Die Schock-Nachricht spricht Jarich Hoekstra freundlich und mit niederländischem Akzent aus: Der bekannteste Friese Deutschlands, der Komiker Otto Waalkes, sei gar keiner. „Otto hat mit dem Friesischen nichts zu tun“, sagt Hoekstra. Denn: „In Ostfriesland wurde das Friesische am Ende des Mittelalters vom Niederdeutschen verdrängt.“ Darum sei auch der berühmte Ostfriesentee eigentlich plattdeutsch.
Kiel (dapd-nrd). Die Schock-Nachricht spricht Jarich Hoekstra freundlich und mit niederländischem Akzent aus: Der bekannteste Friese Deutschlands, der Komiker Otto Waalkes, sei gar keiner. „Otto hat mit dem Friesischen nichts zu tun“, sagt Hoekstra. Denn: „In Ostfriesland wurde das Friesische am Ende des Mittelalters vom Niederdeutschen verdrängt.“ Darum sei auch der berühmte Ostfriesentee eigentlich plattdeutsch. Genaugenommen müsste Ostfriesland also in Plattdeutschland umbenannt werden.
Hoekstra muss es wissen, denn er ist so was wie der friesische Sprachpapst der Republik. Der Professor leitet Deutschlands einzige Universitätsabteilung für Frisistik. Die befindet sich an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Zudem ist er ein echter Friese – genauer: Westfriese.
Sprachpapst hin oder her – die Ostfriesen sehen das anders. Viele sprächen Plattdeutsch, fühlten sich aber als Teil der friesischen Minderheit, sagt Eike Christian Steinig, Vorsitzender der Regionalpartei „Die Friesen“. Seine Partei führe deshalb einen Rechtsstreit mit dem Land Niedersachsen, das die Zugehörigkeit von Plattdeutsch-Sprechern zu den Friesen ebenfalls nicht anerkennen wolle. Und Otto? „Bei Otto scheiden sich die Geister. Er hat die Friesen in Deutschland lächerlich gemacht“, sagt Steinig und meint schließlich: Wenn Otto sich als Friese fühle, sei er auch Friese.
„Ostfriesen betrachten sich oft noch als Friesen, obwohl sie kein Friesisch mehr sprechen“, sagt Professor Hoekstra. In seiner niederländischen Heimat kommunizieren noch 300.000 Menschen auf Westfriesisch. Es gibt einen westfriesischen Rundfunk mit ganztägigen Radio- und jeden Abend ein TV-Programm. In Deutschland sieht es für die Friesen hingegen weniger rosig aus.
Gerade mal 2.000 Menschen würden noch Ostfriesisch sprechen, sagt Hoekstra. Also das echte. Die leben in Niedersachsen im Saterland westlich von Oldenburg. Etwas besser sieht es für die Nordfriesen in Schleswig-Holstein aus. Noch 10.000 Menschen beherrschen die Sprache. Wie Frösche um den Teich wohnen sie auf den Nordseeinseln Sylt, Föhr und Amrum sowie auf dem nordwestlichen Festlandzipfel.
Grund für die geringe Zahl der deutschen Friesisch-Sprecher – meist sind es ältere Menschen – ist die Zersplitterung des Sprachgebiets. Allein im Nordfriesischen gab es mal zehn Dialekte. Nieder- und Hochdeutsch hätten zudem einen verdrängenden Einfluss gehabt, sagt Hoekstra. In seinen Brillengläsern spiegelt sich eine Karte mit friesischen Gebieten. Neben Worttabellen und Diagrammen hängt sie in den Räumen der Kieler Frisistik-Abteilung.
Der 56-Jährige erforscht bereits sein ganzes Berufsleben die Sprache der Friesen. Als Kind fand er friesische Literatur auf dem Dachboden und war begeistert. Vor 14 Jahren zog der Sprachwissenschaftler dann nach Deutschland und wurde Frisistik-Chef in Kiel.
„Preewang ei stiar“, steht an Hoekstras Bürotür. Nordfriesisch für: Prüfung nicht stören. Er und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter haben pro Semester etwa 50 Studenten. Die können Frisistik als Bachelor, Master oder sogar Doktor abschließen. Die Jobchancen für Frisisten seien gut.
Zum Beispiel beim öffentlich-rechtlichen NDR. Der Radiosender „NDR 1 Welle Nord“ etwa sendet jeden Mittwochabend die Sendung „Friesisch für alle“. Auch beim Nordfriisk Instituut, einem Forschungsinstitut in Bredstedt, sind Frisisten beschäftigt.
Neben den Büchern in der Bibliothek kann Hoekstra auf einen besonderen Schatz zurückgreifen: Hunderte Tonaufnahmen lagern in Schubladen digitalisiert auf CDs. Dafür besuchten Sprachwissenschaftler Friesisch-Sprecher und ließen sie bei laufendem Tonband erzählen. Der Professor spielt eine Aufnahme aus den 50er-Jahren vor. Ein alter Mann ist zu hören. „Früher war noch Markt und dann kamen wir oft betrunken nach Hause“, übersetzt Hoekstra.
Kennt sich Otto mit den Friesen also doch aus? „Wie unterscheidet man in Ostfriesland zwischen einer Beerdigung und einer Hochzeit?“, fragt er in einem seiner Witze. Antwort: „Bei der Beerdigung gibt’s einen Besoffenen weniger!“ Auf die Frage, ob er denn nun Friese sei, lässt der Komiker über seine Sprecherin mitteilen: „Otto spricht perfekt Plattdeutsch, ist plattdeutsch aufgezogen und fühlt sich als echter Friese.“
Doch Hoekstra bleibt dabei: Otto habe mit dem Friesischen nichts zu tun. Außerdem interessieren ihn die Trinkgewohnheiten der Friesen wenig. In seinem Berufsleben schrieb der Sprachwissenschaftler unter anderem über den „friesischen Odendichter Feodor Wieding“ oder „Nordfriesisch in Sankt Petersburg“. Er wolle, sagt Hoekstra, dazu beitragen, dass die Welt mehr über die friesische Sprache und ihre Schönheit erfährt.
dapd