach seinen Angaben von 14.000 im Jahr 2012 auf 26.000 im Jahr darauf und 29.500 im letzten Jahr. „Gestern waren’s 126“, sagt Thanscheidt, und auch heute wieder sitzt seine Bude voll: Mühselige und Beladene, das ist hier die Saufkundschaft, Geschlagene und Verquollene und Menschen glasigen Blicks mittags um zwei. Nicht alle. Nur viele (und jetzt mal ganz unter uns, kommen manche auch gar nicht wegen des Trinkens, sondern wegen des Rauchens).

Jedenfalls sei Berta „Gold wert“, sagt einer der Trinker: „Sonst kann ich nur stundenweise irgendwo hin.“ Mal in die Bücherei, wo wegen der Wärme immer die Gefahr bestehe, einzunicken; oder in den Bahnhof, „da ist ganz schnell die Polizei da oder das Ordnungsamt“, oder zu McDonald’s, „aber nach zehn Minuten kommt da auch einer und meckert“.

Nächstes Jahr wieder auf der Streichliste?

Hier aber fallen sie nicht weiter auf: „Man kriegt nicht viel davon mit“, sagt eine Verkäuferin von gegenüber, die das Café jeden Tag stundenlang im Blick hat. Beim ersten Nachbarschaftstreffen kurz nach der Eröffnung führten noch Gerüchte und Ängste das große Wort, beim zweiten waren die schon stiller – zum dritten kam niemand mehr. Mangels Problemen.

Und wenn der Trinkraum schließen müsste, wo sollten die Leute hin? Zum Nordmarkt, „Nordi“ im Jargon, gibt es kein Zurück, den haben Szenen übernommen, die sind härter drauf: Drogensüchtige, Prostituierte, der Arbeiterstrich der Roma. „Tagsüber da sitzen zu zweit oder dritt, kein Problem“, sagt Erhard N., „aber um 17 Uhr in der Dämmerung, das wär’ mir schon zu gefährlich“. Doch auch wenn Thanscheidt zuversichtlich ist, was den Ratsbeschluss im Februar angeht – angesichts des Glaubenskrieges um das Café hat er eine Ahnung für 2016: „Ich gehe davon aus, dass wir nächstes Jahr auch wieder auf der Streichliste stehen.“