Die Stadt Essen will nun auf die Notbremse treten, um den Zuzug von Roma einzuschränken. Die Menschen sollten nicht mehr aus wirtschaftlichen Gründen einreisen, so der Sozialdezernent. Das neue Konzept sieht Sachleistungen statt Geld und eine Groß-Unterkunft für alle Neuankömmlinge vor.
Essen.
Sie kommen früher, dafür gehen sie später: In jedem der vergangenen drei Jahre musste die Stadt rund 100 bis 150 Roma mehr unterbringen, die aus Serbien und Mazedonien nach Essen reisten, für spürbare Enge in den hiesigen Übergangsheimen und Millionenkosten sorgten.
Klopften die ersten Zuzügler in den vergangenen Jahren frühestens im Oktober an, stehen sie nach Angaben der Stadt bereits jetzt schon wieder auf der Matte. „Hohe Anreize“, sagt Sozialdezernent Peter Renzel, „sind der Grund, warum sie sich auf den Weg machen.“ Sogar auf Kosten ihrer Kinder, die regelmäßig aus der Schule gerissen werden und kaum noch Chancen auf eine angemessene Bildung haben.
Die Notbremse ziehen
Auch deshalb will die Stadt jetzt die Notbremse ziehen: Alle Neuankömmlinge sollen zunächst kein Geld mehr bekommen, sondern nur noch Sachleistungen und ein Taschengeld. Damit, so heißt es in einem neuen Konzept der Sozialverwaltung, „soll vermieden werden, dass Ausländer allein aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik einreisen“. Die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ spricht bereits von einer „Abschreckungspolitik“. Doch Peter Renzel sagt: „Wenn wir nicht handeln, kommen jedes Jahr bis zu 150 Asylbewerber mehr.“ Und: „Die Winterflüchtlinge sind eben nicht die, die daheim in unzumutbaren Verhältnissen leben.“ Davon ist der Sozialdezernent nach Besuchen auf dem Balkan überzeugt.
Fakt ist: Seitdem das Bundesverfassungsgericht die auszuzahlenden Gelder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz deutlich angehoben hat, stieg die Zahl der Roma aus Serbien und Mazedonien auch in Essen merklich, obwohl die Familien keinerlei Chance auf ein erfolgreiches Asylverfahren haben. Wenn dieser finanzielle Anreiz wegfalle – das sagen laut Renzel selbst Roma-Vertreter in Serbien – dann werde sich der Strom der Zuwanderer, die inzwischen als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden, deutlich minimieren.
Bundesweit einmaliges Modell
Genau das will das neue Konzept der Sozialverwaltung erreichen, das bundesweit einmalig sein dürfte. Es ist ein dreistufiges Modell, das die Menschen, die nach Essen kommen, in zwei Klassen teilt: die, die absehbar ausreisepflichtig sind, wie die Roma aus Serbien und Mazedonien , und die, die eine Chance auf ein zukünftiges Leben in dieser Stadt haben. Sie sollen nach einer gewissen Zeit in Übergangsheime und von dort möglichst in Wohnungen vermittelt werden. Dann wird ihnen auch wie bisher wieder Geld nach den gültigen Sätzen ausbezahlt.
[kein Linktext vorhanden]Eines aber soll künftig grundsätzlich gelten: Alle, die nach Essen kommen, werden unabhängig von ihrer Herkunft zunächst in einer „kommunalen Einrichtung zur Erstunterbringung“ unterkommen. Dafür ausgeguckt ist Essens größtes Übergangsheim an der Worringstraße in Burgaltendorf mit rund 120 Plätzen, das künftig rund um die Uhr und auch an Wochenenden von einem Sicherheitsdienst überwacht wird, sollte die Politik Renzels Plänen zustimmen.
Künftig nur ein Taschengeld
Reichen die Kapazitäten an der Worringstraße nicht aus, werden zusätzlich für alle Neuankömmlinge die Türen der ehemaligen Dilldorfschule in Essen-Kupferdreh aufgeschlossen. Dort könnten dann noch einmal 80 Menschen unterkommen, die von der Stadt mit allem Notwendigen versorgt werden – statt der Asylbewerberleistungen in bar gibt’s dann künftig aber nur ein Taschengeld, so zumindest der Plan. Derzeit zahle die Stadt noch 1200 Euro für eine vierköpfige Familie, heißt es. Darin sind die Kosten für die Unterkunft noch nicht eingerechnet. „Das ist das Achtfache dessen, was die Menschen in ihren Heimatländern an Sozialleistungen bekommen“, sagt der Sozialdezernent.
In „Ausnahmefällen“, so Renzel, könne der Aufenthalt in den beiden Einrichtungen zur Erstunterbringung allerdings auch auf sechs Monate verlängert werden. Das soll für die Menschen gelten, die nicht zum ersten Mal Asyl beantragt und in Essen gelebt haben. Da könnte die so genannte Ausnahme schnell zur Regel werden. Nach Darstellung der Stadt ist Essen für rund 80 Prozent der eingereisten Roma alles andere als Neuland: Es sind so genannte Folgeantragsteller, die schon einmal hier waren.
So unattraktiv wie möglich machen
Renzel hat bereits rechnen lassen: Alle Asylbewerber zunächst mit Sachleistungen zu versorgen, kostet die Stadt pro Jahr rund 810.000 Euro mehr. Sollte Essen sich jedoch so unattraktiv machen können, dass 150 Menschen weniger kommen, spart die Stadt rund eine halbe Million Euro. Nicht allzu viel angesichts von Gesamtausgaben in Höhe von rund 15 Millionen Euro für stadtweit 2400 Asylbewerber in Heimen und Wohnungen. Sollten aber weniger als 50 Roma auf eine Reise nach Essen verzichten – dann zahlt die Stadt am Ende drauf.