Rund drei Jahre nach der Katastrophe bei der Loveparade soll ein weiteres Gutachten die Veranstalter belasten. Laut einem Medienbericht waren dem Gutachten zufolge zu wenig erfahrene Sicherheitsleute im Einsatz. Das Gutachten wurde im Auftrag der Staatsanwaltschaft Duisburg erstellt.
Duisburg.
Ein weiteres Gutachten zur Loveparade-Katastrophe belastet nach Informationen des „Focus“ den Veranstalter des Techno-Festivals, Lopavent. Sachverständige der Firma Invita Consult haben es im Auftrag der Staatsanwaltschaft Duisburg erstellt. Wie das Magazin am Montag berichtete, waren demnach auf dem 110.000 Quadratmeter großen Party-Gelände nur 234 Sicherheitsleute eingesetzt gewesen. Von erfahrenen Kräften könne dabei keine Rede sein, so das Gutachten.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg bestätigte am Montag, dass ein solches Gutachten vorliegt. Zu den einzelnen Beweiserhebungen nehme man jedoch keine Stellung, so ein Sprecher.
Als sich im Zugangsbereich zum Party-Gelände das tödliche Gedränge bildete, sind laut „Focus“ die acht abgestellten Wächter, die die Menschenmasse aufs Gelände schieben sollten, überfordert gewesen. Im Tunnel, dem Zugang zum Gelände, wo es später zur tödlichen Massenpanik kam, patrouillierten lediglich 16 Ordner. Außerdem seien an den Enden des Tunnels zwei Kameras ausgefallen, was nach Ansicht der Sachverständigen die Kalkulation der Besucherströme unmöglich machte.
Rainer Schaller weist Verantwortung für das Sicherheitskonzept von sich Laut „Focus“ weist Veranstalter Rainer Schaller jegliche Verantwortung für das Sicherheitskonzept von sich. Für eine Stellungnahme war er am Montag zunächst nicht zu erreichen.
Vergangene Woche hatte die „Süddeutsche Zeitung“ bereits aus einem Gutachten des Massendynamik-Professors Keith Still zitiert. Demnach sei es nach dem von der Stadt genehmigten Konzept nicht einmal theoretisch möglich gewesen, das Techno-Fest gefahrlos durchzuführen. Hätten die Verantwortlichen die Besucherströme addiert, hätten sie feststellen können, dass die Rampe auf das Gelände viel zu klein gewesen sei.
Bei der Loveparade in Duisburg waren vor knapp drei Jahren am 24. Juli 2010 21 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 500 wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 15 Beschuldigte, darunter Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters Lopavent. Anklage hat die Behörde bisher nicht erhoben. (dpa)
Rainer Schaller, als Geschäftsführer der Firma Lopavent Veranstalter der Duisburger Loveparade. Der Chef der Fitness-Studio-Kette McFit kündigte auf der Pressekonferenz am 25. Juli 2010 an, dass es aus „Respekt vor den Opfern“ keine weitere Loveparade geben werde.
Danach äußerte er sich erst im Dezember 2010 in einem Fernsehinterview mit Sat.1-Moderator Johannes B. Kerner. Anschließend zog sich Schaller aus der Öffentlichkeit zurück. Er erklärte den Angehörigen der Todesopfer seine „moralische Verantwortung“ und traf sich mit einigen Hinterbliebenen.
Der Gedenkfeier am ersten Jahrestag der Duisburger Loveparade blieb Rainer Schaller (hier mit Ruhr.2010-Geschäftsführer Dr. Oliver Scheytt (links), Oliver Pocher, Musikproduzent Anthony Rother und OB Adolf Sauerland vor der Loveparade) nach eigener Aussage aus Pietätsgründen fern. Gegen fünf Mitarbeiter seiner Firma Lopavent ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachtes der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung. Zu den Beschuldigten zählten …
… der Crowd-Manager Carsten W. und (das wurde nach einer Wohnungsdurchsuchung im Oktober 2011 bekannt) der Organisationsleiter der Loveparade. Psychologe W. hatte als erster Verantwortlicher öffentlich über eigene Fehler gesprochen. In einem Spiegel-Interview erhob er, der während des Unglücks im Container an der Rampe saß, schwere Vorwürfe gegen die Polizei. So hätten er und ein Polizist „geschätzte 45 Minuten“ benötigt, die Polizeiführung zu erreichen.
Rainer Schaller (hier im WDR-Film „Die letzte Loveparade“) dagegen zählte von Beginn an nicht zu den Beschuldigten.
Ermittlern berichtete Crowd-Manager W. zudem, Rainer Schaller und dessen Freunde hätten mit seiner Hilfe eine Pressekampagne gestartet, um der Polizei die Schuld für die Katastrophe gezielt in die Schuhe zu schieben. Tatsächlich warf Lopavent der Polizei vor, die Katastrophe durch Fehlentscheidungen und mangelnden Einsatz verursacht zu haben. Die Firma veröffentlichte auch Videoaufnahmen und Dokumente.
Zudem beschuldigte W. die Loveparade-Veranstalter, bei der Sicherheitsausstattung und beim Sicherheitspersonal gespart zu haben. Ein im Brandschutzkonzept zugesagtes Lautsprechersystem zur Paniksteuerung etwa sei nicht installiert worden, auf der Rampe fehlten „Pusher“.
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Adolf Sauerland, von 2004 bis zum 15. Februar 2012 Oberbürgermeister der Stadt Duisburg. Sein Verhalten nach der Loveparade – er gab, zum Beispiel, zunächst den Loveparade-Besuchern die Schuld an den Todesfällen, machte öffentlich falsche Angaben und entschuldigte sich erst nach einem Jahr bei den Opfern – machte ihn für viele Menschen zur Symbolfigur des Versagens.
Etwa eineinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe wählten die Duisburger Adolf Sauerland bei dem von Bürgern erzwungenen Bürgerentscheid über einen Oberbürgermeister in NRW ab. Am 12. Februar 2012 stimmten 129.833 Duisburger mit „Ja“, also für Sauerlands Abwahl. Nur 21.557 stimmten mit „Nein“, also gegen Sauerlands Abwahl. Die Wahlbeteiligung war bei dem Bürgerentscheid mit 41,16 Prozent unerwartet hoch.
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Nachdem er das Ergebnis erfahren hatte, machte sich Adolf Sauerland auf den Weg zu seiner letzten Pressekonferenz als OB ins Rathaus. Dabei sagte er sichtlich angeschlagen und mit zittriger Stimme: „Ich bedaure sehr, dass es bei dieser Abstimmung zu so einem Ergebnis gekommen ist. …
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Dies ist, im Amt des Oberbürgermeisters, meine letzte Pressekonferenz und ich möchte Sie bitten, davon Abstand zu nehmen, Anfragen in den nächsten Tagen dort zu stellen. Herzlichen Dank ihnen allen. Gott schütze die Stadt Duisburg.“
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Ein kurzer Rücblick auf die Zeit zwischen Loveparade und Abwahl: Die Proteste und Rücktrittsforderungen änderten genauso wenig an Sauerlands Grundhaltung wie der Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft oder die Unterschriftensammlung der Initiative „Neuanfang für Duisburg“ für einen Bürgerentscheid zur Abwahl: …
Die Stadtverwaltung treffe nach seinem Wissen keine Schuld an der Katastrophe, behauptet Adolf Sauerland stets; ihn selbst ohnehin nicht. Zu den von der Staatsanwaltschaft Beschuldigten zählt er ohnehin nicht. Dennoch: …
Was er wusste, wie er eingriff, ist weiterhin unklar. Erst ein Jahr nach der Katastrophe äußerte sich der CDU-Politiker öffentlich zu seiner moralischen Verantwortung. Im September 2011 erklärte er dann sein „Trauerjahr“ für beendet: Seine repräsentativen Aufgaben wollte Sauerland seither wieder wie vor der Loveparade wahrnehmen.
Dr. Peter Greulich, Stadtdirektor in Duisburg, leitet das Dezernat für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. Als Stellvertreter des OB steht er zumeist in der Öffentlichkeit, wenn sich die Stadtspitze zu Loveparade-Themen äußert. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete ihn als einen „der engsten Freunde“ Sauerlands, der „sich gerne mitfühlend äußert, wenn Sauerland eine Hexenjagd gegen sich beklagt“.
Peter Greulich (Die Grünen), vom Stadtrat bis 2015 gewählt, präsentierte der Öffentlichkeit im September 2010 das umstrittene Loveparade-Gutachten der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Mitglieder seiner Partei kritisierten ihn im Sommer 2011 für die „Verschleierungstaktik“ der Stadtspitze zur Finanzierung der 420.260,15 Euro teuren Expertise.
Für Aufsehen sorgte auch Greulichs Beschwerdebrief an Ministerpräsidentin Kraft. Er verteidigte das Vorgehen der Stadt, der Gedenkfeier in der MSV-Arena 2011 die Genehmigung zu verweigern. Die Landesregierung habe die Stadt unter Druck gesetzt. Greulich wurde vom Stadtrat beauftragt, mit Investor Kurt Krieger und Loveparade-Opfern eine Lösung für die Gedenkstätte zu erarbeiten.
Nach der Katastrophe geriet Peter Greulich das erste Mal in die Negativ-Schlagzeilen, weil er als Stadtdirektor unmittelbar vor der Loveparade zeitgleich mit Verwaltungschef Adolf Sauerland im Urlaub war. Am Tag der Loveparade selbst war der Oberbürgermeister wieder in der Stadt, sein Stellvertreter brauchte dagegen sechs Tage, um seine Ferien in Spanien abzubrechen und in die von der Katastrophe gezeichnete Stadt zurückzukehren.
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Das sind die drei Männer, ohne die Adolf Sauerland möglicherweise noch heute im Amt wäre: Sie gründeten die Bürgerinitiative „Neuanfang für Duisburg“ im Juni 2011 nach der Änderung der Gemeindeordnung, die die Einleitung von Abwahlverahren gegen Oberbürgermeister ermöglichte: Harald Jochums, Werner Hüsken und Theo Steegmann (von links).
Die Abwahlinitiative sammelte ab dem 20. Juni 2011 Unterschriften für einen Bürgerentscheid zur Abwahl des OB. Am 17. Oktober übergab sie dem Stadtrat nach eigener Zählung 79.193 Unterschriften. Zur Einleitung des Abwahlverfahrens waren 54.885 gültige Unterschriften notwendig. Am 14. November wurde bekannt: …
Das notwendige Quorum für eine Zulässigkeit des Bürgerbegehrens wurde nach der Prüfung der Unterschriften durch die Stadt erreicht. Die Verwaltung erkannte 67.329 Unterschriften als gültig an. Ab dem 12. Januar 2012 konnten die Duisburger Briefwahl für den Bürgerentscheid beantragen und direkt in den Bezirksämtern abstimmen (im Bild Theo Steegmann und Mitglieder der Abwahlinitiative bei der Stimmabgabe).
Werner Hüsken, Krankenpfleger, bis kurz nach Sauerlands Abwahl einer der letztlich zwei Sprecher von „Neuanfang für Duisburg“. „Der Spiegel“ nannte ihn „Anti-Sauerland“. Hüsken über den OB: „Er ist der Würde des Amtes nicht mehr gewachsen. Mit ihm werden wir die Tragödie nicht hinter uns lassen können, das Image der Stadt wird sich nicht bessern.“
Hüsken hatte bereits im Sommer 10.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Abwahl des OB sammelte. Das Vorhaben scheiterte an der Mehrheit des Stadtrates. Hüsken selbst bangte am Tag der Loveparade um seinen jüngsten Sohn. Ihm ist nichts passiert. Kurz nach der Abwahl Sauerlands beendete er sein Engagement in der Bürgerinitiative „Neuanfang für Duisburg“.
Theo Steegmann, ehemaliger Betriebsrat des Rheinhausener Krupp-Werkes, Sprecher von „Neuanfang für Duisburg“. Er erklärte sein Engagement so:
„Mein Sohn war mit seinem Freund auch bei der Loveparade, und ich habe versucht, ihn über Handy zu erreichen, natürlich völlig zwecklos, da das ganze Netz zusammengebrochen war. Es war, als hätte ich ihn in den Krieg geschickt. Das ging tausenden von Eltern so. Zum anderen, weil ich mich als Duisburger fühle. Und wenn ich sehe, wie das Image der Stadt Schaden genommen hat durch die Ausmaße der Katastrophe, und wie später von den Verantwortlichen damit umgegangen wurde, kann ich nur dafür eintreten, dass Adolf Sauerland abgewählt wird.“
Harald Jochums, Architekt, von Juni bis Ende 2011 einer der drei Sprecher von „Neuanfang für Duisburg“. Warum er sich gegen Adolf Sauerland engagiert? „Das Fehlverhalten des Oberbürgermeisters und der gesamten Stadtspitze direkt nach der Tragödie war für mich ausschlaggebend. Die Pressekonferenz am nächsten Morgen war davon für mich das Unwürdigste. Und von da an ging es so weiter mit den Schuldabweisungen. Dagegen gab es gegenüber den Angehörigen und Verletzten kein einziges Signal des Mitgefühls.“
Sören Link, Duisburgs neuer Oberbürgermeister. Der junge Sozialdemokrat setzte sich am 1. Juli 2012 in der Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten Benno Lensdorf durch. Direkt in der Ratssitzung seiner Vereidigung setzte er ein Ausrufezeichen, als der Bebauungsplan für das Krieger-Gelände beschlossen wurde, auf dem auch der umkämpfte Ort der Loveparade-Katastrophe liegt: …
Auf Initiative Links und nach einem Vorschlag der Stadtverwaltung beschloss der Stadtrat, auf dem Gelände des Möbel-Unternehmers Kurt Krieger deutlich mehr Platz für die Gedenkstätte frei zu lassen als bislang eingeplant war: 660 statt 110 Quadratmeter. Dadurch konnte ein größerer Teil der Rampe erhalten bleiben, auf der 21 junge Menschen tödlich verletzt wurden.
Der Vorsitzende des Opfer-Vereins „Loveparade Selbsthilfe, Jürgen Hagemann, bescheinigte der Stadt einen „beginnenden Wandel“ im Umgangs mit der Tragödie. Sören Links sprach bei der Gedenkfeier am zweiten Jahrestag der Katastrophe.
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Wolfgang Rabe, Beigeordneter in Duisburg, leitet das Dezernat für Sicherheit und Recht. Ob er zu den Angeklagten gehört, war zuletzt fraglich – dabei stand er im Fokus der Ermittler: Die 400 Seiten starke Akte der Staatsanwaltschaft warf ihm gravierende Verfehlungen vor. Er soll Druck auf die städtischen Bediensteten ausgeübt haben: „Herr Rabe stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche und dass daher hierfür eine Lösung gefunden werden müsse. …
Er forderte 62 (das Bauamt) auf, an dem Rettungswegekonzept konstruktiv mitzuarbeiten … schließlich wolle der OB die Veranstaltung.“ So beschrieb nach einem Gespräch bei Veranstalter Lopavent Bauamtsleiterin Anja Geer auf einem Papier nieder, wie Wolfgang Rabe auf Einwände im Genehmigungsverfahren reagierte. Auf dem Blatt hatte auch Baudezernent Jürgen Dressler die Problemstellung handschriftlich skizziert.
Jürgen Dressler, war bis zu seinem Ruhestand, bis ins Frühjahr 2011 Planungsdezernent in Duisburg. Auf besagtem Blatt Papier stellte der Sozialdemokrat fest, dass er die Verantwortung nicht übernehmen mag: „Ich lehne aufgrund dieser Problemstellung eine Zuständigkeit und Verantwortung ab.“ Dressler zählt zu den Hauptbeschuldigten, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Er sei „sehr einverstanden“, dass auch gegen ihn ermittelt werde, sagte Dressler: „Es kann nicht sein, dass auf Weisung handelnde Kolleginnen und Kollegen auf die ,Schlachtbank’ geführt werden sollen, und bei den Leitungsebene noch nicht einmal an eine Ermittlung gedacht wird.“ Einen Monat vor der Loveparade hatte Dezernent Dressler bereits aufbegehrt, Planungsprobleme angesprochen und gewarnt: …
„Das entspricht in keinerlei Hinsicht einem ordentlichen Verwaltungshandeln.“ Er soll die Probleme laut Staatsanwaltschaft gekannt, aber nicht eingegriffen haben. Nach der Katastrophe schoss Dressler gegen Adolf Sauerland. Er warf ihm unter anderem „untaugliches Krisenmanagement“ vor. Die Duisburger Stadtspitze, so Dressler, sei nicht mehr handlungsfähig.
Hans-Peter Bölling, Leiter des Duisburger Ordnungsamtes (hier 2009, zwischen Adolf Sauerland und dem damaligen Polizeipräsidenten Rolf Cebin). Bölling zählte zu den 16 Personen, gegen die ein Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung bestand. Er soll es versäumt haben, „die erforderlichen Prüfungen“ vorzunehmen. Darum seien ihm weder das Fehlen der Lautsprecheranlage noch die Verengungen auf der Rampe durch Bauzäune aufgefallen.
Anja Geer, Leiterin des Amtes für Baurecht und Bauberatung. Auch sie zählt zu den elf Bediensteten der Stadt Duisburg, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Geer hatte in einem Brief an ihren Dezernenten Jürgen Dressler Mitte Juni 2010 all ihre Bedenken zusammengefasst. „Die Knackpunkte“: das fehlende Brandschutzkonzept und die zu schmalen Fluchtwege. Die Staatsanwaltschaft wertete eine E-Mail Anja Geers so, dass sie sich vor ihren Aufgaben am Tag der Loveparade drücken wollte. Geer schrieb:
„Ich kann aber den Sinn in unserer Anwesenheit nicht erkennen. Wenn wir vor Ort sind, wird das natürlich dazu führen, dass wir bei Verstößen gegen unsere Auflagen grundsätzlich sagen müssen, dass …. nicht alle rechtlichen Vorschriften eingehalten werden.“ In einer E-Mail am 11. Mai 2010 erklärte Anja Geer, Stadtbaurat Dressler und Rechtsdezernent Rabe hätten sich darauf verständigt, alles vom Betreiber der Loveparade einzufordern, was dieser gesetzlich bringen muss, um die Party durchzuführen. So sollten die Akten sauber bleiben. Und weiter schreibt Frau G. „Dafür wären wir dann aber am Tag nicht da, um das zu kontrollieren.“
Dr. Ute Jasper, Partnerin in der Düsseldorfer Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek, spezialisiert auf Infrastruktur- und Großprojekte der öffentlichen Hand. Das Handelsblatt zählte die Anwältin im Juni 2010 zu den „Top-Frauen der Wirtschaft“. Jasper, die Kommunen bei Projekten wie Privatisierungen unterstützt, wirkt(e) in Duisburg an mehreren Aufträgen mit. So beriet sie das städtische Immobilienunternehmen Gebag beim Küppersmühlen-Anbau. Die kostspielige Pannenserie bei der Museums-Erweiterung sorgt(e) bundesweit für Aufsehen.
Ute Jasper war federführend an der Erstellung des Gutachtens beteiligt, das bei der Stadtverwaltung im Zusammenhang mit der Loveparade keine Fehler erkennt und die Stadtverwaltung – wie erst nach einer Buchungspanne bekannt wurde – 420.260,15 Euro kostete. Wegen des Gutachtens liegen bei der Staatsanwaltschaft drei Strafanzeigen gegen Adolf Sauerland vor. Die Anzeigensteller werfen dem OB eine Veruntreuung öffentlicher Gelder vor und vermuten hinter der Expertise ein „Gefälligkeitsgutachten“.
Unrühmliche Bekanntheit erlangte Jasper durch einen Skandal 2002: Mülheims damaliger Oberbürgermeister Jens Baganz (CDU) verkaufte – beraten von ihr – städtische Anteile an der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft an RWE. Die Aktien gingen deutlich unter Wert über die Ladentheke. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Jasper beim Stromriesen RWE einen Beratervertrag gehabt haben soll. Das Rechnungsprüfungsamt empfahl eine Anzeige, die Verantwortlichen der Stadt lehnten ab, die Staatsanwaltschaft Duisburg stellte ihre Ermittlungen ein.
Prof. Dr. Thomas Feltes, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Der Rechtswissenschaftler kritisierte, die „Führungsebene“ der Stadt Duisburg habe bei den Bediensteten der Verwaltung eine „aktive Mauer des Schweigens aufgebaut, um mögliche Fehler oder Versäumnisse (während des Genehmigungsverfahrens zur Loveparade, d. Red.) seitens der Stadt zu vertuschen“. Darum appellierte Feltes im August 2011 an die Mitarbeiter der Stadtverwaltung, „Missstände aufzudecken und im Zweifel Vorgesetzte zu denunzieren“.
Kuno Simon, der Einsatzleiter der Polizei am Tag der Loveparade. Im Duisburger Polizeipräsidium ist er für die Gefahrenabwehr zuständig. Aus den Reihen der Polizei war er der einzige Beschuldigte – doch auch er wird jüngsten Infos aus dem Februar 2014 zufolge wohl nicht angeklagt. Anfangs sah das anders aus: Dass es bei der Loveparade zu Toten gekommen ist, sei laut dem Einleitungsvermerk der Duisburger Staatsanwaltschaft auch auf das „pflichtwidrige Verhalten“ des Leitenden Polizeidirektors zurückzuführen, der am 24. Juli ab dem Mittag für das Einsatzgeschehen verantwortlich gewesen sei.
Nicht nur bei der Planung machte die Polizeiführung eine schlechte Figur. Zeugen vermitteln den Eindruck, in der Einsatzzentrale im Polizeipräsidium sei es zugegangen wie in einem Taubenschlag. Von mindestens drei Besuchergruppen ist die Rede, die in der kritischen Zeit zwischen 14.30 Uhr und 16 Uhr in der Stabsstelle aufmarschierten. Auch Innenminister Ralf Jäger (SPD) kam samt Begleitung. Er sprach mit Polizeiführer Kuno Simon und …
… dessen Stellvertreter Jörg S.. Eine Zeugin berichtete später, schon zur Zeit der Besuche sei klar gewesen, dass sich die Situation auf den Zuwegen zuspitzte. Doch Kuno Simon und Jörg S. wären nicht auf ihren Plätzen geblieben, sondern hätten sich um die Besucher gekümmert. Ein Beamter habe immer neue Meldungen in den Raum gerufen, dass sich die Massen stauten. Doch der Beamte habe nicht ausreichend Gehör gefunden. Die Zeugin sagte, zeitweise seien weder Kuno S. noch Jörg S. ansprechbar gewesen. Was Jörg S. gegenüber der Staatsanwaltschaft bestritt.
Im Februar 2012 werden die Aussagen von Crowd-Manager Carsten W. bekannt. Und mit diesen weitere Fehler der Polizei: Die Einsatzführer der Polizei begehrten gegen den Erlass des Innenministeriums auf, wonach die Kräfte höchstens zwölf Stunden arbeiten dürfen, inklusive An- und Abreise. Mehrere Einsatzführer remonstrierten bei ihren Vorgesetzten mündlich. Denn zur Ablösung käme es so auch am kritischsten Punkt (im Karl-Lehr-Tunnel und auf der Rampe) zwischen 15 und 18 Uhr.
,„Bei einer Ablösung um 16 Uhr fällt in diesen Zeitraum die Wechselzeit und damit die Zeit, in der die Polizei nur eingeschränkt handlungsfähig wäre“, erklärte der wichtigste Abschnittführer in seinem schriftlichen Protest vom 24. Juli 2010. Der Spitzenbeamte R. aus dem Innenministerium setzte den Wechselerlass jedoch gegen alle Widerstände durch. Den Polizisten blieb nur übrig, sich selbst zu helfen und den angeordneten Wechsel so früh wie möglich durchzuziehen, um zur kritischen Einsatzzeit hoffentlich voll einsatzfähig zu sein.
Doch das misslang offenbar. Als das Ordnerkonzept der Loveparade-Macher versagte, war die Polizei nicht in der Lage, die Sperrung der Eingänge durchzusetzen. Auch die Polizeiketten im Tunnel konnten den Druck der Massen nicht aufhalten. Sie wurden überrannt.
Klaus-Stephan Becker, Leiter der Ermittlungsgruppe „Loveparade“ der Polizei Köln. Anfangs koordinierte der Kriminaldirektor den Einsatz von 63, später von 80 Polizisten, die Beweismaterial sicherten, Videomaterial auswerteten, Zeugen vernahmen und Hinweisen nachgehen mussten. Die Ermittler müssen 138 Terabyte Datenmaterial auswerten (Stand: Ende Juli, ein TB = 1.000.000.000 Kilobyte).
Die Duisburger Staatsanwaltschaft erklärte in ihrem Einleitungsvermerk, ihrem Zwischenbericht vom 18. Januar 2011, auf 400 Seiten, warum gegen 16 Beschuldigte ein Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung besteht. Erst im Februar 2014 wurden die Ermittlungen abgeschlossen und die Anklage erhoben. Welche ihrer Ermittler an dem Fall arbeiteten, wollte die Staatsanwaltschaft geheim halten. Neuer Chef der Duisburger Staatsanwaltschaft, …
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… wurde im Frühjahr 2012 Horst Bien. Mit seinem langjährigen Vorgänger Manfred Claßen, der Ende März in Ruhestand ging, hat Bien sich kurz vor seinem Wechsel nach Duisburg ausgetauscht. Zur Loveparade sagte er: „Wir nehmen dieses Thema ungeheuer ernst und werden uns rechtzeitig zum zweiten Jahrestag mit einer schriftlichen Stellungnahme äußern.“ Sein Vorgänger …
… Karl-Manfred Claßen war zuvor über sein Pensionsalter hinaus im Amt geblieben. Einen entsprechenden Antrag Claßens genehmigte das Justizministerium. Wie es im Oktober 2011 hieß, sollten mit Claßens Verbleib die Ermittlungen um die Katastrophe „kontinuierlich“ zu Ende gebracht werden. Im Oktober 2011 bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass zu den Beschuldigte nun auch der Organisationsleiter der Loveparade zählt.
Uwe Tegtmeyer, Anwalt aus Duisburg. Den Oberbürgermeister seiner Stadt schätzte Tegtmeyer lange als Mann der Tat, als einen „Duisburger Jung“, der viel in Bewegung gebracht hat. Dennoch wagte der Rechtsanwalt einen ungewöhnlichen Schritt: Weil die Staatsanwaltschaft wegen des Loveparade-Unglücks nicht gegen Adolf Sauerland und Lopavent-Chef Rainer Schaller ermittelt, erhob er im Januar 2011 Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Behörde.
Ralf Jäger, wurde neun Tage vor der Loveparade zum Minister für Inneres und Kommunales in der neuen Landesregierung ernannt. Jäger, auch Vorsitzender der SPD Duisburg, machte zwei Tage nach der Loveparade Veranstalter Lopavent für die tödliche Massenpanik verantwortlich. Rainer Schallers Firma habe die Vorgaben seines Sicherheitskonzeptes nicht eingehalten, sagte Jäger. Die eingesetzten Polizeibeamten …
… seien ausschließlich für den nicht abgesperrten Bereich außerhalb des Festgeländes zuständig gewesen. Erst als die Situation „außer Kontrolle“ geraten sei, habe Lopavent die Polizei um Hilfe gebeten. Im Innenausschuss formulierte Jäger nur vorsichtig Polizeikritik: Es sei „unrealistisch“, bei dem „unfassbaren Chaos auf Veranstalterseite einen fehlerfreien Polizeieinsatz zu erwarten“.
Zuvor hatte sich Ralf Jäger verärgert über die „unglaublichen Vorwürfe“ gegen die Polizei gezeigt. Die FDP-Fraktion im Landtag kritisierte den Innenminister (hier neben Dieter Wehe, Generalsinspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei) mehrfach, weil Jäger zu wenig zur Aufklärung der Katastrophe getan habe. Eine Zeugin berichtete der Staatsanwaltschaft später, durch die Besuchergruppen in der Stabstelle der Polizei am Tag der Loveparade …
… seien Einsatzleiter Simon und sein Stellvertreter S. in der kritischen Phase nicht ansprechbar gewesen. Auch Innenminister Ralf Jäger zählte zu den Besuchern, um die sich die Einsatzleitung kümmerte.
Das Innenministerium verwies in diesem Zusammenhang auf die Aussage des Ministeriums vor dem Landtag aus dem August 2010. Demnach seien an den Minister bei seinem Besuch des Stabes keine Informationen oder „sonstige Hinweise“ herangetragen worden, „dass sich ein problematischer Einsatzverlauf abzeichnet.“
Michael Schreckenberg, Verkehrsforscher, Inhaber der Professur für Physik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen (UDE). Zu seiner Rolle bei der Beurteilung des Sicherheitskonzeptes für die Loveparade gibt es verschiedene Aussagen: Nach den letzten eigenen Angaben habe er allein am Konzept der „Rückwegung vom Party-Gelände zum Hauptbahnhof“ mitgearbeitet.
Er habe von vornherein vor dem Tunnel als Zugang zum Gelände und zu dem Bahnhof gewarnt. „Man wollte mit mir aber nicht kooperieren.“ Unmittelbar nach der Loveparade hatte Schreckenberg öffentlich gesagt, die Katastrophe sei durch „individuelles Fehlverhalten einiger Besucher“ verursacht worden: „…
… Das Unglück ist nicht passiert, weil es zuvor im Tunnel zu eng und die Masse panisch war, sondern weil einige hinter dem Tunnel versucht haben, schneller auf das Gelände zu gelangen.“ Diese Aussage bedauert er seither. Auch nach der Loveparade ist der Physiker als Experte für die Bewegung von Menschenmassen konsultiert worden – etwa vom Bremer Senat, als mehrere Dutzend Menschen bei einem Fußballspiel verletzt wurden (Foto).
Fritz Pleitgen, Vorsitzender der Geschäftsführung Ruhr.2010. Der ehemalige WDR-Intendant hatte unmittelbar nach der Katastrophe gesagt, dass er nicht an den Planungen der Loveparade beteiligt gewesen sei, er sich aber im moralischen Sinne mitverantwortlich für das Unglück fühle. Kritiker argumentieren, dass Druck auf die Stadt Duisburg ausgeübt worden sei, weil die Loveparade im Kulturhauptstadtjahr unbedingt stattfinden sollte.
Bei der Duisburger Staatsanwaltschaft sind wegen der Loveparade auch Strafanzeigen gegen Pleitgen und die Ruhr.2010 GmbH eingegangen, zu den bislang Beschuldigten gehören die Ruhr.2010-Verantwortlichen aber nicht. Als Geschäftsführer der Kulturhauptstadt hatte Pleitgen noch in der Nacht der Loveparade-Katastrophe den Mut, …
… moralische Verantwortung zu übernehmen. In einem Gastbeitrag für die WAZ zum ersten Jahrestag der Duisburger Loveparade warf Pleitgen den Medien Versagen vor der Loveparade vor. Die „politische Klasse“ in Duisburg kritisierte er für ihr Verhalten nach der Katastrophe.
Uwe Gerste, Geschäftsführer der Duisburg Marketing Gesellschaft (DMG). Gerste kämpfte mit Sauerland erfolgreich gegen das drohende Aus des Techno-Spektakels, setzte sich bei Sponsoren und der schwarz-gelben Landesregierung für die Loveparade ein. Als in Duisburg über die Finanzierung der Party gestritten wurde, richtete die DMG ein Unterstützerkonto ein, Verwendungszweck „Stichwort Partylifter“. Unmittelbar nach der Katastrophe reiste …
… DMG-Chef Uwe Gerste in den Urlaub. Dafür hagelte es ebenso viel Kritik wie für seine Aussage kurz vor der Abreise, dass es „für Duisburg zurzeit nichts zu vermarkten“ gebe. Später erklärte Gerste im WAZ-Interview: „Aus heutiger Sicht hätte ich die Reise aber abgesagt.“ Er fühle sich „moralisch so mit verantwortlich, wie es Fritz Pleitgen in einigen Interviews für sich erklärt hat.“
Detlef von Schmeling, zum Zeitpunkt der Loveparade stellvertretender Polizeipräsident in Duisburg. Polizeipräsident Rolf Cebin war im Mai 2010 in den Ruhestand verabschiedet worden. Sein Stellvertreter von Schmeling saß so am 25. Juli 2010 bei der Pressekonferenz im Rathaus neben Adolf Sauerland, Rainer Schaller und Wolfgang Rabe. Damals verteidigte er das Sicherheitskonzept.
Rolf Cebin, war bis Mai 2010 Polizeipräsident in Duisburg. Cebin hatte sich 2009 wegen großer Sicherheitsbedenken gegen Duisburg als Austragungsort der Loveparade ausgesprochen. Die Folge: …
Der Duisburger CDU-Vorsitzende Thomas Mahlberg forderte beim damaligen NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) die Absetzung Cebins. Der ging noch vor der Loveparade in den Ruhestand.
Thomas Mahlberg, seit 1999 Vorsitzender der CDU Duisburg (hier mit Jürgen Rüttgers). Nachdem der damalige Polizeipräsident Rolf Cebin öffentlich Sicherheitsbedenken äußerte, schrieb Mahlberg Innenminister Ingo Wolf (FDP): „Eine Negativberichterstattung in der gesamten Republik ist die Folge. Ich frage Sie, Herr Dr. Wolf, was treibt den Duisburger Polizeipräsidenten zu einer derartigen Handlung? Der neuerliche Eklat veranlasst mich zu der Bitte, …
… Duisburg von einer schweren Bürde zu befreien und den personellen Neuanfang im Polizeipräsidium Duisburg zu wagen. Im Interesse der in Duisburg lebenden Menschen, im Interesse der Polizei.“ Polizeipräsident Cebin ging noch vor der Loveparade in den Ruhestand. Später verteidigte Mahlberg (hier mit Oliver Wittke) seine Kritik. „Natürlich ist es Aufgabe des Polizeipräsidenten, Sicherheitsbedenken anzumelden. Aber doch nicht, wenn der Veranstaltungsort noch gar nicht feststeht.“
Petra Vogt, CDU-Fraktionsvorsitzende im Duisburger Stadtrat: Sie soll Adolf Sauerland nach der Loveparade vom Rücktritt abgehalten haben. Gemeinsam mit Parteichef Thomas Mahlberg beschuldigte sie die Abwahlinitiative der „gemeinsam mit Linken und Sozialdemokraten einhellig vorgetragenen und andauernden Hetze gegen den Loveparade-Bericht“. Die Sauerland-Gegner diffamierten den OB gezielt, so die Duisburger Parteispitze.
Josef Krings, war von 1975 bis 1997 Oberbürgermeister der Stadt Duisburg (SPD). Sagt, dass er OB Adolf Sauerland (CDU) mag. Sauerland habe aber eine Geste zur rechten Zeit verpasst, wie etwa Willy Brandts Kniefall. Das Dilemma, erklärte Krings im September 2010: „Im Rathaus ist die Atmosphäre völlig vergiftet. Das ist inzwischen auch mit einem Rücktritt nicht mehr erledigt.“ Und weiter: „Menschen in Führungspositionen werden oft hofiert. Aber hat Sauerland nicht einen Menschen, der ehrlich zu ihm ist? Für mich ist er traumatisiert, braucht Hilfe.“
Vor dem ersten Jahrestag der Katastrophe mahnte Josef Krings erneut, einen Neuanfang mit Sauerland könne es in Duisburg nicht geben. Dieser werde „aus Mitleid toleriert … Wenn er schon überlegt, ob er einen Termin wahrnehmen kann oder ein Veranstalter damit hadert, ihn einzuladen, dann ist er nicht mehr haltbar.“ So war es Josef Krings, der den Bürgern der Stadt im ersten Jahr nach der Loveparade öffentlich oft eine Stimme gab, zum Beispiel …
… bei der Einweihung des von der Initiative Spendentrauermarsch realisierten Loveparade-Mahnmals. Krings engagierte sich von Beginn an in dem Bündnis, das Vorstandsmitglieder von Pro Duisburg, Lions Club Duisburg-Rhenania, Steinhof Huckingen und Stadtsportverband auf den Weg gebracht hatten. Nachdem Adolf Sauerland im Juli 2011 öffentlich erklärte, er übernehme moralische Verantwortung für die Loveparade, sagte Josef Krings: „Verantwortung übernimmt man nicht, sie gehört zum politischen Amt einfach dazu.“
Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes NRW. Die Politikerin (SPD) wurde kurz vor der Loveparade im Juli 2010 ins Amt gewählt. Am 24. Juli bangte Kraft um ihren Sohn, der die Loveparade besucht hatte. Während ihrer bewegenden Trauerrede in der Salvatorkirche war die Mülheimerin den Tränen nahe. Zur Vorbereitung hatte Kraft bereits Kontakt zu Hinterbliebenen aufgenommen. In der Rede sagte sie den Angehörigen der 21 Todesopfer schnelle und unbürokratische Hilfe zu: „Sie sind nicht allein.“
Auf Wunsch vieler Angehöriger und Verletzter übernahm die Staatskanzlei NRW die Organisation der Gedenkfeier am ersten Jahrestag der Duisburger Loveparade. Kraft selbst schloss in ihre in der MSV-Arena vorgelesenen Fürbitten nicht nur die ein, die geholfen haben, die verletzt wurden und geliebte Menschen verloren haben, sondern auch „alle, die Fehler gemacht haben, dass sie die Kraft finden, diese einzugestehen und um Vergebung zu bitten“. Nach der Trauerfeier beschwerte sich Duisburgs Stadtdirektor Peter Greulich …
… bei der Ministerpräsidentin, die Landesregierung habe die Stadt unter Druck gesetzt. Die Stadtverwaltung hatte der Trauerfeier nach einem Umbau die Genehmigung verweigert. Hannelore Kraft äußerte sich nicht zu den bekannt gewordenen Vorwürfen Greulichs. Als NRW-SPD-Chefin hatte sie vor der Loveparade von der Landesregierung unbürokratische Hilfe gefordert, damit die Loveparade nicht aus finanziellen Gründen platzt. „Die Loveparade ist ein Stück Jugendkultur, die ins Jahr der Kulturhauptstadt gehört. […] Oberstes Ziel für NRW ist: Die Loveparade 2010 gehört ins Ruhrgebiet.“
Jürgen Rüttgers, bis zum 9. Juni 2010 nordrhein-westfälischer Ministerpräsident (CDU). Auch seine schwarz-gelbe Landesregierung soll während des Genehmigungsverfahren Druck auf die Stadt Duisburg ausgeübt haben. Aus einem Besprechungsprotokoll zum ersten Planer-Treffen für die Loveparade vom 2. Oktober 2009 geht hervor, wie sich Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe auf den CDU-Poltiker berief: So habe Rüttgers „in der Vergangenheit bereits eine Aussage getroffen, dass die Loveparade in Duisburg stattfinden sollte“, so Rabe. Eine Absage könne daher „lediglich aus gravierenden Sicherheitsbedenken erfolgen“.
Wolfgang Bosbach, seit 2009 Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags. Als die Duisburger und die nordrhein-westfälische CDU sich zur Verantwortung Adolf Sauerlands ausschwiegen, ergriff der CDU-Innenpolitiker in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ die Initiative. Er legte seinem Parteifreund indirekt den Rücktritt nahe. Die Menschen hätten Anspruch darauf, dass politische Verantwortung übernommen werde. „Ob ich eine Verfügung unterschrieben habe oder nicht, ist völlig zweitrangig“, sagte Bosbach zu Sauerlands Beteuerung, er habe „nichts unterschrieben“.
Jürgen Hagemann, Gründer des Vereins „Massenpanik Selbsthilfe“, danach Vorsitzender des Vereins „Loveparade Selbsthilfe“, in dem sich Ende 2011 die Hinterbliebenen der Todesopfer und „Massenpanik Selbsthilfe“ zusammenschlossen. Den einzigen Selbsthilfeverein für Opfer der Loveparade gründete der Rheinhausener kurz nach der Entlassung seiner Tochter aus dem Krankenhaus. Sie überlebte die Massenpanik schwer verletzt und traumatisiert.
Hagemann gehört zudem zu den Erstunterzeichnern der Petition zum „den Ort des Leidens und der Trauer“ nicht zu zerstören. Er kritisierte die „Geheimniskrämerei“ von Stadt und Krieger Bau bei der Entwicklung der Pläne für die Gedenkstätte. Mehr Transparanz forderte er als Opfer-Vertreter auch von Stadt und Haftpflichtversicherer Axa. Beide hatten eine Vereinbarung zur schnellen Entschädigun der Loveparade-Opfer geschlossen, diese aber nicht offen gelegt.
Lothar Evers, freier Journalist.
Der Kölner will mit seinem Blog „DocuNews“ die Hintergründe der Loveparade-Katastrophe ans Licht bringen. Er fühlt sich dabei den Opfern und den Duisburgern verpflichtet, die beide „ein Recht auf Wahrheit“ hätten. Evers erklärt seine Erkenntnisse auch öffentlich, formulierte seine Kritik an der Stadt Duisburg, der Polizei und an Lopavent etwa in der Doku-Fiction des ZDF, in der die Mainzer die Ereignisse des 24. Juli 2010 rekonstruierten.
Klaus-Peter Mogendorf, verlor seinen Sohn Eike bei der Loveparade. Er brachte die Petition, „den Ort des Leidens und der Trauer“ nicht zu zerstören, gemeinsam mit Jürgen Hagemann und Lothar Evers auf den Weg. Mogendorf setzte sich beherzt für eine Gestaltung der Gedenkstätte im Sinne der Hinterbliebenen ein – und nahm dabei kein Blatt vor den Mund, kritisierte so etwa Duisburgs Stadtdirektor Greulich und die Projektentwickler von Krieger Bau öffentlich: …
… für deren erste Entwürfe und die Nicht-Einbeziehung der Angehörigen und Verletzten. Anfang Oktober, nach gescheiterten Verhandlungen der Hinterbliebenen mit Kurt Krieger, ergriff Mogendorf, selbst Ingenieur, die Initiative: Gemeinsam mit seinem Arbeitgeber, dem Architekten Klaus-Peter Spannhoff (links), stellte er Pläne für die Gestaltung der Gedenkstätte vor. In dem Gegenentwurf ist unter freiem Himmel mehr Platz für die Trauernden; die Treppe und das Bahnwärterhäuschen bleiben stehen. Krieger Bau lehnte den Vorschlag ab.
Kurt Krieger, Möbelhändler aus Berlin. Seine Unternehmensgruppe (Höffner, Möbel Kraft, Sconto) steht mit 2,1 Milliarden Euro auf Platz zwei des deutschen Möbelhandels (Ikea: 3,48 Milliarden Euro hierzulande). Kriegers Privatvermögen wird auf 500 bis 600 Millionen Euro geschätzt. Er erwarb das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs, auf dem die Loveparade veranstaltet wurde, vor der Loveparade im Frühjahr 2010. Kriegers Pläne für das Gelände hatten mit dem von Star-Architekt Norman Foster vorgelegten Masterplan für die „Duisburger Freiheit“ nicht mehr viel gemein.
Anfang 2011 noch stellte der Möbel-Riese Duisburgs Politik vor die Wahl: sein Möbelzentrum Höffner auf dem Loveparade-Gelände – oder die Ostermann-Ansiedlung in Meiderich. Während Duisburgs Stadtdirektor Greulich mit Krieger Bau und Angehörigen der Loveparade-Toten eine einvernehmliche Lösung für die Gedenkstätte am Ort der Massenpanik herbeiführen sollte, kritisierten Opfer mehrfach, sie würden nicht an den Planungen beteiligt. Erste Entwürfe sahen vor, die Reste der Rampe komplett unter der Erde verschwinden zu lassen und den Zugang für die Öffentlichkeit zu beschränken.
Im September 2011 sprach Kurt Krieger selbst mit Loveparade-Opfern über aktualisierte Entwürfe, im Oktober erstmals ohne Vertreter der Stadt. Die Opfer-Vertreter lobten seine Gesprächsbereitschaft. In einem in die Medien gelangten Schreiben an die Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche teilte Krieger dann aber mit, dass er am nächsten Treffen nicht teilnehmen werde. Ihn habe das vorige enttäuscht, weil ganz neue Vorschläge zur Debatte gestanden hätten. Zudem hätten ihn die Vorwürfe irritiert, seine Vorschläge seien erpresserisch. Das bestritt Krieger. Ende Januar 2012 nahm er die ins Stocken geratenen Verhandlungen überraschend wieder auf: Krieger sprach doch wieder persönlich mit den Opfern.
Dr. Uwe Rieske, Landespfarrer für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit der Loveparade arbeitet ein 30-köpfiges Team der Notfallseelsorge mit Opfern und Hinterbliebenen zusammen. Rieske leitete mehrere Treffen der Angehörigen und der Verletzten, koordinierte die inhaltliche Gestaltung der Gedenkfeier am ersten Jahrestag. Er moderiert die Beratungen zwischen Stadt, Opfern und Krieger Bau zur Loveparade-Gedenkstätte, zu denen die Beteiligten ein Schweigeabkommen vereinbart haben.
Christian Wulff, vom 30. Juni bis zu seinem Rücktritt im 17. Februar 2012 Bundespräsident (CDU). Das Foto zeigt ihn bei der Trauerfeier in der Salvatorkirche neben (v.l.) Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wulffs Frau Bettina und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Unmittelbar nach der Katastrophe hatte Wulff OB Sauerland an seine „politische Verantwortung“ erinnert. Als Rücktrittsforderung wollte Wulff dies jedoch nicht verstanden wissen.
Anfang 2011 sagts Adolf Sauerland in einem Beitrag des ZDF-Magazins „Frontal 21“ zum Thema Rücktrittsforderungen in die Kamera: „Er (Bundespräsident Christian Wulff, d. Red.) hat mir mehrmals geschrieben, dass er mich persönlich nicht angesprochen hat.“ Die Pressestelle des Bundespräsidenten erklärte dagegen: „Einen solchen Brief hat es nicht gegeben.“ Im Dezember 2010 zeichnete Christian Wulff etwa 200 Helfer, …
… die bei der Loveparade im Einsatz waren, im Schloss Bellevue aus. Zu den Geehrten zählte auch Jutta Unruh von der Notfallseelsorge der evangelischen Kirche, die Verletzte und Hinterbliebene seit der Loveparade betreut. Im April 2011 traf sich der Bundespräsident mit Angehörigen von 17 der 21 Todesopfer in Bonn. Bei dem Treffen verfassten die Hinterbliebenen die Petition für den Erhalt des Unglücksortes. Dabei versprach Wulff ihnen, ihr Ansinnen zu unterstützen.
Gerhart Baum, von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister (FDP, hier rechts, mit Michail Gorbatschow und Hans-Dietrich Genscher). Baums Düsseldorfer Kanzlei „Baum, Reiter & Kollegen“ vertritt etwa 80 Loveparade-Opfer und Hinterblieben in einem Sammelverfahren. Baum, der im Falle der abgestürzten Concorde eine außergerichtliche Entschädigung für seine Mandanten herbeiführen konnte, wiederholte öffentlich mehrfach die Forderung, die Schuldfrage von der Frage nach Entschädigungen für Betroffene abzukoppeln.
Baums Partner Julius Reiter (im Bild: Gerhart Baum) nahm auch das Land NRW ins Visier: „Die Polizei sollte endlich aufhören, die Schuld ausschließlich bei anderen Beteiligten zu suchen.“ Alle Beteiligten – Veranstalter, Stadt und Land – trügen eine Mitverantwortung. Nachdem der von Stadt Duisburg und Haftpflichtversicherer vereinbarte „Schadenschnelldienst“ keine großen Summen auszahlte, forderte Reiter
die Offenlegung dieser Vereinbarung: „Es ist unerträglich, dass nun im Zusammenhang mit der Entschädigung wieder etwas hinter dem Rücken der Betroffenen geschieht.“
Arno Eich, Polizist in Duisburg, Geschäftsführer des Kulturzentrums Steinhof, Mitinitiator der „Initiative Spendentrauermarsch“, engagiert sich im „Bürgerkreis Gedenken“ (hier rechts im Bild mit Mitstreiter Karl Janssen, Kulturdezernent). Auf Bitten der Angehörigen der Todesopfer übernahm die Staatskanzlei unter Hannelore Kraft die Planungen für die Gedenkfeier am ersten Jahrestag. Die Staatskanzlei übertrug die Leitung Arno Eich. In einer Erklärung hielt er fest, wie er von der Stadt Duisburg in der Folge gegängelt wurde: …
Genehmigungen seien behindert und blockiert worden. „Es schien so, dass nicht jeder in der Stadt glücklich war, dass das Land die Gedenkveranstaltung ausrichtete.“ Als Eich wegen drohender Sturmböen in Absprache mit Feuerwehr und Polizei am Tag vor der Feier Änderungen im Stadion vornehmen ließ, verweigerte die Stadt die Genehmigung. Eich: „Die zu erwartende Gefährdung der Teilnehmer interessierte offenbar nicht. Stadtdirektor Greulich verwies auf das Genehmigungsverfahren und schien die Staatskanzlei bloßstellen zu wollen.“
Ottilie Scholz, seit 2004 Oberbürgermeisterin in Bochum (SPD). Scholz sagte 2009 nach langem Ringen die Loveparade für Bochum aus Sicherheitsgründen ab – und war die „Buhfrau“ des Ruhrgebiets. „Ich habe nicht im Alleingang entschieden“, erklärte sie damals: „Ich habe mitentschieden. In einer Telefonkonferenz mit Herrn Brauser (Hanns-Ludwig, d. Red.) von der Wirtschaftsmetropole Ruhr und mit dem Veranstalter.“ Lopavent hatte auf einem Zug durch die Innenstadt bestanden.
Thomas Wenner,
war bis Oktober 2009 Polizeipräsident von Bochum.
Wenner war mitverantwortlich für die Absage der in Bochum 2009 geplanten Loveparade. In einem offenen Brief rechtfertigte er die erfolgte Absage gegen Kritik von Seiten der Landesregierung. Wenner wurde gegen seinen Willen von der Landesregierung auf Vorschlag von Innenminister Wolf in den vorzeitigen …
… Ruhestand versetzt. Nach der Loveparade 2010 kündigte Wenner an: „Ich zeige den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, die leitenden Beamten der Stadt und die Veranstalter an.“ Städte wie Duisburg mit ihren engen Bahnhöfen seien für Großveranstaltungen wie die Loveparade nicht geeignet.
Dieter Wehe, Generalsinspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei. Er machte kurz nach der Katastrophe Veranstalter Lopavent verantwortlich für die tödliche Massenpanik: Der habe die Eingangsschleusen zwei Stunden zu spät geöffnet, weshalb es zu einem Massenandrang gekommen sei. Der Rückstau auf der Zugangsrampe sei dann entgegen der Zusage nicht aufgelöst worden: „Die vom Veranstalter zugesagten Ordner haben ihre Aufgabe nicht erfüllt.“
Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er nahm in den Tagen nach der Loveparade die Stadtspitze ins Visier. Im ZDF sagte er: „Wo kommen wir hin, wenn ein politischer Amtsträger nicht die Verantwortung übernimmt, wenn 21 Menschen gestorben sind.“ Wendt sprach von Schlampigkeit der Behörden: „Die Rolle des Spitzenbeamten in Duisburg gilt es auch zu untersuchen. Spitzenbeamte, die Spitzengehälter bekommen. Diese Herren Dezernenten gehören auch nicht mehr in ihre Positionen.“ Nach der im September 2010 gescheiterten Abwahl Sauerlands appellierte Wendt, …
… die „Hetzjagd“ auf den Adolf Sauerland müsse aufhören. Die CDU forderte er auf, Sauerland eine andere Aufgabe „jenseits der Stadt Duisburg“ zu verschaffen, um ihn aus der Schusslinie zu nehmen. Der OB habe zwar politische Fehler gemacht, unmittelbar verantwortlich für Versäumnisse vor der Loveparade-Tragödie seien aber andere. „Es ist höchste Zeit, die Leiter des Bau- und Ordnungsamtes mit Disziplinarverfahren zur Rechenschaft zu ziehen.“ Mehrfach wies Wendt Vorwürfe zurück, wonach die Polizei bei der Loveparade schwerwiegende Fehler gemacht habe.
Rainer Hagenacker, Vorsitzender des Personalrates Innere Verwaltung bei der Stadt Duisburg. Der Sozialarbeiter spricht für 6000 Beschäftigte und forderte Adolf Sauerland mehrfach zum Rücktritt auf. Etwa bei der Personalversammlung im Dezember 2010, bei der Sauerland ausgepfiffen wurde. Der Sauerland-Satz „Ich habe doch nichts unterschrieben“ werde in der Verwaltung als Abwälzen der Verantwortung verstanden, so Hagenacker. Für die Bediensteten wäre es eine Entlastung, wenn auf oberster Ebene jemand die Verantwortung trägt – und sei es als Sündenbock, erklärte Hagenacker im Juli 2011.
Foto:
Stephan Eickershoff
Herbert Mettler, SPD-Fraktionschef im Duisburger Stadtrat. „Wir halten diese Loveparade für absolut entbehrlich”, erklärte er Ende 2009. „Der kostspielige Aufwand, der für die Sicherheit der vielen entfesselten Teilnehmer betrieben werden müsste, bringt die Stadt in Zwänge, die völlig unnötig sind.” Seine Fraktion setzte durch, dass kein Geld der hoch verschuldeten Stadt oder städtischer Gesellschaften in die Loveparade fließen sollte. „Es sieht so aus, als würden nur die Kleinen gejagt“, kommentierte Mettler den Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft. 2011 warf er Sauerland Führungsversagen und die Spaltung der Stadt vor.
Horst Engel, seit 2000 innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Der Polizeihauptkommissar meldete sich als Kritiker immer wieder zur Aufarbeitung der Loveparade zu Wort. Direkt nach der Katastrophe nannte er Adolf Sauerland den „Untoten in der Stadtverwaltung in Duisburg“. Allerdings trage auch die Landesregierung eine Mitschuld daran, dass die Sicherheitskonzepte nicht gegriffen haben. Engel warf Innenminister Ralf Jäger (SPD) vor, vor der Loveparade in einer Pressemitteilung bekanntgegeben zu haben, dass die Sicherheitskräfte in der Lage seien, …
… „schnell zu helfen und den bestmöglichen Schutz für die Menschen zu gewährleisten“. Horst Engel rügte Innenminister Jäger (SPD) im Mai 2011 im Düsseldorfer Landtag: Jäger habe „eiskalt getäuscht“. Aussagen des Ministers zum Polizeieinsatz hätten sich nachweislich als unvollständig oder falsch erwiesen. Dreimal lehnte die Mehrheit im Landtag einen von FDP und Linken geforderten Untersuchungsausschuss ab. Im September 2009 reichte die FDP im Landtag 1600 Fragen zu den Hintergründen der Loveparade-Katastrophe als Große Anfrage an die Landesregierung ein.
Rolf Karling, Gründer des Selbsthilfevereins „Bürger für Bürger Duisburg“, machte als „Ketchup-Attentäter“ bundesweit Schlagzeilen. Am 10. November 2010 ging Karling bei der Neueröffnung eines Marktplatzes in Duisburg-Rheinhausen mit einer Ketchup-Flasche auf Oberbürgermeister Adolf Sauerland los. Er stürmte vor die Bühne und spritzte Sauerland von oben bis unten mit Tomatensoße voll. Karling sagte: „Ich wollte dem OB zeigen, dass im Leben etwas passieren kann, …
… womit man nicht rechnet. Ich habe es als die einzige Möglichkeit gesehen, ihn in seinem Gefühl zu treffen.“ Er selbst bezeichnete sich als „gewaltfreien Menschen“, darum habe er auch keine Eier oder Farbbeutel verwendet, die Sauerland hätten verletzen können. Sauerland verzichtete auf eine Anzeige. Zwei Wochen später, wieder weihte der OB einen Platz ein, schaute Karling wieder zu. Eine erneute Attacke des „Ketchup-Spritzers“ bekam das halbe Dutzend Kamerateams jedoch nicht zu filmen.
Heiligabend 2010 errichtete Karling auf der Loveparade-Rampe mit Helfern eine provisorische Gedenkstätte, stellte 21 Kreuze auf. Später berichtete er, sein Vermieter, die katholische Gemeinde Christus-König, habe ihm die Wohnung gekündigt. Im Mai 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht zur Zahlung einer 1000-Euro-Strafe, weil er ehemalige Mitstreiter als „käufliche Hure“ beziehungsweise „alkoholkranken Streetworker“ beschimpft hatte. Kurz darauf trat er als Vorsitzender des Vereins „Bürger für Bürger Duisburg“ zurück, um den Verein „aus der Schusslinie“ zu nehmen.
Matthias Roeingh alias Dr. Motte, Erfinder und Gründer der Loveparade. Seit dem Ende der Berliner Parade und der Übernahme des Spektakels durch Rainer Schallers Firma McFit kritisierte er die Veranstaltungen im Ruhrgebiet und Schallers Profitstreben. Noch am Abend der Katastrophe von Duisburg sagte Schallers Erzfeind: „Die Veranstalter sind schuld.“ Am 1. August besuchte er die Unglücksstelle, brach vor Fotografen in Tränen aus und kniete nieder. Auf einer Pressekonferenz im November 2010 kündigte Dr. Motte an, …
… mit der neu gegründeten „L.O.V.E.“-Stiftung mindestens zehn Millionen Euro Spenden für die Loveparade-Opfer sammeln zu wollen. Allerdings kam für die Betroffenen gar kein Geld zusammen. Auf Nachfrage erklärte Dr. Motte dies im Juli 2011 so: „Jemand, der sich um Geld kümmern wollte, hat uns im Stich gelassen.“ Die Stiftung sei ihm zwar wichtig, er selbst aber könne sich „nicht kümmern.“ Kritiker sahen ihre Vermutungen bestätigt sehen: Viele hatten befürchtet, Matthias Roeingh wolle sich mit seinem Engagement vor allem wieder selbst ins Gespräch bringen.